Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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23.

Leeds, den 26. Dezember 1861.

Ihr schickt mir ein gewaltiges Weihnachtspaket, das, wie ich wohl sehe, die alte Liebe gefüllt hat. Auch ich schicke Euch diesmal ein gewichtigeres Päckchen, das Euch freuen wird, so unscheinbar es aussieht – eine Entsagung. Wenn ich mich je einmal entschließen muß, einer gewitterschweren Zukunft mit all ihren Gefahren und Wechselfällen entgegenzugehen, so will ich wenigstens hinter mir blauen Himmel haben, will, wenn ich mir die teuersten Beziehungen des Lebens in Erinnerung rufe, nicht auch da noch von dem Gedanken gequält sein, daß alles auf Erden nur Jammer und Elend und Kampf ist. Etwas muß der Mensch haben, mit dem er die Dämmerstunden ausfüllt; und Ihr lasset mir keine Wahl.

Es ist unnötig, die Sache noch einmal zu erörtern. Es waren nicht die glänzenden Versprechungen, die mich anzogen, noch sind es die Schilderungen von dem entsetzlichen Zustande Nankings, die mich abhalten würden; auch verspüre ich nicht den mindesten jugendlichen Drang, für Humanität mittels Dampf zu wirken. Es war einfach der Blick auf mein vergangenes Leben, auf die Verhältnisse um mich und hinter mir, vielleicht halbverzweifelnder Egoismus, der mich einem solchen Entschlusse in die Arme trieb und noch treibt. Und neben all dem war ich wirklich von Herzen froh, etwas gefunden zu haben, hinter dem dieser Egoismus sich vor sich selbst verstecken konnte, vielleicht nur ein Wort, ein Klang, vielleicht (das wissen wir alle nicht) doch etwas mehr. Was bietet sich mir hier? Wenn ich mein Glück, meinen Lebenszweck nicht unter Gefahren und Kämpfen im fernen Osten suchen soll: wer bürgt für meinen Lebensgang in Europa? Gehen vor unsern Augen nicht hundert tüchtige Kräfte ruhmlos zugrunde, keineswegs im Kampfe mit dem Leben, sondern im Kampfe gegeneinander? Muß man nicht drei Viertel seiner Kraft darauf wenden, um nur die Erlaubnis zu erhalten, das letzte Viertel wirklich in nützlicher Weise verwenden zu dürfen? Das Arbeiten war meine Freude, seit ich weiß, wozu Adam sein steinichtes Feld erhielt; aber der Kampf mit Stahl und Eisen, mit Gas und Dampf, der mir das Herz fröhlich schlagen machte, ist beim Licht betrachtet das Wenigste. Die Hauptsache ist ein widerwärtiges, peinliches Ringen mit den Menschen um uns her, in der Schule um den ersten Preis, in der Fabrik um die erste Stelle. Wie soll es enden, wenn stets zweihundertfünfzig Leute nach einem Apfel greifen? Ich sehe keine so große Kluft zwischen dem offenen, blutigen Kampf, dem Arbeiten und Bauen aus dem rohen und reichen Material, dem ich in China näher getreten wäre, und dem stillen, heimlichen Ringen, worin jeder bei uns die Lebenskraft des Nächsten untergräbt und vergiftet. Ich verspreche mir nicht viel Angenehmes vom Leben, weder hier noch dort; gekämpft muß sein; aber ich hätte herzlich gerne einmal die andre Fechtart versucht.

»Unsre Betrachtung wird immer trauriger!« wie der selbsterkenntnisvolle Pfarrer predigte – und über China habe ich noch nichts geschrieben. Den Entschluß zu fassen hat mich etwas gekostet; ihn aufzugeben kostet mich fast noch mehr. Ich habe im vergangenen Jahre viel gesehen von den Zuständen unsrer sozialen Welt; 's ist kein Wunder, daß sie wie ein Londoner Novembernebel auf mir liegen. Dahinter aber sah ich immer die blaue Heimat, die soll und wird mir nicht verschwinden.


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