Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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43.

Kairo, den 21. Februar 1863.

Die Welt wird fremder mit jedem Tag. Wie soll ich Euch erzählen, was ich seitdem gesehen, gehört, gefühlt und geschmeckt habe – vom rauhen und realen Meißelschlag am zerbrochenen Dampfpflug bis zu dem einsamen Träumen im Schatten des Obelisken von Heliopolis, vom widerlichen Intrigieren am Hofstätchen eines Paschas bis zu dem ergreifenden Beten des Arabers in der Wüste?

Die Eisenbahnfahrt von Alexandrien nach Kairo kostet ungefähr sieben Stunden und würde sich ziemlich einförmig ansehen, wäre man nicht auf dem geheimnisvollen Boden Innerafrikas, aus dem das Nildelta besteht. Die dunggedeckten Erdhütten der ägyptischen Dörfer, welche von Biber- und Ameisenbauten übertroffen werden, Städtchen von ähnlicher Bauart, mit ihren halbzerfallenen Stationshäusern bilden einen eigentümlichen Gegensatz zu der grünen und immer grüner werdenden Ebene. Lange Reihen sandfarbener Kamele, Gruppen sandfarbener Fellachin und Scharen grauer, aber dennoch sandfarbener Esel beleben die stille Fläche. Palmenwäldchen, wilde Feigenbäume, lange Sumpfstrecken und der gelbe, scharf begrenzte Rand der Wüste vollenden das Bild.

In Kairo stieg ich zunächst im Indian Family Hotel ab, wo man in englischer Weise lebt und zahlt. Seit etlichen Tagen habe ich jedoch bei einem englischen Schneidermeister Wohnung gefunden, in der ich mich zwei Monate lang behaglich genug fühlen werde.

Den ersten Tag widmete ich der Aufgabe, einen Überblick über die Stadt und ihre Umgebung zu gewinnen.

Der europäische Teil derselben besteht wesentlich aus der Esbekyie, einem großen Platze, dessen Mitte verwilderte Gärten bilden, in welche ägyptische, griechische, italienische und französische Cafés eingebaut sind, während die wenigen europäischen Gasthöfe und eine Reihe düsterer Koptenhäuser den Platz umschließen. Von demselben führt eine lange, enge Straße, die Muski, in das Stadtinnere. Französische Photographen, englische Schneider und Schuhmacher, griechische Geldwechsler, italienische Cafétiers, deutsche Bäcker sind hier zu finden. Die Häuser, stets halb im Bau, halb im Zerfall begriffen, zeigen einen schlechten, halb europäischen Zuschnitt. Die Gasse selbst ist immer zum Erdrücken voll von Eseln und schreienden Eselsbuben, von Kamelen, von Karren, Wagen und Menschen aller Nationen. Ein Teil der Straße ist mit zerlumpten Matten bedeckt, der Boden ungepflastert, das Ganze ebenso fremdartig als anziehend: ein richtiger Torweg ins Innere des Orients.

Schlimmer wird es, wenn man am Ende der Straße um eine zerfallene Moschee biegt und nun in der eigentlich orientalischen Stadt weitergeht. Wunderlich windet sich der Weg durch die hohe, regellose Häusermasse, vorbei an Läden und Moscheen, die in Trümmern liegen, oder an prachtvoll reichen Minaretts, durch das bunte, schreiende und lärmende Gewühl einer bald halbnackten oder in Lumpen gehüllten, bald in kostbarer Seide daherwandelnden Bevölkerung. Nach drei Minuten ist uns jede Himmelsrichtung verloren gegangen und in süßer Betäubung überläßt man dem Instinkt des Esels die Verantwortlichkeit, zwischen zwei Kamelen zerdrückt oder von einem der leise im zolltiefen Staub hinrollenden Wagen überfahren zu werden. Der Eselbube ist glücklicherweise vom Zauber des Orients weniger berauscht und schleudert seinen Herrn mit einem scharfen Schlag auf des Esels Hinterviertel in die nächste Seitengasse.

Zwischen hohen, düsteren Häusern begegnet man hier nur dann und wann einem verhüllten Weibe, einem schläfrigen Fellah oder einem schlafenden Hund. Wenn man die Beine in den Steigbügeln ausstreckt, streift man mit den Fußspitzen fast buchstäblich beide Seiten der Straße.

Aber wieder nimmt das Gedränge zu; man befindet sich in einer andern Hauptader dieses wunderbaren Ungeheuers. Hier haben die oberen Stockwerke der Häuser jene Erker und käfigartigen Ausbauten, teilweise voll reicher Schnitzereien in Holz, teilweise nur aus einfachem Gitterwerk bestehend, hinter dem man die brennend schwarzen Augen wiederfindet, die uns gelegentlich auf der staubigen Straße das Leben hinter Schleiern und Tüchern verraten. Langsam zieht sich der Weg in die Höhe. Der Staub wird tiefer, die Sonne glühender. Man reitet zwischen weißgrauen Festungsbauten, die, wie alles, halb zerfallen, halb unausgebaut sind. Durch drei Tore, über drei Gräben gelangt man in die Zitadelle, und vor uns steht die Moschee Mohamed Alis, deren himmelhohe, nadeldünne Minaretts von Alabaster stets das erste sind, was von Kairo sichtbar wird. Ohne es zu wissen, hat man einen Berg erstiegen. Kairo liegt zu unsern Füßen.

Ich war nicht vorbereitet auf einen solchen Anblick. Unmittelbar unter den senkrechten Mauern der Zitadelle liegt die Stadt – ein weißgraues und graubraunes Gewirr von Häusern, von Kuppeln, von Minaretts, über Hügel sich hinziehend und hohe Sandberge oder Trümmerhaufen umgehend. Weiter hinaus in blaugrünen Tinten erheben sich die Palmen- und Sykomorenwäldchen, die Feigen- und Orangengärten gegen Alt-Kairo, gegen Bulak und Schubra. Dann kommt ein breiter Silberstreifen, mitten durch das Grün der Felder sich hinausstreckend in die blaue Ferne, die sich unermeßlich gegen Norden auszudehnen scheint. Und scharf begrenzt wie das Meeresufer lagern sich im Westen die gelben Hügel der Wüste, wunderbar belebt durch die Pyramiden von Giseh und durch kleinere Gruppen jener geheimnisvollen Reste einer noch immer nicht enträtselten Vorzeit. Denket Euch über dieses Bild mit seinem Reichtum an Formen und einfachen, bestimmten Farben den tiefblauen Himmel, die glühende Sonne, deren Lichtstrom einen breiten goldenen Streifen des Ganzen verschlingt, und die Stille, die aus der nahen Wüste herüberzuwehen scheint, und Ihr habt Kairo von seiner glänzenden Seite.

Den folgenden Tag hatte ich in Schubra meine erste Audienz bei Halim-Pascha, der auch anderwärts großartige Besitzungen haben soll. In Schubra allein stehen gegen zwanzig Dampfmaschinen, die pflügen, Wasser schöpfen, Zuckerrohr zermalmen, Baumwolle reinigen. Halim selbst, ein kleiner, lebhafter, leicht gebräunter Herr, der fließend Französisch spricht, gefällt mir ausnehmend wohl. Er sieht aus, als ob sich mit ihm leben ließe.

Bei der zweiten Zusammenkunft stellte er mich seinem Chefingenieur vor, einem großen, schweigsamen Engländer namens Hollier, bei dem ich sogleich etliche Verbesserungen unsrer Baumwollenkultivatoren bestellte, die in vierzehn Tagen im Gange sein sollten. Dazu machte mein Kollege allerdings ein Gesicht wie ein großes Fragezeichen.

Einige kleine Unglücksfälle, welche unmittelbar vor meiner Ankunft unsre Maschinen trafen, machen mir jedoch viel Kummer, da ich entschlossen bin, das Mühlwerk um jeden Preis im Gange zu erhalten. Das bedenklichste hierbei sind die englischen Arbeiter, die hier Gentlemen spielen wollen und alles tun, um ernstliche Arbeit zu vermeiden. Diese Komödie läßt mir einen baldigen Abschied von Ägypten erwünscht scheinen. In Indien, wo ich mit neuen Leuten anfange, ist die Lage eine andre, und ich werde dafür sorgen, daß sie es bleibt.

Ein Wunder ist es deshalb nicht, wenn ich die prachtvolle Sykomorenallee zwischen Schubra und Kairo zuweilen mit etwas schwerem Herzen durchreite. So schön der Frühling ist und der Nil, der in der Abendsonne brennt, und die Pyramiden, welche von drüben violett auf goldenem Grunde herüberwinken: es liegt ein Gifthauch in der Luft Ägyptens, der mir manchmal bis in die Knochen dringt. Ist es der Moder von sechstausend Jahren, den die Staubwolken aufwirbeln, ist es das Rosenöl in den türkischen Basars, das man mit Gold aufwiegt?

Vorige Woche, nach einer kräftigen Auseinandersetzung mit meinen Engländern, die sich – so verworren sind die Verhältnisse! – hinter den Pascha verstecken, für welchen ich ihnen die Köpfe zurechtsetzen soll, habe ich etwas gefremdelt in dieser neuen Welt. Doch ging's mit einem gesunden Schlafe vorüber, und ich sehe wieder fröhlicher in die sonnenglühende Zukunft. Ein wackerer Deutscher forcht sich nit.


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