Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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101.

Neuorleans, den 10. März 1867.

»Zieh, Schimmel, zieh,« und so weiter. Dies ist vorderhand der tägliche Kehrreim meines Daseins, und wenn der Karren im Dreck stecken bleibt, ist nicht immer der Schimmel schuldig, sondern manchmal auch der Weg. Harte Zeiten!

Der Dampfpflug erreichte nach manchem kleinen Abenteuer schließlich Mr. Marshalls Plantage bei Carolten und begann, bemannt mit einer ausgewählten Truppe wollhaariger Neger, seine regelrechte Arbeit. Es ist keine geringe Aufgabe, diese Kerls und meine Maschinen zusammenzugewöhnen. In Ägypten war's manchmal schlimm genug. Dort aber hatte ich wenigstens die Leute unter dem Daumen, und wenn sie nicht ziehen wollten, so waren Mittel vorhanden, sie in freundlicher Weise auf ihre Pflichten gegen die Menschheit aufmerksam zu machen. Hier, mit den freien Sklaven von gestern, hat dies völkerpsychologische Schwierigkeiten ungewöhnlicher Art.

Während der ersten Woche wohnte ich vollständig auf dem Gut und teilte mit Mr. Marshall das einsame Herrenhaus. Ein silberhaariger feiner Herr, der während des Kriegs durch die Negerbefreiung tausenddreihundert Sklaven, das heißt ein Vermögen von sechshundertfünfzigtausend Dollar, verloren hat. Jetzt beginnt er seine zerrütteten Verhältnisse wieder zu ordnen. Er ist einer der Wenigen, die aus dem allgemeinen Ruin etwas gerettet haben, und ernstlich versuchen, sich über die verzweifelte Stimmung des Landes zu erheben und den Kampf des Lebens mit den dem Südländer so ungewohnten Waffen einer neuen Arbeitsweise aufzunehmen. Es ist in der Tat nicht alles Gold, was glänzt, auch im moralischen Sinne, und die plötzliche, vom Norden erzwungene Befreiung der Schwarzen hat ihre für uns Europäer kaum verständlichen tiefen Schattenseiten – für die Schwarzen ebensosehr als für die Weißen.

Seit drei Tagen haben wir tropisches Regenwetter, verbunden mit einer kalten, nebeligen Luft, die nicht viel hinter London zurückbleibt. Die allgemeine trübselige Stimmung erhielt bei mir noch einen besonderen Nachdruck durch einen Schicksalsschlag, »damit ich auch weiß, warum ich heule!« Mein erster Brief an Fowler aus Neuorleans vom 31. Januar, der größte, den ich in meinem Leben geschrieben, mit Zeichnungen, Beschreibungen und Bestellungen für die Pariser Weltausstellung bezüglich einer Seilschiffahrtsmaschine, die in meinem, de Mesnils und Fowlers Namen ausgestellt werden sollte – dieser Brief wollte in London nicht ankommen. Auf mehrfache Anfrage beim Postamt erhielt ich vorgestern die tröstliche Kunde, daß die ganze Post am 4. Februar zwischen Cincinnati und Neuorleans in einem fürchterlichen Schneesturm verloren gegangen sei. Die Bestellungen waren auf meine Zeichnungen begründet, für die zugleich Patente genommen werden sollten. Gestern und vorgestern kopierte ich nun zähneknirschend die alten Sachen und schickte sie heute einem neuen Schnee- oder Seesturm entgegen. Aber natürlich für die Ausstellung ist es jetzt zu spät, und selbst für die nach Neuyork bestellten Maschinen sind zwei kostbare Monate verloren. »Unstern, diesem guten Jungen« – siehe Uhland.

Ja, er regte sich in den letzten Wochen wieder gewaltig, »Unstern«, der alte, frevelhaft heraufbeschworene Kobold meiner Flegeljahre.

Fürs erste schrieb mir Halim-Pascha in betreff meines Nilprojektes. Ein liebenswürdiger Brief, aber natürlich den Verhältnissen entsprechend, welche derzeit in Ägypten die traurigsten sind. Der Vizekönig geht Halim jetzt mit einem gefälschten Schreiben zu Leibe, worin Halim die Schechs der Sinaihalbinsel zu Hilfe ruft und den Vizekönig zu vergiften verspricht. Überdies stehen die Finanzen des Landes so, daß unter der gegenwärtigen Regierung an kein großes Unternehmen mehr gedacht werden kann. Halim vertröstet daher mich und sich auf eine bessere Zukunft. Wer weiß, ob sie jemals für ihn kommen wird.

Sodann hatte ich den Plan für General Taylors Kanal technisch und finanziell ausgearbeitet und war meiner Sache sicher. Die Seilschiffahrt würde den Unternehmern fünfzig Prozent Betriebskosten ersparen, und ich war bereit, mit Fowlers Zustimmung dieses Ergebnis zu gewährleisten. Aber General Taylor hat kein Geld, und was er hat, kann ihm, wie auch meinem besonderen Freund, General Longstreet, jeden Augenblick mit Beschlag belegt werden. Vor allem aber hat er kein Vertrauen in das Bestehen dieser Welt unter einer Yankeeregierung und will nichts tun, dem erwünschten allgemeinen Untergang vorzugreifen.

Das schlimmste von allem ist, daß mein Dampfpflug so gut geht als nur irgend möglich und ihn jedermann mit staunender Bewunderung betrachtet, daß die sachverständigsten Pflanzer ihre höchsten Erwartungen für übertroffen erklären und daß trotz alldem keiner weder Mut noch Geld hat, anzubeißen. Es muß sich jetzt entscheiden. Kann ich auf zwei Monate lohnende Arbeit für den Pflug bekommen, so bleibe ich hier und zeige den Leuten, wie man nicht bloß den Boden umdreht, sondern auch Geld damit verdient. Wo nicht (denn die Pflugzeit ist eigentlich vorüber), so schüttle ich den Staub von meinen Füßen und überlasse Luisiana, das beste Land in der Welt für einen Dampfpflug, seinem Schicksal.


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