Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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62.

Schubra, den 21. Juni 1864.

Briefe schreiben in dieser Jahreszeit ist ein qualvoll gutes Werk, das mir hoffentlich in einem besseren Jenseits angekreidet wird. Denn die Tinte trocknet unterwegs in der Feder, wenn ich einen großen Buchstaben langsam zu Papier bringe. Beeile ich mich aber, so hängen schwere Schweißtropfen damoklesartig über ihm an meiner Nase. In Kairo hatte man im Innersten der Häuser in den letzten Tagen 40-42 Grad Celsius. In der Sonne war die Hitze nicht mehr meßbar. Eine Nachmittagsfahrt in einem gepolsterten Eisenbahnwagen ist ein dem Fegfeuer entsprechender Genuß, den selbst der Araber, der glückliche Sohn der Sonne, nur unter stöhnenden Seufzern erträgt. Vergangene Woche war ich allerdings in Alexandrien, das um etliche acht Grad kühler ist. Halim-Pascha jedoch, der früher um diese Jahreszeit nach der Seestadt zog, straft sich und seinen ganzen Hofstaat diesmal mit einem hartnäckigen Aufenthalt in Schubra, und zwar aus ganz besonderen Gründen.

Der Vizekönig und wir – das heißt Halim-Pascha – sind sich nämlich nach einem vollen Jahr wunderbaren Friedens in die Haare geraten. Die Ursache war, daß Ismael eine Anzahl Dörfer, die Tussum-Pascha, dem Sohn des vorigen Vizekönigs Said, dem Pflegesohn Halims, gehörten, einfach annektierte. Worauf der große Neffe und der kleine Onkel sich nicht fein die Meinung sagten, und Halim die Präsidentschaft des Staatsrats, die er bisher innegehabt hatte, niederlegte.

Hiermit war das Land in zwei Parteien gespalten, von denen die eine übermütig auf die Gegenwart, die andre sehnsüchtig in die Zukunft blickt; jede wünscht jedoch dem Haupte der andern aufrichtig eine gelinde Dosis Rattengift. Man sprach auch von einer Anklagereise Halims nach Konstantinopel, von der Abberufung Ismael-Paschas, von der Zurückberufung Mustafa-Paschas aus Paris und dergleichen. Von all dem ist im Augenblick nur so viel gewiß, daß Halim-Pascha in Schubra schwitzt, weil sich Ismael-Pascha in Alexandrien abkühlt.

Für mich hat die Sache vorläufig keine persönliche Bedeutung. Allerdings habe ich jetzt keine Aussicht, Bei zu werden, selbst wenn ich die wunderbarste Baumwollensäe- oder -erntemaschine erfinde. Mein Streben nach orientalischen Roßschweifen ist jedoch gering, so daß ich selbst die Zeit nicht berechne, in der wir Vizekönig werden müssen, womit sich gegenwärtig Hunderte im stillen beschäftigen.

Das Nomadenleben spinnt sich indessen ohne Unterbrechung weiter. Ein ewiges Mancherlei ist schließlich auch ein Einerlei. Heute neben einer brillanten Italienerin oder einer lieblichen Tochter Albions im Eisenbahnwagen oder an der besten Gasthoftafel Alexandriens, morgen mit drei oder vier Arabern in einer Nußschale von Boot und im träumerischen Mondschein zwischen Mansura und Damiette den Nil hinabtreibend, heute hoch zu Roß durch die gedörrten Reisfelder des unteren Deltas sprengend, morgen auf dem demütigen Füllen der Eselin zwischen Schubra und Kairo Heilbronner Tagblättchen studierend, heute von dem ersten Fabrikanten Englands mit Schmeicheleien überhäuft, morgen von dem zweiten ohne jegliche Schmeicheleien bestohlen, heute voll weltumstürzender Pläne, morgen an aller Welt verzweifelnd – hätte ich vor vier Jahren nur ein Zehntel von dem erlebt, was mir hier jeder Tag bringt, ich hätte Bände nach Hause geschrieben. Und jetzt weiß ich kaum, was ich Euch schreiben soll und was nicht? Mein letzter Aufenthalt in Mansura hat ein hübsches Stückchen Spitzbüberei aufgedeckt. Als ich den Plan meiner Elefantenrüsselpumpen ausgearbeitet hatte, wurde derselbe – durch wen, weiß ich nicht – einer bekannten großen Firma vorgelegt, die sich höchst ungünstig über den Gedanken aussprach. Dies führte damals zu einem lebhaften Meinungsaustausch mit Fowler und brachte mich sogar in eine etwas schiefe Lage Halim-Pascha gegenüber. Mein Erstaunen war deshalb nicht gering, als ich in Mansura drei soeben für einen gewissen Rachib-Pascha angekommene Pumpen von jener Firma vorfand, die bis in die kleinsten Einzelheiten meinem Plane entnommen sind! Das war denn doch etwas stark. Seit einer Woche schlage ich nach Kräften in Ägypten Lärm und bin soeben im Begriff, auch in England die Alarmtrommel zu rühren.

Bezüglich der Duellgeschichte konnte ich natürlich von Eurer Seite keine Nachsicht erwarten. Und doch bleibt richtig: was einem Götz von Berlichingen moralische Pflicht war, ist je nach Umständen bei einem Geheimen Kanzleirat Sünde und Dummheit; was in Stuttgart mit Recht von dem sittlichen Gefühl verworfen wird, kann in Kairo, in Kalifornien ein unveräußerliches Menschenrecht sein. Wir berühren hier den unvermeidlichen Zwiespalt, in den sich jeder zivilisierte Mensch in einer halbwilden Welt versetzt fühlt. Mit Pflichten streiten Pflichten, und niemand gibt es, der aus diesem Kampf die Seele hätte rein davongetragen!

Ja, das wilde Leben, dem ich mich in die Arme geworfen, hat sein Häkchen! Und wenn ich nach Jahr und Tag vielleicht auf einen Atemzug wieder Albluft genieße oder Jagstwasser trinke, finde ich die alte liebe Heimat wie anders! Großgewachsen, fremdgeworden, aufgeheiratet, tot. – Meine rechte Heimat wird Ägypten nie. Es ist mir zu warm.

Ein Gutes hat diese halbtropische Luft trotz allem: so oft eine Hoffnung abfällt, treibt eine andre nach.


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