Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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34.

London, den 5. September 1862.

Geschäftlich Mitteilenswertes weiß ich heute nicht zu berichten. Deutschland macht mit Dampfpflügen, wie mit allem, höchst bedächtlich voran. Araber, Neufundländer (nicht die Hunde!), die Schwarzen vom Kongo steuern unsre Maschinen lustig über ihren heimatlichen Boden hin und pflanzen Zuckerrohr, Arrowroot und Mais in das tiefere Saatbett dampfgepflügter Felder; der deutsche Bauer wird jedoch »vorderhand« von »zuständiger Seite« für unfähig erklärt, mit dem »komplizierten« Apparat näher vertraut gemacht werden zu können. O Deutschland, Deutschland! wo sind die Früchte deiner Gelehrsamkeit und deiner Denkerstirne? Was wird aus der Saat deiner Volkserziehung und deiner Tausende von Kleinkinderschulen? Es ist wahr, die Bauern von Oxfordshire können nicht schreiben, und die Rekruten aus der Bretagne kaum lesen, doch regieren die einen mit Säbel und Kanone die halbe Welt, und die andern führen Maschinen über die Felder der andern Hälfte, machen Gold aus Kohlen und regieren, was mehr ist, sich selbst.

Das politische Leben dieses merkwürdigen Volkes wird mir mit jedem Tage ein Gegenstand größerer Bewunderung. Trotz der Ausstellung fand ich Zeit, mich mit den Weltanschauungen der verschiedenen Parteien des Landes leidlich bekannt zu machen, und der Sommer war ja an Ereignissen reich genug, um die Presse in gehöriger Bewegung zu erhalten. Die für uns Deutsche fast unfaßliche Freiheit, womit jede öffentliche Handlung, ob sie nun Palmerston oder ein Telegraphenjunge verübt, kritisiert wird, aber auch ein feiner Takt und eine instinktive Rechtlichkeit, mit der man diese Freiheit handhabt, liegt breit und solid unter jeder Parteifarbe. Egoismus ist der Grundzug einer gesunden Volksentwicklung, aber ein gesunder Egoismus sieht im Glück des Nachbarn kein Unglück. Dies ist der ausgesprochene Grundsatz der englischen Presse und das Streben der englischen Politik, soweit sie vom Volksgeist getragen wird. Und wo so, wie hier, jede Handlung unter den Augen von Millionen vor sich geht, kann nicht allzuweit vom Wege des Rechts abgewichen werden. Denn was man auch über den Menschen sagen mag: nimm die Millionen eines gesunden Volks zusammen, lehre sie ihre Freiheit gebrauchen und sie werden den rechten Weg finden, den Gott seiner Menschheit vorgeschrieben hat.

Schade, daß England eine Insel sein und wohl auch bleiben muß!


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