Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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91.

Schubra, den 17. Mai 1866.

Mein letzter Brief von Schubra, wenn nicht wieder etwas dazwischen kommt. Die Pumpen laufen und geben eine Wassermenge, die einen steinernen Kanal, der für sie gebaut war, beim ersten Versuch vollständig über den Haufen warf. Auch ich sollte laufen, und es ist mir zu Mut, als ob ich mehr als steinerne Kanäle über den Haufen werfen könnte. Aber in Ägypten ist eine Woche wie ein Tag, und ein Tag wie eine Woche, und wenn der Mensch nirgends an das Fatum glauben kann, das den Eigenwilligsten ruhig seine Wege führt, so muß man ihn hinterher schicken.

Halim-Pascha, der in die Wüste entflohen ist und Gazellen jagt, die Pumpen aber doch sehen möchte, läßt mich soeben bitten, eine weitere Woche auf seine Rückkehr zu warten. Er könne nicht vor Sonntag zurückkommen. Also wieder eine Woche hingehalten!

Das Unglück ist natürlich nicht groß. Mir wird nur – ein natürliches Gefühl! – mit jedem Tage unbehaglicher zumute. Das ganze Geschäft ist ein Schatten von dem, was es war. Bei den wenigen noch übrigen Arbeitern ist von Energie und gutem Willen keine Rede mehr, und ich selbst muß mir alle Gewalt antun, um nicht ähnliche Zeichen des Verfalls blicken zu lassen. Doch gelang mir's bis jetzt, wenigstens den bösen Schein zu meiden.

Es war ein förmlicher Kampf um meine Stelle, der noch einmal meine ganze Tätigkeit in Anspruch nahm. Noch ist jetzt mein Kandidat siegreich eingeführt. Was mich freut, ist, daß Halim mit meiner Wahl sehr zufrieden ist und sich vor einigen Tagen mir gegenüber aufs Anerkennendste aussprach. Etliche Male habe ich mir die Frage vorgelegt, ob ich nicht am Ende selbst lieber bleiben und mein künftiges Geschick für immer mit Halim-Paschas Schicksal verbinden wollte. Ich könnte angenehm leben, soweit dies in Ägypten möglich ist, und würde im übrigen auf die Zukunft bauen. Mein Gehalt wäre natürlich immer noch mehr, als mir vielleicht in Europa zu Gebote steht, und so hätte die Sache einiges für sich. Aber geistig wäre ich geliefert. Dieser Gefahr möchte ich mich doch nicht aussetzen.

Und so lasse ich denn meinen Orangengarten und den Nil, die Wüste und mein arabisches Roß und gehe wieder einer nebligen Zukunft entgegen, um den alten Kampf mit dem Leben von neuem aufzunehmen. Das Los des Mannes! Glaubet nicht, daß mich dies auch nur einen Augenblick geärgert oder bekümmert hat.

Die Erde hat zwei Halbkugeln; das ist ein Trost.

Abschiedsbesuche und -feste sind in vollem Schwung. Ich lasse mehr gute Freunde und Freundinnen hier zurück, als ich mir träumen ließ. Und noch eins, das bedenklicher hätte werden können als alles andre – seit sechs oder acht Wochen habe ich meine ganze Energie nötig, um nicht verliebt zu werden. Zeitgemäß – nicht wahr? Aber so erriet ich's immer. Doch hoffe ich, mich noch aufs Trockene zu retten.

Über meinen Reiseplan nur so viel: Ende nächster Woche Abreise von Alexandrien nach Triest. Aufenthalt in Venedig drei Tage, ebenso in Wien, wenn keine Batterien im Wege stehen, und dann auf Flügeln der Sehnsucht – heim! Etwa am zehnten Juni könnte ich am Horizont aufsteigen und bei hellem Wetter mit bloßem Auge hinter einem schwäbischen Bierglas gesehen werden. Aber alles hängt von allem ab.


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