Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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74.

Schubra, den 16. Mai 1865.

Meinen Geburtstag feierte ich zu Sakkara in der Stille der Wüste und des vierten Jahrtausends vor Christi Geburt. Es war ein reicher Tag voll wunderlicher Genüsse, die leider nichts gewinnen, wenn man sie auf Papier streicht. Nur zweimal zehn Minuten will ich für Euch aus den vierundzwanzig Stunden ausschneiden, von denen ich die einen über, die andern unter der Erde verlebte. Ihr könnt Euch danach vorstellen, was der Tag mir sonst gebracht hat.

Das seit Stunden sichtbare Ziel eines langen Rittes ist erreicht. Es ist elf Uhr. Die Sonne brennt glühend in dem gelben Sand, müde stolpern die Tiere den kleinen Abhang hinan, auf dem das vielleicht älteste Bauwerk des ältesten Ägyptens steht. Die berühmte Staffelpyramide erscheint, wenn man an Giseh gewöhnt ist, klein, der Eingang ist verschüttet; dagegen zeigt sie das völlig Eigenartige, daß sie sechs, vielleicht sieben große Terrassen bildet und deshalb an chaldäische Formen erinnert. Das Steinwerk ist in zertrümmertem Zustand und sieht in der Nähe dem Schuttberg eines Steinbruchs nicht unähnlich. Mein erstes war, den Gipfel zu erklettern, was ohne Mühe von der nordwestlichen Ecke aus gelang.

Die Rundschau ist hier fast großartiger als die von der großen Pyramide von Giseh, welch letztere gewissermaßen den Grenzstein des Gebiets von Memphis bildet. Hier steht man mittendrin. Eine gelbe Fläche, von Schutt und Wüstensand bedeckt, liegt um den Fuß der Pyramide. Dieses kleine Tafelland, auf dem da und dort Schädel und Knochen schimmern, scheint seit Jahrtausenden von menschlichen Ameisen förmlich durchwühlt worden zu sein und ist die unerschöpfliche Fundgrube der heutigen Altertümler. Nordwestlich, in der Entfernung von einem Kilometer in der Wüste, erscheint ein dunkles, niederes Gebäude – die derzeitige Wohnung Marettes, des französischen Ägyptologen, der für die Regierung Ausgrabungen vornimmt. Links davon, kaum erkennbar an einer zwar modernen, aber höchst primitiven Windevorrichtung, ist der Eingang in die vor kurzem entdeckten Apisgräber. Rechts – etliche weiße Fleckchen lassen den Punkt erkennen – befindet sich der neu ausgegrabene Tempel, dessentwegen ich eigentlich gekommen war. Gegen Osten, vom Fuß unsrer Pyramide bis zum Absturz des Tafellandes gegen das Niltal hin, ziehen sich wellenförmige Sandhügel, Reste kleinerer zertrümmerter Pyramidchen und Grabbauten (Mastabas), neben zahllosen, im Sand trichterförmig erscheinenden Eingängen zu Gräberschachten verschiedener Art. In den Felsabstürzen nach der Talseite hin befinden sich Gräber von Ibismumien, von denen ich schon in Kairo gehört hatte. Dies alles liegt im Vordergrund unsers Bildes. Im Mittelgrund stehen nördlich auf einem ähnlichen Tafelland die drei Pyramiden von Abusir, hinter denen sich endlich die Riesen von Giseh erheben: ein immer großes Bild in seiner Einfachheit der Formen und der ruhigen Verteilung von Licht und Schatten. Nach rechts schweifend sieht das Auge durch die nördliche Öffnung des Niltals in blaugrüner Ferne noch ein Stückchen Deltaland, das östlich vom Mokattam und den kaum erkennbaren Minaretts von Kairo abgegrenzt ist. Die gelben Höhen des ersteren, ein langgestreckter, nach Osten sich senkender Tafelberg mit steilen Abstürzen gegen den Nil hin, allmählich in weit ausgebauchtem Bogen in die Berge von Turra übergehend, bildet mit diesen den malerischen östlichen Horizont. Zwischen diesen Bergen und uns liegen in breiten grünen Streifen das Niltal mit den dunkeln, zierlichen Gruppen seiner Palmen, den grünen Klee-, Zuckerrohr- und Baumwollen- sowie den bereits gelben Kornfeldern, und da und dort, halb versteckt hinter Palmen, seine braunen Fellahdörfer. Diese Fläche, ein Idyll, nur von Ziegen und Kamelen belebt, bedeckt heute das große Memphis, die Hauptstadt eines längst verschwundenen Weltreichs. Nach Süden hin verflachen sich die Wüstenufer des Tals vollständig, und man könnte sich ebensogut einbilden, in dieser Richtung dem Meere entgegenzusehen. Weiter rechts, südwestlich, erscheinen endlich die Pyramiden von Daschur, und von hier bis hinüber nach den Gisehpyramiden, in der nach Westen gerichteten Hälfte des weiten Gesichtskreises, unterbricht nichts die einförmige, nur von fliegenden Wolkenschatten bewegte, unabsehbare Wüste.

Im totesten Wüstensande fand ich das zweite, lebendigere Bild, das ich hier einfügen möchte.

Trotz des lauten Widerspruchs meines Eselsjungen, der schon am lichten Tag Gespenster fürchtete, kämpften wir unsern Weg durch Sand, Lumpen, Mumienknochen und Scherben nach der Stelle, wo ich schon vor zwei Jahren Ibismumien gefunden hatte, denn ich hätte gar zu gern einige dieser wunderlichen Töpfe mitgenommen. Der Eingang in die Höhlen liegt in den östlichen Felsenabhängen des Tafellandes und war von Sand dermaßen verweht, daß nur ein vierzig Zentimeter hohes Loch übrigblieb, hinter dem ein steiler Gang abwärts führt. Ungefähr fünf Meter von diesem Eingang entfernt erreicht man einen senkrechten Schacht, in welchem man, die Beine gegen die entgegengesetzten Wände spreizend, nicht ganz ohne Gefahr hinabzusteigen hat. Ein seitliches Loch im Grunde dieses Schachts führt in eine kleine Kammer. In dieser bemerkt man, nachdem man sein Licht, das die Fledermäuse beharrlich wieder auslöschen, zwei- oder dreimal angezündet, daß der Boden aus den regelmäßig aufgeschichteten Töpfen von Hunderten von Ibismumien besteht, deren zarte Gebeinchen in Lumpen eingewickelt in diesen tönernen Särgen stecken. Gibt es einen Wahnsinn, den die Menschheit noch nicht ersonnen – nein, den die Menschheit nicht jahrhundertelang mit Andacht gepflegt hat? Wieviel von dem, was wir tun und treiben, wird in tausend Jahren gleichfalls Wahnsinn heißen! Vielleicht in diesen Löchern herumzuschlüpfen auch! Als ich auf dem Rückweg das Tageslicht wieder erblickte und die geneigte Ebene hinaufkroch, kam ich in eine der minder angenehmen Lagen, durch welche altertümelnde Diebsgelüste nicht selten bestraft werden. Der Boden des unter fünfzig Grad aufsteigenden Gangs bestand aus leichtem Wüstensand, die Decke, die meinen Rücken fast berührte, trotzdem ich auf dem Bauche lag, aus dem natürlichen Felsen. Den Kopf hatte ich zwar bereits in der Luft außen; aber jede weitere Bewegung, um mich mit Händen und Armen vorwärts zu arbeiten, schaffte nur einen Haufen Sand mehr unter Brust und Leib, so daß ich mich nach einer Minute nutzloser Sisyphusarbeit zwischen Decke und Boden völlig festgerammt fand und mich jede fernere Bewegung, selbst die kleinste, nur noch fester einkeilte. Mein Eselsjunge, den die Gespensterfurcht abgehalten hatte, mich zu begleiten, wartete am Fuß des Abhangs auf mich, ich in meinem Ibismumiengrab auf ihn. Endlich, da seine Geduld weit größer war als die meine, mußte ich mich dazu bequemen, ihm zu rufen. Um ganz sicher zu gehen, holte er zunächst zwei Fellachin aus einem benachbarten Kleefeld. Diese packten mich um ein Backschisch an den Armen und zogen mit Zurücklassung eines Rockzipfels und, nach meinem Gefühl zu schließen, eines guten Stücks meiner Rückenhaut den verunglückten Altertumsforscher samt zwei Ibissen glücklich heraus.

Nun aber sagt nichts mehr von Gefahren im Umgang mit Maschinen, vor denen mich ein Leben der Wissenschaft bewahrt hätte.


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