Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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117.

Neuorleans, den 8. Dezember 1867.

Seit drei Tagen bin ich wieder hier und begrüßte mit Freuden drei Viertel meines Eigentums, das ich bei meiner Abreise im letzten März im Stiche gelassen hatte, und mottenzerfressen, sonst aber wohlverwahrt wiederfand. Jetzt habe ich umgekehrt einen Teil in Philadelphia, einen andern in Neuyork, einen vierten in London und den letzten bei Euch liegen. Etliche Kleinigkeiten sind auch noch in Leeds und einiges in Kairo. Ihr wundert Euch, wie diese Art von Wirtschaft eigentlich geführt wird und wie ich meinen wertvolleren Besitzstand erhalte. Ich wundere mich auch; die Sache ist aber einfacher, als sie aussieht, und besteht wesentlich aus einem kindlichen Vertrauen in eine gütige Vorsehung, welche auch die Koffer auf der Eisenbahn nicht vergißt, und einem unbegrenzten Glauben an die Ehrlichkeit des abgefeimtesten Volkes der Welt. Die Erfahrung zeigt, daß auch in diesem Falle der Glaube Wunder wirkt und bis zu einem gewissen Grad selig macht.

Ich hätte diesmal gern meinen Weg durch die Südoststaaten genommen, Richmond, Atlanta und Mobile berührend. Da ich jedoch in Illinois nach meinem dortigen Erstlingspflug sehen wollte, so blieb ich in einem ähnlichen Geleise wie das letztemal – durch Maryland, Westvirginien und Ohio nach Cincinnati; dann über Indianapolis und Lafayette nach Dekatur. Dort, im Staat Illinois, lebt nämlich der besagte Pflug, der jetzt einem General Walker gehört.

Als ich morgens um vier Uhr in Dekatur ankam, war die ganze Welt in einen entsetzlichen Schneesturm verwickelt, und die drei Tage, die ich in dem geographischen Zentrum von Illinois zubrachte, waren bitterkalte, regelrechte Wintertage. General Walker, ein alter Soldat der Konföderierten, der nach einem bunten Leben in Texas und Mexiko das Schwert mit dem Pflug vertauscht hatte, war erst vor kurzem in den Besitz der Maschine gekommen, da wegen der Fieberepidemie die Mississippischiffahrt zwei bis drei Monate lang vollständig unterbrochen war. Der heranrückende Winter ließ ihm nur eine Woche Zeit, seine ersten Versuche auf dem ihm und uns neuen Boden zu machen, deren Ergebnis jedoch zu den besten Hoffnungen für das nächste Frühjahr berechtigt. Was sonst das Leben in Illinois betrifft, so machte der sogenannte »Gartenstaat« der Union auf mich einen noch trostloseren Eindruck als im vergangenen Frühjahr, was viel heißen will. Eine Prärie, in ein unabsehbares Feld abgestandener Welschkornstöcke verwandelt, am fernen Horizont mit einem graubraunen Waldsaume verbrämt, dessen schnurgerade Linie hier und da unterbrochen ist, um die Welschkornperspektive ins Unendliche fortzusetzen, das ist ein Bild, wie es Dante in seiner »Hölle« nicht zu erfinden vermochte. In diesem Paradiese stehen sogenannte Städte in ungefähr gleichen Abständen, eine wie die andre, die Straßen buchstäblich genau nach Nord und Süd, Ost und West gerichtet, häufig von zwei Eisenbahnen berührt, die sich genau in der Mitte der Stadt unter einem genau rechten Winkel schneiden. Jedermann sieht jedermann schon meilenweit kommen und jedermann sieht jedermann gleich. Diese Städte haben alle zehntausend Einwohner und vergrößern sich sämtlich mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Alles baut Welschkorn, alles ißt Welschkorn, und der scheinbar einzige Gedanke von jedermann ist Welschkorn. Die Häuser haben die dünnstmöglichen Bretterwände. Alles ist neu und weiß angestrichen, und alles zerbrochen. Der Waschstand hat drei Beine, der neue Strohsessel ein zerrissenes Netz, die Türschnallen liegen auf dem Boden, der Wind pfeift durch tausend Ritzen aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer, manchmal auch umgekehrt. Die neuen Öfen haben noch keine Röhren, und der Abort ist ein gesonderter Pavillon, eine halbe Meile Süd-Süd-Ost vom Mutterhaus. Denn alles wird nach den Himmelsgegenden angegeben, und man muß ein halber Seemann sein, um sich zurechtzufinden. »Wo ist die Post?« – »Vier Blocks (Häuserviertel) Süd, sieben West!« – »Haben Sie meinen Hund nicht gesehen?« – »Er lief eben an mir vorbei, ging Nord-Ost!« Und die Menschen scheinen wie überall dem Lande angepaßt zu sein. Nichts Öderes, Flacheres, Leereres als eines dieser stummen Mittagessen in einem dieser stummen Gasthöfe. Das alles ist freilich nur der erste Eindruck, und der Unternehmungs- und Erfindungsgeist der Leute von Illinois, der in Chikago hervortritt, steht in merkwürdigem Widerspruch zu diesem peinlichen Bild geistiger und physischer Flachheit.

Durch Mississippi und Luisiana flog ich natürlich. Die mitteilsamere Natur der Südländer gab mir jedoch Gelegenheit, schon während der Fahrt einiges von dem augenblicklichen Zustande des Landes zu erfahren. Das letzte Jahr hat leider die Verhältnisse nicht gebessert. Alles liegt vollständig danieder. Die »Rekonstruktion des Südens«, das heißt die Sicherung der Herrschaft der republikanischen Partei mit Hilfe einer auf Bajonette gestützten Negerherrschaft, fängt an, bittere Früchte zu tragen, nicht bloß für den Süden, sondern für die ganze Union. Die Schwarzen wollen lieber verhungern, als um Löhne arbeiten, die bei den gegenwärtigen Preisen von Baumwolle und Zucker möglich sind, und so liegen die schönsten Güter Mississippis brach. Jeder Ballen Baumwolle, der geerntet wurde, ergab in diesem Jahr für die Pflanzer einen runden Verlust. Die Neger können das nicht begreifen, die radikalen Demagogen schüren die bittere Stimmung, die natürlich auf der andern Seite auch keine süße ist, und so wird die Frage eines Rassenkriegs zurzeit mit mehr Ernst verhandelt wie je zuvor. – Und dabei soll ich im Frieden dampfpflügen!


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