Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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20.

Leeds, den 22. September 1861.

Die ersten vierzehn Tage sind vorüber. Ich fange an, die Schwielen, die sie mir eingebracht haben, mit etwas geringerem Erstaunen zu betrachten. Es wird nun, so Gott will, für ein paar Monate alles seinen geraden wenn auch nicht glatten Weg gehen; ich werde weniger Mannigfaltiges zu berichten haben als bisher, und manchmal einen trüben Sonntag finden, an dem ich Euch mit gewünschter Genauigkeit schreiben kann, wieviel Hemden ich wöchentlich verschwärze und was sonst noch mein nur allzu deutsches Herz beschwert.

Eure Vermutung, daß ich in einer meinem bescheidenen Gehalt minder entsprechenden Weise genötigt sein werde, den Gentleman zu spielen, ist grundlos. Es sind mir vielmehr durch das Gegenteil einige Unkosten erwachsen, indem mein erster Gang einem Kleiderladen galt, in welchem ich einen englischen Arbeiteranzug erstand; der zweite einem Schwarzwälder Ührchen, des ebenso ungentlemanmäßigen Weckers wegen. So ausgerüstet sah ich mutig dem Schicksal entgegen, und mein einziger stiller Kummer war, daß und ob ich meine Meißel selbst zu machen habe? Denn Schmieden ist und bleibt mir ein Greuel, seit mir vor Zeiten mein erster Meißel aus der Zange sprang und ein Stück aus der Nase riß.

Die Arbeitszeit in englischen Maschinenfabriken ist zehn Stunden, zwei weniger als in den meisten süddeutschen, von 6 – 8, von 8 ½ – 12 und von 1 – 5 ½ Uhr. Gewöhnlich arbeiten die Leute dann noch abends von 6 – 8 bei erhöhtem Lohn. Ich wollte dies nicht tun, um meine Abende für technische und sprachliche Studien frei zu halten. Ein boshaftes Geschick mußte mich aber einer Arbeitergruppe zuteilen, die mit einer drängenden Arbeit betraut war, und so hatte ich das Vergnügen, gleich in der ersten Woche, in der mir noch alle Rippen krachten, »Überzeit« arbeiten zu dürfen. Ein leichtes gastrisches Fieber, das ich gleichzeitig mit mir herum trug, vielleicht die Folge der ungewohnten Kost, machte dies nicht angenehmer. Doch erhielt mich eine Schlossersportion Rhabarber auf den Beinen.

Die Hand, der treue, von den Gelehrten, welche sie nicht zu gebrauchen wissen, so oft verachtete Knecht, verlernt nicht so schnell als der Kopf. Mit Vergnügen bemerkte ich dies gleich am ersten Tage, und mit Stolz empfand ich's, als mich mein Obermonteur, dem ich scheint's nur als ein herumbestelnder Gentleman vorgestellt worden war, fragte: »It seems, you have been in the trade before?« (»Es scheint, Sie gehörten zum Handwerk?«). Übrigens bekommt man die Meißel geschmiedet.

Zwei Monate Werkstattleben werden mich nicht gereuen. Vieles in den hiesigen Arbeiterverhältnissen, das mir neu ist, hätte ich nie auf einem andern Wege erfahren, vor allem die Tatsache, wie gering der Unterschied in der Art des Arbeitens ist, in dem wir in Deutschland häufig und fälschlicherweise das Übergewicht der englischen Industrie suchen. Manchmal sieht man von unten, z. B. vom Schraubstock herauf, tiefer in die Verhältnisse hinein als von oben. Auch in sprachlicher Beziehung ist der Schraubstock kein schlechter Lehrmeister. Ich lerne das Englisch verstehen, das ich brauche. Endlich, wenn ich je wieder in mein vielgelehrtes Vaterland zurückkomme, kann ich den Leuten ein paar rauhe Hände zeigen, die englisches Eisen gemeißelt und englischen Boden gepflügt haben. Das macht trotz allem Eindruck in der Heimat der Theorien und der Schulweisheit.

Im übrigen führe ich ein einfaches Leben. Ich schlafe, frühstücke, esse zu Mittag und zu Nacht in einem und demselben Haus, bei einem Porträtmaler, der heimlich auch Zimmer anstreicht. Für Wohnung und Kost, Heizung, Wäsche, Licht und Bedienung bezahle ich ein Pfund wöchentlich und habe für Kleider, Schuhe, Vergnügen und Bier ein halbes Pfund übrig und keine Zeit dazu. Doch habe ich mir seit gestern ein Piano gemietet. Harte Zeiten kann ich nicht aushalten ohne Musik.


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