Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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Einleitung

Wie man vor einem halben Jahrhundert Ingenieur wurde

Aus der Kinderzeit.

Einen gebahnten, mit Ecksteinen, Wegzeigern und Warnungstafeln versehenen Weg wie heute gab es damals noch nicht. Die meisten begannen damit, an einem halbverbrannten, halbzerfaserten Strick eines Blasebalges zu ziehen und gelegentlich vom Obergesellen eine Ohrfeige zu erhalten, wenn sie beim behaglichen Schein des Schmiedefeuers darüber einnickten. Auf der Wanderschaft mochte sie dann der Gott, der Eisen wachsen ließ, in die Werkstatt eines strebsamen Schlossers führen, der sich mit dem kühnen Plane trug, eine Dampfmaschine zu bauen. Vielleicht stand er schon nachdenklich vor dem ersten, reichlich mit Löchern und Blasen geschmückten Gußstück der künftigen Maschine und überlegte sich, ob er es wegwerfen müsse oder von dem neuen Gesellen ausflicken lassen könnte. War der Geselle ein geschickter Bursche, so begann er zu bohren und zu meißeln, zu feilen und zu schaben, und wurde schließlich einer der großen Ingenieure der vorvorigen Generation: ein alter Borsig, ein alter Hoppe, ein Riedinger, ein Kuhn und wie sie alle hießen.

Andre begannen anders und wurden zumeist kleinere, wenn auch gelehrtere Ingenieure. Man zerbrach sich in ihren Kreisen den Kopf nicht wenig: weshalb die Dinge sich so wunderlich gestalteten und nicht sie die größeren, die Schlosserlehrlinge die kleineren wurden; aber mit geringem Erfolg. Man verstand nämlich damals in Deutschland den Unterschied zwischen Wissen und Können noch weniger als heutzutage. Schließlich mußte man sich mit dem Gedanken trösten, daß der schulgerecht gebildete Ingenieur doch auch dazu gehöre, ja, ohne ihn nicht viel ausgerichtet werden könnte. Es ist dies mit der Zeit wesentlich anders und besser geworden. Wohin wir noch gelangen werden, wenn einmal eine genügende Anzahl von Doktoren der Ingenieurgelehrsamkeit in die Zahngetriebe der Technik eingreifen werden, ist gar nicht abzusehen.

Von einem dieser Art erzählt das vorliegende Buch; allerdings nicht von einem Doktor: dieses Zöpfchen ist erst später Mode geworden. Und da solche Leute sich notgedrungen an ein einigermaßen geordnetes Denken gewöhnen mußten – von Logik brauchten sie nichts zu verstehen, denn diese, soweit sie für ihr Schaffen nicht hinderlich war, stellte sich von selbst ein –, will ich wenigstens andeutungsweise mit dem Anfang beginnen.

Meine Kinderjahre verlebte ich in Schöntal, einem kleinen Nestchen von wenigen Häusern in einem waldreichen Winkel an der Jagst, im weltabgeschiedensten Teil Württembergs. Dort steht der stattliche Bau eines früheren Zisterzienserklosters, in welchem heute eines der vier evangelischen Seminarien des Landes untergebracht ist, das gegen vierzig junge Leute im Alter von vierzehn bis achtzehn Jahren beherbergt. Mein Vater war daselbst als Professor tätig, sein Lieblings- und Berufsstudium Griechisch und Geschichte, und ich zunächst sein einziges, nicht allzu hoffnungsvolles Söhnchen. Mein Großvater war Professor am Gymnasium zu Heilbronn, der nächsten, etwa sechsunddreißig Kilometer entfernten Stadt. Seine Spezialität war Lateinisch und Hebräisch. Bei ihm durfte ich meine Ferien zubringen. Das war die Luft, in der ich aufwuchs; und doch wird es mir schwer, über die Poesie jener grünen Klostereinsamkeit mit Stillschweigen wegzugehen.

Die Zöglinge zu Schöntal sind die heranwachsenden Geistlichen Württembergs. Lange ehe ich alt genug war, in das Seminar einzutreten, lag es schon aus diesem Grunde in dem Plan meiner Erziehung, daß ich den Weg beschreiten sollte, den Vater und Großvater gegangen waren, und den jede fromme Mutter ihrem Erstlinge wünscht. Die Wahl zwischen Theologie und Philologie stand mir frei. Ich wußte es selbst nicht anders, so sauer es mir fiel, die anfänglich so trockene und steinichte Straße des klassischen Wissens emporzuklettern. Bei diesem Punkte wird mir das Stillschweigen fast zur angenehmen Pflicht.

Wie alles anders kam, als es die treue Fürsorge meiner Eltern geplant hatte, gehört zu den Geheimnissen von Natur und Leben, die noch kein Forscher zu ergründen vermochte. Auch ich will nicht versuchen zu erklären, wie der Trieb erwachte, der mich unwiderstehlich auf eine Bahn drängte, von der man in meiner ganzen Umgebung kaum eine Ahnung hatte, noch werde ich erzählen, wie sich eins ans andre fügte, bis ich meinen Weg gefunden hatte. Nur andeuten möchte ich, wo und wie der erste Funke des neuen Feuers, des Geistes unsrer Zeit, auf mich fiel, um bald zur hellen Flamme zu werden, die mich durch ein langes, nicht müheloses Leben warmgehalten hat.

Ein schmaler, waldiger Bergrücken trennt bei Schöntal das Jagst- vom Kochertal. Das nächste am Kocher gelegene Dörfchen ist Ernsbach, wo seit alter Zeit, von der Wasserkraft des kleinen Flusses getrieben, ein Eisenhammer in Tätigkeit ist: die einzige Spur industriellen Lebens, die weit und breit in jener von allem Verkehr abgeschnittenen Gegend anzutreffen war. Ich mochte neun Jahre zählen, als ich meinen Vater bei einem Besuch des Besitzers jenes bescheidenen Hammerwerks begleiten durfte und mit weitaufgerissenen Augen die Wunder anstarrte, die mir dort zum erstenmal entgegentraten. Der dickköpfige, eifrige Hammer, das sprühende Eisen, das geheimnisvolle, keuchende Zylindergebläse, das ganze Leben und Lärmen in der schwarzen Werkstätte erfüllte mich mit einem wunderlichen Gemisch von Schauder und Entzücken. Ich wußte nicht, was ich mit den wirren Gedanken in meinem kleinen Kopf und mit dem mächtigen, tatendurstigen Gefühl in meinem kleinen Herzen anfangen sollte und ging an der Seite meines Vaters, dem ich nicht erklären konnte, was ich selbst nicht verstand, schweigend durch den Wald, den wir auf unserm Heimweg zu durchqueren hatten. Er dachte wohl, daß dieser Besuch nicht wiederholt werden dürfe, denn beim Konstruieren von Cornelius Nepos am folgenden Morgen war ich vernagelter – dies war der übliche Kunstausdruck – als je.

Ich allerdings dachte anders. Vierzehn Tage später folgte auf eine häßliche Regenwoche an einem Sonnabend der erste sonnige Frühlingsnachmittag. Diese Nachmittage waren gewöhnlich den Vorbereitungen auf die Lektionen der kommenden Woche gewidmet. Mein guter, für meine körperliche und geistige Entwicklung stets besorgter Vater riet mir, den Cornelius Nepos mit in den Wald zu nehmen und dort, das Angenehme mit dem Nützlichen verbindend, die auf Seite 28 bis 33 unterstrichenen Wörter meinem Gedächtnis einzuprägen. Ich gehorchte mit verdächtiger Bereitwilligkeit, legte den Nepos unter einen mir wohlbekannten flachen Stein am Waldsaum, wo ihm nichts geschehen konnte, und lief gebückt wie ein von Hunden gehetztes Rehböcklein durch das Dickicht den Berg hinan. Es verfolgte mich niemand als das böse Gewissen, und selbst dieses gab die Verfolgung auf, als ich am oberen Bergrande aus dem Gebüsch trat und nun behaglich über Wiesen und Felder schlenderte, ja sogar gelegentlich stillstand, um die schmetternden Lerchen im Blau des Himmels zu suchen. Dann ging's wieder durch den Wald, fast eine Stunde lang. Den Weg hatte ich mir genau gemerkt und zögerte keinen Augenblick, wenn mir auch in einer Schlucht, wo der zum Versinken schmutzige Pfad einen rauschenden Bach kreuzte, etwas bange wurde. Der Wald war doch länger, wenn man allein ging, als ich mir in meinem Eifer vorgestellt hatte. Ich rannte zuletzt wieder, aus Besorgnis, das Ende nie zu erreichen. Doch endlich und plötzlich wurde es helle. Ich stand am Rand der mit schlechtgepflegten Weinreben bepflanzten, steil abfallenden Berghalde des Kochertals und dort unten, im Grün fast begraben, lag das Ziel meiner kindlichen Sehnsucht.

Ein liebliches Bild: das Dörfchen mit den braunen Dächern an dem kleinen, da und dort aufblitzenden Flüßchen, die schmale Talsohle in frischem Wiesengrün, jenseits die schroff ansteigenden Hügel, bedeckt von waldumkränzten Feldern, darüber am Horizont die blauen Langenburger Berge, aus unbekannter sonniger Ferne herüberwinkend. In der ganzen idyllischen Landschaft fesselte mich jedoch nichts als dort unten, am Ende des Dorfs, ein trüber, braungrauer Fleck – schmutzig hätten ihn andre wohl genannt –, hinter dem einige größere Gebäude kaum zu erkennen waren. Es war Rauch, der schwer und dick aus zwei plumpen kurzen Schornsteinen quoll, der Rauch meiner Hammerschmiede.

Ringsum lag alles in nachmittäglicher Stille. Man hörte die Grillen zirpen, und zwei Pfauenaugen tanzten am nächsten Steinriegel auf und ab, ohne mich zu reizen. Ich legte mich hinter einem Dornbusch auf die Lauer, ja ich drückte das Ohr kunstgerecht auf den Boden, wie ich's aus Indianergeschichten gelernt hatte. Doch blieb dieses Verfahren ohne Erfolg.

Plötzlich aber pochte es unten im Tal laut genug: »Tapp, tapp, tapp, tapp,« hastig, dumpf, zwei Minuten lang. Wie mich's rief und lockte! – Dann kam eine lange Pause, als ob mein Freund auf Antwort wartete. Hätte er hören können, wie mein kleines Herz klopfte, der gutmütige, trutzige, dickköpfige Hammer! – Jetzt rief er wieder: »Tapp, tapp, tapp, tapp!« Diesmal nur kurz, wie wenn er vorhin etwas vergessen hätte. – Darauf folgte eine schier endlose Stille. War er mit allem fertig? Hatte er mir nichts mehr zu sagen, der arbeitslustige Geselle? – O nein; es ging wieder los: fünf ganze Minuten lang, als könnte er nicht mehr aufhören, wie toll vor Eifer: »Tapp, tapp, tapp!«

Er dachte wohl gar nicht mehr an mich; er war zu sehr beschäftigt! – Das war ein andres Schaffen, als wenn ich Wörtchen aus dem Cornelius Nepos klaubte, um sie wieder zusammenzusetzen wie in einem Geduldspiel. – Tapp, tapp, tapp! – Ein wenig einförmig, ja! Aber das Feuer, mit dem der brave Hammer draufklopfte, und das Wasserrad und das Zahngetrieb, die ihm halfen! – Wie der rote Eisenklumpen sich dabei dehnen und strecken mochte! Das konnte ich allerdings nur vermuten, aber ich sah es so deutlich wie den Hammerkopf, der vor Eifer so rot wurde wie das spritzende Eisen selbst. – Jetzt wird der runde Klotz viereckig, und der viereckige länger und länger; er wird schon eine Stange, die man zu allem brauchen kann, was das Herz begehrt – zu einer Wagenachse, zu einem Blitzableiter, wer weiß zu was noch! – Das fühlte das Hämmerchen wohl; kein Wunder, es war so eifrig. Wüßte ich, zu was man den Cornelius Nepos brauchen kann, wer weiß, ob ich nicht ebenso eifrig wäre! Aber das konnte ja kein Mensch wissen! – »Tapp, tapp!« rief ich laut dem Hammer in seiner eignen Sprache zu. Sie war so viel leichter und lustiger zu erlernen als die des Nepos. »Tapp! tapp! tapp!«

»Tapp, tapp, tapp,« äffte eine rauhe, höhnische Stimme über mir, und eine schwere Hand legte sich auf meine Schulter. »Was der Kuckuck treibst denn du da, Bub'! Woher bist du? Wem gehörst du? Rede gestanden! Mit tapp, tapp ist bei mir nichts zu machen.«

Ich war ein kleines erschrockenes Bürschchen von kaum neun Jahren, verschmiert und verspritzt bis über die Ohren, denn in den aufgefahrenen Waldwegen hatte das Wasser fußtief gestanden. Zitternd sah ich an einem »Landjäger« hinauf, der seinen fürchterlichen Schnurrbart drehte und das Gewehr klirrend auf den Boden stieß. Es wollte mir nichts einfallen. Auch fühlte ich, daß der Mann mich nicht verstanden hätte, wenn mir auch alles Erdenkliche eingefallen wäre, selbst wenn ich ihm gesagt hätte, daß von drunten im Tal mein bester Freund heraufsignalisiere und gerade jetzt aufs emsigste drauflostappe.

»So – aus Schöntal bist du! Dem Professor Eyth gehörst du,« schnauzte der Mann. »Dummheiten gemacht! Durchgebrannt! Schon gut! – Auf dem Weg nach Schöntal bin ich selbst. Na, na! Gut, daß ich dich erwischt habe. Dein Vater wird dir schon die Lust an dem Tapp, tapp austreiben. Rechtsumkehrt! Vorwärts marsch!«

Der Unhold hatte kein Erbarmen. Wie ein ausgewachsener Verbrecher marschierte ich auf dem langen Rückweg vor dem Vertreter der Staatsgewalt her, manchmal leise schluchzend, streckenweise in stummem Jammer mein gräßliches Schicksal betrachtend. Als wir in der Abenddämmerung Schöntal unter uns sahen, legte ich mich aufs Bitten: »Lassen Sie mich los, Herr Landjäger! Wenn mich die andern Buben sähen! Ich gehe ja schon von selbst heim!«

Es half nichts. Höhnisch lächelnd richtete er die Mündung seines Gewehres auf meine gefährdete kleine Rückseite und donnerte sein: »Vorwärts marsch!« laut genug für drei Raubmörder. Unter dem Tor des Klosterhofs begegneten uns meine sämtlichen Schulfreunde, drei Mann hoch, jeder mit einem Cornelius Nepos unter dem Arm. Sie schlossen sich staunend, wenn auch etwas verschüchtert, der unerhörten Prozession an. An einem wohlbekannten Fenster des Klosterbaus glaubte ich für einen Augenblick meine Mutter zu sehen, die aber, wie mir schien, mit einer Gebärde unsäglichen Schmerzes sogleich wieder verschwand. Natürlich, dachte ich, verzweifelnd, sie holt den Vater. »Vorwärts, vorwärts!« brummte mein Henker.

Kein Wunder, daß mich das überwältigende Elend völlig betäubte. Ich lief jetzt, so daß der Landjäger Mühe hatte, mir zu folgen, und sah und hörte nichts mehr. Nur in meinen Ohren summte es lauter als je: »Tapp, tapp, tapp, tapp!« Es war ganz deutlich und tröstlich dazu. Wie wenn mein lieber neuer Freund mich in all diesem Jammer nicht verlassen wollte.

Als mich der Ortsvorsteher, Klostermüller und Bäcker zugleich, unter seiner Backstubentüre stehen sah, lachte er hellauf und hieß den Herrn Landjäger zu meinem freudigen Erstaunen ein Rindvieh. Zu mir aber sprach er: »Mach daß du heimkommst, Büble, und laß dich waschen. Richt auch einen schönen Gruß an deinen Vater aus; er soll dich das nächstemal bester hüten.«

Tapp, tapp, tapp! Wie ich lief! Mein Vater begegnete mir schon auf halbem Wege und ließ mir nicht Zeit, den Gruß auszurichten. Tapp, tapp, tapp! Nur eins freute mich heimlich, selbst in der Bitternis dieser Stunde: Mein Cornelius Nepos mußte heute die ganze kalte Nacht unter einem Stein im Wald zubringen. Tapp, tapp, tapp!

Ob ich auf der Bergkante über dem Kochertal oder erst im weiteren Verlauf jenes Nachmittags Ingenieur wurde, weiß ich nicht genau. Aber an jenem Tag geschah's, und das Tapptapp meines fernen eisernen Freundes ist mir eine Art Wahlspruch geworden, der sich in guten und bösen Zeiten leidlich bewährt hat.

Allerdings kam später noch einiges andre dazu.

Zunächst jahrelang das unablässige Bestreben, kleine Eisenhämmer aus Holz zu bauen, die, wenn sie an heimlichen Bächlein aufgestellt waren und zu klopfen anfingen, von andern bösen Buben entdeckt, bewundert und dann mit Steinwürfen zerstört wurden. Ernster wurde die Sache, als ich, noch etwas zu jung, im Seminar neben den vollwertigen Zöglingen hospitieren durfte und von Cornelius Nepos zu Ovid und Horaz aufgestiegen war. Eine gütige Vorsehung muß es gewollt haben, daß einer der Unterlehrer der Anstalt Mathematiker war und die Wärme einer trockenen Begeisterung für die einzigen Wahrheiten, die nie angezweifelt werden können, fühlbar um sich verbreitete. Diesem Manne verdanke ich mehr als das stille Glück meiner reiferen Knabenjahre. Schon nach den ersten Lektionen war mein Entzücken über das, was sich mir hier auftat, grenzenlos. Freudig-schlaflose Nächte lang schob ich gerade Linien und Kreisbögen und später Ellipsen und Hyperbeln im Kopfe hin und her, um selbsterfundene Probleme zu lösen, und mit jedem Tag mehr versank für mich die klassische Welt in schönem, wesenlosem Scheine. Obgleich Philologe von altem Schrot und Korn, war mein Vater ein ungewöhnlich verständiger Mann, dem ich das Beste verdanke, was der Mensch dem Menschen geben kann: meine Freiheit. Er glaubte jetzt zu wissen, was mit mir anzufangen sei, ließ die alten Zügel am Boden schleifen und dem jungen Füllen seinen Lauf.

Darauf folgte das Polytechnikum der fünfziger Jahre: Theorien auf gründlicher mathematischer Unterlage, und ein etwas nebliger Ausblick in die ferne Praxis. Die damals nur halb studentischen Freuden der Jugend zügelte ein ernstes und lebhaftes Gefühl, daß wir jungen Leute einer großen Zukunft entgegengingen, von der die Alten um uns her, die uns im allgemeinen mitleidig belächelten, keine Ahnung hatten.

Dann nach der feucht-fröhlichen Studienzeit ging es mit zusammengebissenen Zähnen durch ein herbes Jahr am Schraubstock, unnötig gequält, heilsam verhöhnt, wund an Leib und Seele. Man fühlte sich zu alt für das kleine Elend des Tages und schämte sich dabei, daß es manchmal so groß erschien. Aber man verlor trotz Rauch und Ruß, trotz Schweiß und Schwielen nicht den Ausblick in die unbekannte Zukunft mit ihrer Arbeit und ihrer Größe und ihren glücklich gelösten Aufgaben, und hielt aus.

Allerdings klang der Ruf ins Zeichenbureau wie eine Erlösung, denn man fühlte zu schmerzlich, daß man doch nie ein tüchtiger Schlosser geworden wäre. Nun aber brachte rascher und rascher jeder Schritt eine kleine Tat, ein Werk, das man sehen und greifen konnte, ein losgelöstes Stück des eignen Ichs, das fortwirkte, wenn man es selbst schon längst vergessen hatte.

Damit schließe diese Einleitung. Was mir später ein buntes Leben brachte, auf das ich heute mit wehmütiger Freude zurückblicke, erzählen, allerdings nur andeutungs-, immer nur bruchstückweise, die folgenden Auszüge aus Briefen und Aufzeichnungen, die meist mitten im Sturm der Arbeit entstanden. Mit wehmütiger Freude, sage ich, denn sie zeigen mir nur zu deutlich das Vergängliche im eignen Fühlen und Denken, und dem Leser von heute, wie alles in einer kurzen Spanne Zeit anders werden kann. Doch mag es auch manchen, wie mich, erfreuen, in einer Stunde der Muße einen Blick auf den Weg zu werfen, den wir Ältere seinerzeit hoffnungsvoll gegangen sind, und der unsre Hoffnungen, wenn wir heute um uns blicken, nicht zuschanden werden ließ.


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