Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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2.

Berg, den 26. Oktober 1859.

Zeichnen ist unter Umständen ein tiefes, stilles Vergnügen, Konstruieren ein hoher, aufregender Genuß. Ich bin um eine weitere Erfahrung reicher: Selbst eine Winterreise nach einem halben Jahr seßhaften Bureaulebens erwärmt das Blut. Ihr wundert Euch, was mich so spät im Jahr nach dem Schwarzwald trieb. Auch das müssen wir noch lernen: Dem Ingenieur blüht kein Frühling; auch kennt er keinen Winterschlaf. Sonne, Mond und Sterne dürfen ihn nicht aufhalten. Fährlichkeiten zu Wasser und zu Land sind sein tägliches Brot. Laßt mich erzählen!

Zu Steinen im Wiesental steht seit einem Jahre in einer der Spinnereien des Oberst Geigy von Basel eine von uns gelieferte Wolfsche Dampfmaschine mit drei gewaltigen Kesseln. Die Garantiezeit ist am Ablaufen und deshalb der Zeitpunkt kritisch. Unsre Arbeiter hatten sich voriges Jahr mit den Direktoren, Spinnmeistern und andern Personen der Spinnerei überworfen und dadurch mißliche Verhältnisse auf die Spitze getrieben. Nun will es das Unglück, daß ein Teil der Maschine bricht. Die Besitzer sind außer sich. Man schickt spornstreichs unsre besten Monteure. Der Schaden ist nach einer Woche behoben, aber, wie nichts allein kommt, so laufen wenige Tage später die kläglichsten Berichte in betreff der Dampfkessel ein, die in unerklärlicher Weise rinnen sollen. Man munkelte schon von neuen Kesseln, die man verlange, ein Verlust von zehntausend Gulden für die Fabrik!

Um neun Uhr kam der letzte bedrohliche Brief. Die Sache war rätselhaft. Man vermutete, daß ein Teil der Einmauerung vergessen worden sei, wodurch die Kessel ungleich erhitzt und durch die ungleiche Ausdehnung der Bleche das Rinnen verursacht werden konnte. Um elf Uhr war ich im Schnellzug. Meine Hoffnung war, durch Änderung des Mauerwerks dem Übel abhelfen zu können.

Freilich, eine solche Reise macht man immerhin mit einem andern Gefühl als dem einer Ferienreise. Ich durchfuhr das lange badische Land, war eine kurze Viertelstunde in Basel und kam noch bis Lörrach im Wiesental, wo ich übernachten mußte.

Den andern Morgen war in Steinen mein erster Gang nach dem Maschinenhaus. Nur einer der Kessel war in Tätigkeit. –

O meine Lieben! Kaum fang' ich an, Euch meine Not, meinen Kampf und meinen Sieg zu schildern, so geht der Jammer von neuem los. Soeben kommt ein Eilbrief mit der Nachricht, einer der Kessel fange aufs neue an zu rinnen. Morgen früh bin ich abermals auf dem Weg nach Basel.


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