Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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Zweiter Teil

In Ägypten und Syrien

Mit dem Maßstabe des heutigen Weltverkehrs gemessen, folgten auf den letzten Brief vierzehn Tage ohne nennenswerte Erlebnisse. Für mich sind sie zwei unvergeßliche Wochen geblieben. Der plötzliche Abbruch meines Aufenthalts in England, der rasche Abschied in der alten Heimat, die Fahrt über den schneebedeckten Brenner, die zwischen Innsbruck und Verona noch mit der Post gemacht werden mußte, das sonnige Triest, wo um Miramar schon die Mandelbäume blühten, die ahnungsschwere Frühlingsluft, die aus dem Süden heraufweht, die dunkelblaue See, aus der die rosigen Berge Dalmatiens und Griechenlands auftauchten, und die ganze Zukunft mit ihrem stillen, geheimnisvollen Leben, die wie körperlich vor mir lag – all das mußte ein junges Herz zum Zerspringen schwellen und bewegt noch heute mein altes. Ich vergesse nie, wie ich in kindischer Freude auf dem kurzen Bugspriet des Dampfers reitend an Kap Matapan vorüberfuhr und Europa Lebewohl zuwinkte, bis mich der Kapitän von meinem unbezahlbaren Sitz herunterjagte.

42.

Alexandrien, den 4. Februar 1863.

Die eingetauchte Feder, mit der ich versprochenermaßen von Bord ans Ufer trat, um meine glückliche Ankunft auf afrikanischem Boden zu melden, ist mir bei der ersten Berührung mit dem Lande der Magier vertrocknet. Aber ich tauche sie jetzt, vierundzwanzig Stunden später, und, wie ich hoffe, mit besserem Erfolg, in ägyptische Tinte.

Verführerisch ist es, mich ohne Verzug in eine Beschreibung des gestrigen Tages zu vertiefen. Doch ich habe meine deutsche Ordnungsliebe noch nicht ganz abgestreift und will beginnen, wo ich den ersten schwülen Hauch des Morgenlandes verspürt zu haben glaube.

Das war abends sechs Uhr, in der Bucht von Korfu. Unser Schiff, die wackere »Bombay«, hatte Kohlen eingenommen, und die Mehrzahl der Schiffsgesellschaft die paradiesische Insel durchstreift, soweit es die Zeit erlaubte. Jetzt wurden die Anker gelichtet und langsam fuhren wir dem dämmernden Süden zu, rechts von uns die grünen Hügel der Insel, links, noch in der Glut der untergegangenen Sonne, die kahlen Felsberge der türkischen Küste. Vielleicht hatte der süße Kephalonier einiges damit zu tun, den man nicht trinken darf wie deutsches Bier: das große, stille Bild ringsumher erschien mir überirdisch schön. Unbeschreiblich war es sicherlich, selbst im Verschwinden. Die Sprache, auf die wir uns, gegenüber dem Gorilla, soviel zugute tun, ist in der Tat das Schwächste an uns schwachen Menschen; sie läßt uns schon im Stiche, wenn wir nichts zu schildern haben als einen im Mondschein liegenden Hasen, eine tiefe, spiegelglatte See und einen noch tieferen, wolkenlosen Himmel.

Nach diesem wortlosen Gefühlsausbruch war ich Barbar genug, schlafend wie einst Odysseus am unvergeßlichen Ithaka vorbeizufahren!

Des andern Morgens fuhren wir an der Küste Griechenlands hinunter, bis abends das Kap Matapan in der Dämmerung verschwand. Das Ganze erschien mir wie eine schöne landschaftliche Leiche: braune, kahle, leblose Berge, manchmal eine braune, kahle, leblose Insel, alles, vom Schäferleben Arkadiens bis zur Schlacht von Navarin herab, voll gewaltiger Erinnerungen, mit denen man die deutsche Jugend groß – oder klein säugt? Ich weiß es nicht; – und alles tot! Wir berührten fast die Mauern von Methoni, aber es war unmöglich, einen sterblichen Menschen in dieser Steinhaufenstadt zu entdecken. Schön und den ganzen Tag sichtbar war nur die Kette des Taygetos mit ihren schneebedeckten Kuppen, der blaue Himmel und die schwärzlichblaue See.

Wieder wurde es Nacht und wieder Tag, und ziemlich fern im Morgendufte lagen Kreta und die letzten Schneeberge, die ich für einige Zeit sehen werde. Doch war die ganze Insel mit dem gewaltigen Ida zu fern, um einzelnes unterscheiden zu können. Gegen Mittag verschwand auch sie, und nun hatten wir uns für zwei Tage mit Luft und Wasser zu begnügen.

Die Gesellschaft an Bord war nicht verführerisch. Eine niedliche Engländerin; aber der Schatz wurde von einem grimmigen Drachen bewacht, die Reise war kurz, und die Seekrankheit lang. In Korfu vermehrte sich das Reisepublikum um eine Gruppe Mekkapilger und eine junge italienische Familie mit Kind und Magd. Sie waren von Anfang bis zum Ende todkrank und kamen nie zum Vorschein. Man hörte nur manchmal einen Höllenlärm in der Kajüte, in die sie sich eingeschlossen hatten, wo der junge Italiener den Jüngsten – unter heftigem Widerspruch der Gattin und Mutter – zu prügeln pflegte, wenn er sich jammernd erbrach.

Gegen vier Uhr des sechsten Tages stand unsre ganze Gesellschaft auf den Zehenspitzen, um nach dem ersehnten Lande auszuschauen. Da erschien ein kleines, dunkles Fleckchen am Horizont, der Leuchtturm von Alexandrien, das erste Stückchen Afrika, das ich je gesehen! Dann kamen etliche leichte weiße Punkte in Sicht: das Harem und der Palast des Vizekönigs. Aber wir waren doch zu spät gekommen. Die Einfahrt in den Hafen ist so schwierig, daß sie nur bei Tage gewagt werden kann, und so hatten wir noch eine Nacht an der Küste auf und ab zu fahren. Mir tat es kaum leid; denn diese Nacht war wunderbar schön. Der Vollmond malte in die nahezu schwarze Meeresfläche eine goldkäfergrüne Straße. Gespenstig weiß lag in der nächtlichen Dämmerung die Stadt und fast unkenntlich die niedere Küste des Deltas. Am andern Morgen, als ich in aller Frühe auf das Verdeck eilte, liefen wir schon mit vollem Dampf, einen weiten Kreis beschreibend, den Masten- und Palmenwäldern entgegen, die uns gestern aus dem gelben Abendhimmel gewinkt hatten.

Die Anker rasselten nieder; mein Koffer war der erste, der dem Schiffsbauch entstieg und in die Hände der Araber, Fellachin, Zigeuner und Äthiopier fiel, die in Scharen herbeiruderten und das Deck erkletterten. Ich hatte mich einem Mohren anvertraut, saß mit meinem gesamten Gepäck, eh' ich mich dessen versah, in einem Kahn und ruderte dem Ufer zu, aber bereits nicht mehr mit meinem Mohren, den andre hinausgeworfen hatten, sondern mit einem braungelben Kinde der Wüste. Die Fahrt zum Ufer dauerte fünfzehn Minuten. Man hat Zeit, sich zu sammeln, die sanften, weiblichen Züge der Fellachin, die uns rudern, die Palmen über des Vizekönigs Palast, die ägyptische Flotte mit Stern und Halbmond zu betrachten und sich auf neue Kämpfe vorzubereiten.

Wir stoßen ans Land. Vier braune Kerls reißen sich um das schwere Gepäck, andre rennen bereits mit Schirm und Reisesack davon. Man bezahlt die Hälfte von dem, was für das Boot verlangt wird, unter dem leidenschaftlichen Widerspruch des Bootführers, und hat viermal zuviel bezahlt. Im Zollhaus feiert man ein fröhliches Wiedersehen mit seinem Regenschirm und sieht schwarze äthiopische Hände lüstern in europäischem Weißzeug wühlen. Nun folgt ein kurzer Kampf um den Esel oder vielmehr der Esel um den Reisenden. Halb verzweifelnd, halb wütend werfe ich mich auf das erste beste Vieh, das mich auf die Füße tritt, und fort geht's im Trab durch ein Gewinde gräßlicher Gassen, drei gepäckschleppende Fellachin voraus, hinter mir den schreienden Eseljungen, nach dem Peninsular und Oriental Hotel.

Ich war der erste unsrer Gesellschaft, der in dieser Weise von Ägypten Besitz nahm und nach kurzer Frist, vergnügt wie ein Kind mit einem neuen Bilderbuch, wieder in die Weite ritt. Mein Eselbube ist ein Zigeuner und spricht eine feine Mischung von Englisch und Arabisch. Ich bezahle ihm zwei Schilling des Tags, wofür er Wegweiser, Dolmetscher und Treiber ist, und habe das Vieh noch extra. Zuerst ging's der Pompejussäule zu. Der Weg führt durch den europäisch zugeschnittenen Teil der Stadt an das »Niltor«, hieraus durch Gärten und einen herrlichen Palmenwald und durch einen Teil der armen Erdhüttenvorstädte einer kahlen Anhöhe zu. Dort steht das schöne, einsame Denkmal. Gegen Norden übersieht man die arabischen Friedhöfe und die weißen, schattenlosen Gebäude der Stadt, östlich und südlich liegen Palmenwälder und Gärten unter Sykomoren und Akazien; den Hintergrund bildet der blaue Mareotis. Alles ist still und heiß, und nur die Steine sprechen.

Von hier ging's zur »Nadel der Kleopatra«, die östlich von der Stadt zwischen Kalkgruben steht und an deren Sockel zwei zerbrochene Eisenbahnräder lehnen! Der Vordergrund: Bruchsteine, Mörtel, Richtscheite, Zaunpfähle und verfaultes Gebälk, ist eine Düngerstätte moderner Kultur, der Hintergrund eine Bauhütte!

Die Neugier wollte nicht ruhen. Ich schlug noch ein Blatt in dem alten, mir so neuen Bilderbuch um. In den Katakomben wurde es Abend. Dann kam der Glanzpunkt des Tages, denn gestern war der neue Vizekönig aus Konstantinopel zurückgekommen. Meinen Ritt durch die festlich beleuchtete Stadt werde ich nicht so leicht vergessen. Das Volksgewühl von Paris und London ist einförmig, verglichen mit der bunten Mannigfaltigkeit des orientalischen Straßenlebens. Im europäischen Viertel auf dem Mohamed-Ali-Platz, wo mein Gasthof und die Konsulate stehen, wogte zwischen springenden Wassern und steigenden Raketen, zwischen aufgeputzten Lichtgerüsten, knallenden Feuerrädern und gegeneinander tobenden Musikbanden eine summende, schreiende, jubelnde Menschenmasse, vom schwarzen Äthiopier bis zur marmorweißen Engländerin, vom braunen, halbnackten Zigeuner bis zum Yankee im dunkeln Gehrock; Rot, Blau, Grün, Gelb und Schwarz wirbelten durcheinander, betäubend und verwirrend für die stärksten Nerven. Noch dichter war das Gedränge in den orientalischen Vierteln. Kaum konnte sich mein Esel durch den türkischen Basar durchdrängen, wo man auf der Straße in Läden und in Läden auf der Straße zu stehen glaubt. Von dort suchte ich meinen Rückweg durch die ärmsten, abgelegensten Gäßchen, die oft kaum zwei Meter breit sind – geheimnisvolle, halbbeleuchtete Löcher da – stockfinstere Nacht dort – gespenstige, weiße Gestalten, lautlos den verödeten Weg kreuzend – ein lebendiges Schattenspiel!

Müde und matt kam ich nach Hause. Heute überzeuge ich mich nach langem Kampf mit meiner Feder, daß es unbeschreiblich bleibt, was ich in diesen zehn Stunden gesehen habe.

Soeben erhalte ich Briefe von London: bis Ende Mai muß ich in Kalkutta sein.


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