Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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75.

Schubra, den 17. Juni 1865.

Die Vorbereitungen für die europäische Reise nehmen ihren erfreulichen Fortgang. Halim hält Rundschau auf seinen sämtlichen Besitzungen, wobei ich das Vergnügen habe, ihn zu begleiten, um die Bedürfnisse der einzelnen Güter feststellen zu helfen; zwei Wochen, die mich in die engste, stündliche Berührung mit dem Fürsten brachten und mir einen nur selten gestatteten Einblick in ein Stück orientalischen Lebens und Denkens gewährten.

In den ersten Tagen sollte ich zunächst allein mit meinen Kawassen ein paar Güter besuchen, um schließlich in Kassr-Schech mit dem Pascha zusammenzutreffen. Von Kairo ging es mit der Bahn nach Mansura, von da in Booten nach Beramun, fünfzehn Meilen unterhalb Mansura auf der rechten Nilseite. Tags darauf erreichte ich zu Pferd Kassr-Demelasch, landeinwärts auf dem linken Ufer. An beiden Plätzen sind Pumpen und Pflüge im Gang. Der dritte Tag war zu einem Ritt von Kassr-Demelasch nach Kassr-Schech bestimmt, eine Strecke, die mich elf Stunden im Sattel hielt, was durch die schattenlose Ebene des Deltas in der Junihitze Ägyptens kein Genuß ist. Auch sind arabische Sättel mit ihren hohen, aus Holz gezimmerten Rücken nicht geeignet, einem Reiter das Dasein zu versüßen, besonders wenn das Pferd galoppiert. Die Rücklehne versetzt alsdann bei jedem Ausschreiten des Tiers dem Reiter einen Stoß, der ihn mit erhöhter Geschwindigkeit dem Pferde voransendet. Dies dauert natürlich nur einen Moment. Ehe der Glückliche jedoch vom Pferde gewissermaßen eingeholt wird und in den Sattel zurücksinkt, kommt die meuchlerische Lehne aufs neue und wirft ihn mit der Härte und Unerbittlichkeit des Geschicks zwischen die Ohren des Gauls. Diesem lieblichen Tag folgte eine Nacht in einem zierlich aus Lehm gebauten Hause, das mit kirschenkerngroßen Flöhen derart bevölkert war, daß ich buchstäblich keine Viertelstunde schlafen konnte. Die Sache war ein naturgeschichtliches Wunder. Ich schwamm in meinem Blute; daß ich lebendig aus dieser Löwengrube hervorging, ist mir noch heute unerklärlich. Vor mir bewohnten das Zimmer zwei neu angekommene jugendliche Tscherkessen. Es darf deshalb mit Recht angenommen werden, daß diese Tiere nicht ägyptische Flöhe waren, welche zwar zahlreich, aber nicht so wild sind, sondern daß sie einer noch ungezähmten kaukasischen Gebirgsrasse angehörten.

Tags darauf kam Halim-Pascha an, schlug sein Lager bei Mahallet-Mesir auf, ließ mich holen und bürgerte mich in seinem Nachbarzelte ein, das ich mit dem einzigen noch anwesenden Europäer, einem Löwenjäger namens de Tanion, teilte. Das Lagerleben dauerte eine Woche, während welcher das Lager dreimal wanderte und ich, um etliche Zeichnungen zu holen, dazwischen einen Parforceritt nach Kairo und zurück zu machen hatte, der meiner jungen Reitkunst alle Ehre brachte und für den mir Halim-Pascha sein eignes Leibpferd, einen Vollblutaraber der edelsten Rasse, gab. Auf einem solchen Tiere stundenlang über Stoppeln, Kanäle und endlose Baumwollenfelder immer in geradester Richtung dem fernen Ziele zuzufliegen, ist wirklich ein Hochgenuß!

Die einzelnen Tage hatten einen äußerst geregelten Verlauf. Mit der Sonne um drei Viertel auf fünf wurde das Lager rege: ich und de Tanion gingen dem nächsten Kanal zu, um uns zu waschen, während die Mamelucken das Frühstück rüsteten, das in Stoff und Menge einem englischen nichts nachgab, aber bedeutend feiner zugerichtet war. Um sechs Uhr setzte sich gewöhnlich ein bunter Zug in Bewegung: Halim, Rames-Bei, Schaker-Bei, der Verwalter von Kassr-Schech – diese auf buntgesattelten, mit silbernen und goldenen Ketten behangenen Kamelen, de Tanion, ich und ein wirrer Haufe Mamelucken auf Pferden. Es galt entweder eine entfernte Pumpe zu besichtigen, einen neuen Kanal auszustecken oder den Plan für eine Werkstätte oder für das kleine eiserne Palais, das Halim hier errichten lassen will, festzulegen. Dabei hilft mir der Prinz mit Schnur und Wasserwage wie der eifrigste Handlanger, oft zum großen Mißfallen seines Gefolges, das natürlich dann genötigt ist, hinter seinem Herrn und Gebieter her gleichfalls mit einem unnötigen Bindfaden oder einem Richtscheit, das niemand braucht, feldauf und -ab zu rennen.

Gegen ein Uhr erreicht man das Lager wieder, um zu Mittag zu essen. Halim-Pascha, de Tanion und ich sitzen zusammen auf arabisch um das mächtige, auf einem Schemelchen stehende Kaffeebrett, das den Tisch vorstellt. Die Speisen sind halb französisch, halb arabisch, einfach, aber ausgezeichnet fein zubereitet, die Weine trotz des Korans vorzüglich. Dem Essen folgt eine Stunde Geplauder, darauf zwei Stunden Siesta. Dann setzt sich die Karawane abermals in Bewegung, um die am Morgen angefangene Arbeit zu vollenden oder Felder zu besichtigen, die Fellachin im Gebrauch von Guano zu unterrichten und dergleichen, bis es sieben Uhr wird, und man unter Geschäftsgesprächen im Abendschatten der Zelte das Nachtessen erwartet. Nach demselben bis gegen zwölf Uhr gemütliches Geplauder, gewöhnlich nur zwischen dem Prinzen und uns beiden, hier und da jedoch auch unterbrochen durch den Besuch eines Schechs aus der Nachbarschaft, dem der Prinz alsbald die chemische Zusammensetzung des Wassers oder Liebigsche Theorien beizubringen sich bemüht, wobei sich nicht selten possierliche und oft wahrhaft rührende Szenen abspielen.

Diese Gespräche waren mir stets hochinteressant. Halim-Pascha ist der liebenswürdigste Gesellschafter. Seine Teilnahme für alles allgemein Menschliche vom Begriff Gottes bis zu Bubengeschichten aus seiner Pariser Zeit läßt den Stoff nie ausgehen. Gleich der erste Abend wurde mit der Frage an mich eingeleitet, was meine Idee von Gott sei? und wir stritten uns bis nachts um ein Uhr über diesen nie zu ergründenden Gegenstand. Halim ist, wie es bei einem gebildeten Moslem fast selbstverständlich scheint, Materialist oder, wenn man will, Pantheist. Ich verteidigte meinen Glauben an einen bewußten Gott, wobei ich die französische Grammatik nicht schonte. Von gegenseitigem Überzeugen ist natürlich bei derartigen Streiten, wie in Deutschland am Neckar, so auch am Nil in Ägypten nicht die Rede; wir sind überall Menschen. Doch gibt es auch gebildete Moslems genug, die auf meiner Seite stehen, und Halim erzählte selbst, wie er sich mit Fuad-Pascha vor einigen Jahren in Schubra herumgestritten habe, der ein entschiedener Spiritualist sei. Um ihn vom Wert der Materie gründlich zu überzeugen, ließ er den türkischen Minister drei Stunden lang aufs Mittagessen warten, bis derselbe endlich erklärte, alles zugeben zu wollen, nur um ein Stück Brot zu bekommen. – Auch die Frage der Vielweiberei wurde verhandelt. Halim gab hier nach, sagte jedoch am Schluß: »Er für seine Person müsse nichtsdestoweniger gestehen: – je mehr Weiblein, um so besser!«

Was nicht alles in diesen sechs Abenden in Kassr-Schech abgehandelt wurde – Weltentstehungstheorien und Haremsgeschichten, Nationalitätsprinzipien und Religionsfragen, Studentenstreiche der Vergangenheit und reformatorische Gedanken eines zukünftigen Königs; ich werde sie nicht leicht vergessen, diese Nächte mit ihrem strahlenden Mondlicht und dem leisen Zirpen der tausend und abertausend Tierchen in dem weiten Gefilde, in das das unsre harmonisch einstimmte. –


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