Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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41.

Leeds, den 13. Januar 1863.

Der Sturm bläst noch immer aus verschiedenen Richtungen; mein Schifflein schwankt bedenklich; wer weiß, wann's umkippt?

Die Wartetage in London gaben mir etwas Ruhe. Mittlerweile kamen neue Telegramme von Ägypten, wo, wie es scheint, energisches Eingreifen nötig ist, wenn nicht alles aus den Fugen gehen soll. Die Engländer, die wir dort haben, ungebildete und allem nach ungeschickte Leute, können mit dem Pascha und den eingeborenen Wilden nicht auskommen, und jeder Neugeschickte machte bis jetzt die Verwirrung schlimmer, indem die auf dem Platze Befindlichen sofort gegen den Eindringling Front machen. Im Augenblicke scheint niemand zu wissen, wer Koch oder Kellner ist. Dieser Augiasstall sollte nun so rasch als möglich ausgefegt werden; denn die Welt schreit nach Baumwolle, und die Baumwolle nach gepflügtem Land. So wurde mir und einem Herrn Carey vorgestern nachmittag in unserm Londoner Bureau mitgeteilt, daß man vor 4 Uhr 30 ein Telegramm von Leeds erwarte. Die Post für Ägypten verlasse London abends um acht ein halb. Mit derselben habe entweder Carey oder ich nach Alexandrien abzureisen.

Hiermit tritt also eine weitere Person auf die Bühne. Carey, ein besonderer Schützling von R. Fowler, ist zwar weder Ingenieur noch Arbeiter, dagegen »Gentleman«; ein netter Bursche, der lebt und leben läßt und mit mir wie mit jedermann auf dem besten Fuße steht. Wir beide warteten nun bis gegen vier Uhr geduldig auf das entscheidende Telegramm. Es lautete: »Niemand zu gehen in dieser Woche.« Vierundzwanzig Stunden später wurde ich angewiesen, nach Leeds zurückzukehren, was geschah. Und hier erst wurde mir das ganze Spiel klar, und ich sah mit einigem Erstaunen, daß die Welt überall rund ist.

Morgen kommt die verspätete indische Post. Dann muß sich die Frage entscheiden.

Es ist das drittemal, daß sie mich auf dem Wege nach Ägypten haben – das xtemal, daß man mich mit freundlichen Versprechungen munter erhält. Soll das so fortgehen?

Diese Frage gibt der Sache eine ernste Wendung. Ich wollte, Ihr wäret etwas näher; denn in kritischen Augenblicken ist es nicht leicht, den Nagel auf den Kopf zu treffen, und nichts ist teurer in der fremden Welt als ein guter Rat.

Geht schließlich Carey – denn man hat zweifellos das Recht, zu schicken, wen man will –, so bleibt mir das Zeichenbureau. An ein rasches Vorwärtskommen ist dort nicht zu denken. Die Zeiten sind im allgemeinen gedrückt, auch unser Geschäft geht verhältnismäßig schwach. Es gibt nur ein Ding, das billiger ist als Menschenfleisch, und das ist Menschenhirn.

Ein andrer Weg steht mir offen, ich gehe und werfe mich eine Zeitlang auf das mir verhaßteste aller verhaßten Handwerke und – schreibe. Die Sache hat etwas für sich. Hier im Geschäft bleibt mir keine Zeit, meine Ausstellungsschätze auszubeuten. Für vier bis sechs Monate würden sie mir sicher Arbeit und Verdienst geben. Was tun?

So wäge ich seit vorgestern verdrießlich hin und her, lege Gewicht auf Gewicht in die beiden Schalen und sehe das Zünglein zittern. Ich kann Euch nicht all diese Gewichte und Gewichtchen vorweisen; einige derselben sind ziemlich schwer. Das ist »das Leben«. – Aber so oder so – es gilt mit frischem Mut meinen Weg weiterzumarschieren. »Gott verläßt keinen Deutschen nicht!«

Nachschrift.

Ich erbreche den Brief wieder. Soeben kommt Nachricht von London. Mein Fahrschein nach Alexandrien ist gekauft. Ich reise Samstagabend.


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