Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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111.

Neucastle (Delaware), den 30. Juli 1867.

Gestern fuhr ich von Philadelphia nach dem niedlichen Landstädtchen, in dem ich heute an einem dreibeinigen Tischchen schreibe, um den Präsidenten des Delaware-Chesapeake-Kanals aufzusuchen, der gleichzeitig an mir vorüber nach Philadelphia gefahren ist. So liegt nichts im Weg als ein kleiner Ärger, mich philosophischen Betrachtungen über Land und Leute hinzugeben, denn es ist jetzt das klügste, den würdigen alten Herrn hier zu erwarten.

Mehrere der pennsylvanischen Kanalgesellschaften haben nämlich erklärt, nicht abgeneigt zu sein – wie vorsichtig die Herren sich ausdrücken! –, auf einem geeigneten Kanal gemeinsam einen Versuch mit Seilschiffahrt in großem Maßstab zu machen. Mr. Grey, der obbemeldete Präsident, soll für unsre Sache eingenommen sein, und sein kleiner Kanal ist wie gemacht für ein derartiges Vorgehen. Unglücklicherweise aber besteht ein Vertrag, der einer andern Gesellschaft bis zum nächsten März das ausschließliche Recht gibt, sämtliche Schiffe auf demselben zu schleppen, so daß uns die letztere den Plan bis auf weiteres verbieten kann. Diesen Knoten möchte ich nun zunächst mit Hilfe des Kanal-Präsidenten lösen, der dies wohl fertig bringen dürfte.

Im allgemeinen gefallen mir die Leute in Pennsylvanien weit mehr als die in Neuyork. Weniger Schwindel und politischer Humbug, mehr ernstes, ehrliches Geschäft, auch mehr von jenem allgemein menschlichen Ton, der nicht ganz und gar in Eisenbahnprojekten erstickt. Philadelphia selbst in seiner ziegelsteinernen Einfachheit und ruhigen Geschäftstätigkeit bietet einen auffallenden Gegensatz zu dem heitern, glänzenden, gierigen und leidenschaftlichen Neuyork. Es geht uns wohl mit den Städten eines fremden Landes wie mit den Gesichtern eines fremden Volkes. In den ersten Wochen sehen sich alle Leute gleich und erst nach und nach treten die Züge jedes einzelnen aus dem Nationalgesichtsmodell heraus. So beginnen mir auch allmählich die besonderen Unterschiede von Neuyork und Philadelphia, Cincinnati und Chikago, Memphis und Neuorleans, die sich anfänglich nur unterschieden wie die Eier einer Henne, bemerklich zu werden. Aber trotzdem bleibt der Eindruck, daß wohl in keinem Lande der Welt das einzelne so wenig Eigentümliches bietet und nirgends so wenig Seele in dem Wollen und Schaffen, dem Wachsen und Bauen des Volkes tätig zu sein scheint als hier.


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