Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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51.

Schubra, den 22. September 1863.

Der Mond scheint durch das offene Fenster. Draußen liegt die Welt in seinem grünen Lichte und ihren schwarzen Schatten, und durch die Einsamkeit tönen die hundert Stimmen einer ägyptischen Nacht. Grillen zirpen tausendfältig im Klee und in den üppigen Baumwollenfeldern, Hunderte von Fröschen schreien aus Zuckerrohr und Reis und kühl schauert der Wind, der vor wenigen Stunden den Sinai gestreift und die Fluten des Roten Meeres gekräuselt hat, in den mächtigen Sykomoren, die meinen Horizont begrenzen. Die Berge von Kairo sind in der Dämmerung kaum noch zu erkennen; die Pyramiden sind für heute versunken. Ein üppiger, geheimnisvoller Garten, soweit das Auge reicht, und darüber ein Sternenhimmel – »von überirdischer Klarheit«, müßte ich sagen, wenn ich in Deutschland wäre. Aber die alte Heimat liegt mir ferner als sonst; ich schreibe heute die ersten Zeilen aus meiner neuen.

Man erlebt alles im Laufe der Zeit! Mein vielbesprochenes Haus in Schubra ist fertig geworden. Freilich fehlten noch ein paar Stufen der Eingangstreppe; auch das Kamin hört vor der Zeit auf und erinnert vorläufig noch an die Ruinen, »die sich die alten Ritter zu bauen pflegten«. Nichtsdestoweniger rückten allmählich Stühle, Tische, Betten und Diwans an, und außer dem großen, landesüblichen Filtrierkrug für das Nilwasser ist alles vorhanden, was ich aus der offenen Hand meines Paschas zu erwarten hatte. In derselben Woche kam sogar von Alexandrien das ersehnte Klavier, um seinen Einzug in meiner Villa zu feiern. Worauf ich mein Herz und meinen Geldbeutel unter den Arm nahm und auf den Markt ging.

Der Einkauf von Löffeln, Kochgeschirren, Tellern, Bettüberzügen und dergleichen bot wenig Genuß, aber um so mehr Mühe. Sodann wurde ein arabischer Koch geworben, der vereint mit meinem Kawassen und Dragoman die Stubentüren zu waschen begann, während zehn junge Araber den Mauerschutt mit nicht übermäßiger Pünktlichkeit aus den Fenstern warfen und drei Scheiben zerbrachen, wofür sie ein Backschisch beanspruchten.

Wie manchmal in diesem Lande der Barbarei, worin ich ein Stück Kulturleben zu vertreten habe, liegt mir der Seufzer nahe: »Hätt' ich was Rechtes gelernt!« Warum jagt Ihr, Mütter, Großmütter und Tanten Deutschlands, den strebsamen Sprößling der Familie mit einem kränkenden: »Küchenmichel!« aus euerm Heiligtum, so oft er instinktmäßig die Bedeutung eures Berufes anerkennt? Eine Stunde in der Küche ist nützlicher als zehn im Cornelius Nepos. Und warum brandmarkt man das Wichsen eines Stiefels mit Verachtung? Es kann unter Umständen schwerer ins Gewicht fallen als der schönste Hexameter.

Schließlich sahen aber doch vier Zimmer mit Portieren und Vorhängen, mit ihren noch etwas primitiven Möbeln und ihrem gänzlichen Mangel an Bilderschmuck so wohnlich und heiter aus, als die liebe Sonne und die tiefgrüne Welt draußen sie zu machen vermochten. Die Zeit war da, mich einzunisten. Meine Erfahrungen im Haushalten in halb arabischer Art liegen noch im Schoße der Zukunft. Vorderhand habe ich nur zu berichten, daß der bereitwillige Koch auf mein dringendes Verlangen nach einer Teetasse mir vor einer Stunde mit der Rasierschale aufwartete.

Trotz der erlangten Seßhaftigkeit lebe ich nach wie vor wie ein Nomade. Binnen kurzem erwartet mich in Kassr-Schech ein förmliches Zeltleben, und bis vor kurzem verlebte ich meine Zeit mehr auf dem Wasser als auf dem Lande, denn die Nilfahrten nach Thalia und Theranis nehmen kein Ende. Mein kleiner Dampfer schießt emsig den randvollen Strom auf und ab, der gegenwärtig einen großartigen Anblick darbietet. Theranis erreichte ich früher in sechs Tagen, jetzt in zehn Stunden der lustigsten Fahrt, die man sich wünschen kann; denn die ganze Natur atmet auf und glänzt in neuem, dunkelm Grün; ein wahres Paradies, dem selbst das Getrieb und Gewirr meiner Maschinen nichts anhaben können, noch wollen. Sie haben es ja schaffen helfen. – –


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