Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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17.

Manchester, den 26. Juli 1861.

Seit einer Stunde bin ich von Leeds zurück, und wieder liegt ein Stück blühenden Lebens hinter mir, das für den Augenblick kein greifbares Früchtlein ansetzen will. Doch sind mir wenigstens nicht alle Hoffnungen zu Wasser geworden.

Die Fahrt mit der Great-Northern-Railway nach Manchester bietet wenig Interesse. Es ist immer das gleiche, wellenförmige, frischgrüne Land, das dem schon an den Londoner Häuserhorizont gewöhnten Auge immerhin wohltut. Auf halbem Wege machen Schornsteine den Bäumen das Bild streitig. In Sheffield traute ich meinen Augen kaum. Es war die erste Zitadelle des großen industriellen Festungsvierecks: Leeds, Sheffield, Manchester und Liverpool. Trotz des sonst heiteren Tages war von einem Horizont keine Rede. Im dunkeln, träge bewegten Grau der ganzen Rauchmasse standen ohne sichtbaren Boden schwarzgräuliche Nadeln, die letzten Schornsteine, die das Auge in dem Qualm erreichen konnte. Man durchschneidet sodann, etwas aufatmend, die albartigen Berge von Nord-Derbyshire und ahnt an neuem Qualm, an einer unzähligen Menge neuer Kamine, daß Manchester nahe sein müsse.

Mein Freund und früherer Zeichengenosse Gutekunst empfing mich mit aller erdenklichen Freundlichkeit. Er rechnete darauf, daß ich bei Withworth ankommen werde, und so fing auch ich an, ernstlich zu hoffen. Wir dachten schon ans Klaviermieten und dergleichen Allotria; doch als ich mich am Montag vorstellte, war die gewohnte Vertröstung auf die Zukunft das einzige, was ich davontrug. Die Verzögerung durch Johnson hatte mich um die Stelle gebracht.

Am gleichen Tage begann zu Leeds die große Jahresausstellung der Royal Agricultural Society of England. Mit wahrem Galgenhumor fragte ich mich: Warum nicht den Bauern nachlaufen, wenn die Maschinenbauer nichts von mir wissen wollen? und fuhr mit federleichtem Gepäck nach Leeds.

Von Leeds wußte ich nichts, als daß ein Bruder eines Schulfreundes in einer dortigen Fabrik Zeichner war. Mit Mühe fand ich seine Wohnung. Er selbst war nicht zu Hause. So ließ ich getrost mein Gepäck in seinem Zimmer und wanderte ans andre Ende der Stadt, nach dem Ausstellungsplatz.

Staunend suchte ich mich in dem mir völlig neuen Gebiete landwirtschaftlicher Maschinen zurechtzufinden. – Als ich am Abend satt war und mich nach Blackbullstreet zurückgesucht hatte, war mein noch unbekannter Freund Diefenbach, auf dem meine Hoffnung auf ein Nachtlager beruhte, noch nicht zu Hause. Mit Mühe machte mir seine Hausfrau deutlich, daß Herren aus Deutschland ihn wohl vor Mitternacht nicht zurückkommen lassen würden. Nun machte ich mich selbst auf den Weg und fragte bis neun Uhr in jedem erträglich aussehenden Wirtshaus nach einem bescheidenen Stübchen. Von neun Uhr an – denn alles war besetzt – sah ich mir Privatwohnungen an. Mit mißtrauischen Augen betrachteten mich alte Mütterlein und brummige John Bulls, in deren Allerheiligstes ich infolge von ausgehängten Zetteln eindrang. Schließlich – nach zehn Uhr – hatte mich die Verzweiflung und mein guter Stern in ein über alle Maßen unansehnliches Kneiplein geführt, wo man mir halb auf einem Sofa, halb auf einem Schragen in einem großen, schwarzgetäfelten Zimmer eine Art Bett aufschlug. Unter dem Absingen englischer Schnapstrinklieder, die aus dem Erdgeschoß heraufdrangen, mein Geld unter dem Kopf, schlief ich indessen vergnügt ein. Gegen Morgen wurden mir die Fenster eingeworfen; »Trunkenbolde« – sagte mein rechtlicher Wirt stoisch, als ich ihm mitteilte, daß zwei Steine in meiner Stube liegen und drei Scheiben zerbrochen seien; ich selbst war während des Attentats nicht aufgewacht. Es gefiel mir übrigens bei den Leuten, wenn sie auch eine etwas wunderliche Wirtschaft führten. Ich hätte kaum besser aufgehoben sein können und brauchte ja weiter nichts als ein Tischchen, auf dem sich acht Tage lang Ausstellungsskizzen machen ließen.

Diefenbach fand ich am zweiten Tage am Krankenlager eines Mecklenburgers, der die Kost von Yorkshire nicht vertragen konnte. Ein lieber Mensch, der tut, was in seinen Kräften steht, einem Landsmann die fremde Welt erträglich zu machen.

Mittlerweile kam infolge meiner Anzeige im »Engineer« eine Anfrage aus Rhaydera in Wales, wo auf einem Eisenbahnbureau eine untergeordnete Zeichnerstelle frei war. Ich schrieb, daß ich bereit sei, einzutreten; nur möge man mir fünf Tage Frist geben. Ich wollte doch erst mein Glück in Leeds und Manchester versuchen. Darauf kam prompt die Nachricht, daß »die Stelle besetzt sei, da man aus Mr. Tylors gütigem Schreiben ersehen habe, daß ich mehr Ingenieur zu sein scheine als Zeichner!« Daß ich kein Esel bin, ist sichtlich ein Hindernis, irgendwo anzukommen. Sobald die Leute merken, daß ich schon etwas geleistet habe und noch etwas zu leisten wünsche, ist das anfängliche Entgegenkommen meist wie abgeschnitten. Das ist nicht so dumm, als es aussieht, aber traurig. Auch zu Diefenbach, der gleichfalls zehn Wochen lang vergeblich auf der Suche war, sagte ein Fabrikant: »Wir mögen keine deutschen Zeichner; wenn man ihnen sagt, sie sollen etwas so oder so zeichnen, fragen sie sicher, ob man's nicht auch anders machen könne. Unsre Engländer zeichnen, ohne nach dem Warum zu fragen. Das ist bequemer.« Und so trug ich denn auch in Leeds nach der Ausstellung meine Empfehlungsbriefe da- und dorthin, wäre in zwei Fabriken fast angekommen, kam aber in keiner an und bin wohlbehalten wieder hier.

Nur an einer Stelle tat mir's leid, mit einem Kanzleitrost abziehen zu müssen. Tylor hatte mir einen Brief an den Erfinder der Dampfpflüge, einen Herrn Fowler, gegeben. Ich fand ihn in einem Stoppelfeld vor einem zerbrochenen Gerät von rätselhaftem Aussehen, voll Mut und Feuereifer. Das Stoppelfeld gefiel mir nicht: aber der Mann und das Geräte. Doch das sind jetzt eitle Träume, die am besten nicht weitergeträumt werden.


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