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Vierter Teil.

I.
Unbekannte Verfasser

1. Wahre Treue.

Er an Sie:

Gestern abend schickte Dienstmann
Aber ach, er traf dich nicht,
Treppe duster, Tür verschlossen,
Alle Fenster ohne Licht.
Mußte mich vergebens sehnen
Nach dem lieblichen Gesicht,
Drahtantwort, wo du gewesen
Ungetreuer, kleiner Wicht!

Antwort:

Gestern zum Souper gewesen
Fünftes Regiment zu Fuß,
Heute schreibt mir mein Dragoner,
Der durchaus mich sprechen muß.
Morgen, wenn das Wetter günstig,
Fahr ich mit Herrn Schulze aus,
Übermogen disponibel –
Deine treue, kleine Maus!

2. Levys Wunsch.

Eins möcht' ich erleben, du liebe Alte,
Die mir der Himmel noch lange erhalte,
Daß eines scheenen Tags vom Kontor ich käm',
Und dich, teure Sarah, beiseite nähm'
Als wollt' ich dir e Geheimnis sagen –
Und tätest du dann mich voll Neugier fragen:

»Was is es? Was soll es? Was sin mer geworden?
Hast e Los gewonnen, gekriecht en' Orden?«
Da schüttelte so mit dem Kopf ich nur
Und sagte: »Ich helf' der auf der Spur –
Denk' der, o Sarah – komm, Herzchen, rat'
Da wär's schon heraußen: » Kommerzienrat

3. Frauenlob aus Frauenmund.

Gott schuf die Welt vor alten Zeiten,
Zum Schluß vom Mann ein Exemplar,
Und das schien freilich anzudeuten,
Daß Gott schon etwas müde, war.

Und als er sein Geschäft beaugte,
Da fehlte dies, da fehlte das,
Und an dem ganzen Manne taugte
Nur eine einz'ge Rippe was.

Die ward ihm auch noch fortgenommen,
Und eine Frau daraus gemacht. –
So sind wir später zwar gekommen,
Jedoch geschaffen mit Bedacht.

Und zu der Fraun gerechtem Lobe
Erkennt man auf den ersten Blick:
Der Mann war nur ein Stück zur Probe
Wir aber sind – das Meisterstück.

4. Die Kußarten.

Die Arten der Küsse sind mannigfalt
An Nutzen, Bedeutung und an Gehalt:
Im ganzen genommen – ich sag' es frei –
Kommt nicht viel Gescheites heraus dabei.

Die Schwiegermutter küßt würdig und mild,
Die Tante ist stets der Versöhnung Bild,
Der Kuß des Freundes – eh' dieser erprobt –-
Der wird von Kennern nicht sehr gelobt.

Der Geschwisterkuß eine Spezies ist,
Bei der mit Recht man vieles vermißt,
Zuweilen wohl selbstlos, edel und gut,
Doch 's beste dran die Verwandtschaft tut.

Wenn Fürsten sich küssen, es nur geschieht,
Damit ein gaffender Haufe es sieht;
Trug, Heuchelei und Komödie vereint
Dem Volke als rührende Eintracht erscheint.

Mit großer Genügsamkeit ist begabt,
Wer gern am Kinderkuß sich erlabt,
Mitunter ganz nett, ich räume es ein,
Doch müssen die Kleinen gewaschen sein.

Des liebenden Mädchens süßer Kuß,
Für Jungfrau und Jüngling ein Hochgenuß,
Ein Kuß – der von vielen so heiß begehrt,
Ist leider oft kaum der Mühe wert.

Er ist, so kündet manch trauriges Lied,
Von der Elendskette das Anfangsglied,
Von den Himmelsfreuden der kalte Schein,
Und die heiße Hölle kommt hinterdrein.

Der Kuß des Weibes steht hoch im Rang,
Wenn innig und warm nur des Herzens Drang,
Doch wenn ein Geschenk erst die Wärme entfacht,
Dann gleicht er dem giftigen Hauche der Nacht.

Ein einziger von allen Küssen nur
Weicht nicht von der Liebe sonniger Spur,
Der zärtlichste, reinste und heiligste ist
Der Mutterkuß, den man nimmer vergißt.

5. Warum schließt man beim Küssen die Augen?

Antwort des Liebenden:

Amor hat zum Herrschersitze
Deine Lippen sich ersehn,
Mit geschloßnen Augen wag ich
Nur vor seinem Thron zu stehn;
Denn wer da geschaut die Gottheit,
Der wird auf der Stelle blind.
Drum ist's klug, ich schließ die Augen,
Küss' ich dich, mein schönes Kind.

Antwort eines Furchtsamen:

Man schließt die Augen, wenn man küßt,
Weil man im sieb'nten Himmel ist,
Nicht höher kann die Reise gehn,
Doch will den – Abgrund man nicht sehn.

Antwort eines Vorsichtigen:

Weshalb es Mode ist,
Daß man die Augen schließt
Beim Kusse? – Sehr erklärlich:
Es wär ja zu gefährlich,
Wenn Hymens Fackel glüht,
Daß was ins Auge sprüht.

Antwort einer Kellnerin:

Man braut den Kuß aus reiner Liebe
Und zapft den Trank zu jeder Zeit;
Es macht bei diesem Schankbetriebe
Der Fiskus niemals Schwierigkeit.
Doch keine Schenkin wird es wagen,
Zu spenden offnen Augs den Kuß,
Sie weiß: an Sonn- und Feiertagen
Ist – allgemeiner Ladenschluß.

Antwort eines Juristen:

Der Kuß ist ein Ereignis
Der Typographenwelt;
Er ist ein Preßerzeugnis,
Mit Nachdruck hergestellt.
Zwar sieht man als Delikt an,
Was Nachdruck heißen tu',
Doch nur zu gerne drückt man
Hierbei die Augen zu.

Antwort eines Physikers:

Der Liebe Strom aus drei Ventilen
Aus Mund und Augen sich ergießt,
Will man recht starken Strom erzielen,
Man zwei davon – die Augen – schließt.

Antwort eines Alten:

Wer bei dem Kuß die Lippen schließt,
Der tut's, um nicht zu lachen,
Daß er so'n alter Esel ist
Und macht noch solche Sachen.

6. Der Liebe höchstes Lied.

Es lebt der Zobel in Sibirien,
In der Sahara lebt das Gnu,
Es lebt der Säufer in Delirien –
In meinem Herzen lebst nur du!

Es schwimmt im Öle die Sardine,
Doch schwimmt sie drin nur ab und zu,
In ihrem Honig schwimmt die Biene –
In meinem Herzen schwimmst nur du!

Es sitzt der Kutscher auf dem Bocke,
Der Geizhals sitzt auf seiner Truh',
Die Gregarine in der Locke –
In meinem Herzen sitzt nur du!

An Meeresklippen hängen Algen,
Die Jungfrau hängt ihr Fenster zu,
Es hängt der Räuber an dem Galgen
An meinem Herzen hängst nur du!

Es liegt der Stier in heißen Tagen
Am Bachesrand in stiller Ruh',
Es liegt der Knödel in dem Magen –
In meinem Herzen liegst nur du!

Im seidnen Kleide steckt die Schöne,
Doch steckt sie drin nur ab und zu,
In Lederhosen stecken Beene –
In meinem Herzen steckst nur du!

7. Im Ballsaal.

Wer sitzt dort im Ballsaal? – o sage geschwind!
Es ist die Mutter mit ihrem Kind.
Sie zupft das Mädchen leis am Arm,
Sie fragt sie innig, sie fragt sie warm:

»Mein Kind, was wendest du bang dein Gesicht?«
»Siehst, Mutter, du den Leutnant denn nicht?
Den Leutnant da drüben mit Geist und Genie?« –
»Mein Kind, der wär 'ne brillante Partie!« –

»Äh, gnädiges Fräulein, der erste Ton
Erklingt zum Walzer dort gar wohl schon?
Ich erfasse kühn diese rosige Hand!
Auf Ehre, süperb! Ein schneid'ges Gewand!« –

»O Mutter, o Mutter, und hörest du nicht,
Wie keck der Leutnant jetzt zu mir spricht?« –
»Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind,
Und nimm die Männer so wie sie sind.« –

»O holdeste Elfe – noch einen Tanz,
Sonst verzehr' vor Sehnsucht ich mich noch ganz;
Laß zusammen uns schwingen in gaukelnden Reihn,
Und wiegen und tanzen und schweben zu zwein!« –

»O Mutter, o Mutter, und siehst du nicht dort
Die spähenden Blicke an jedem Ort?« –
»Mein Kind, mein Kind, ich seh es genau,
Die Mädchen da drüben ärgern sich grau.« –

»Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt,
Nicht länger bezähm' ich des Herzens Gewalt.« –
»O Mutter, er küßte, er faßte mich an –
Weh mir, was hat der Unsel'ge getan!« –

Die Mutter lächelt, – erhebt sich geschwind,
Sie hält in den Armen ihr zitterndes Kind,
Sie führt es ihm zu mit schmeichelndem Laut ...
In seinen Armen das Mädchen – war Braut!

8. Zwölf Uhr.

Der Ritter Kurt von Bergen spricht:
»Und wär's der Teufel, ich fürcht' mich nicht!«
Kaum ist das Wort aus seinem Mund,
Schlägt dumpf vom Turm die zwölfte Stund.

Und horch! Die Treppe schlürfts herauf –
Jetzt macht es halt – die Tür geht auf,
Und in den Saal mit Katzenschritt
Ein kleines graues Männlein tritt;

Ein blaues Fräckchen hat es an,
Und goldne Knöpfe blitzen dran,
Und schwarze Höschen, Schnallenschuh',
Und schöne, weiße Strümpf' dazu.

»Was gibt's?« ruft barsch der Rittersmann;
Da lächelt ihn das Männlein an
Und neigt sich tief und spricht geziert:
»Das Mittagessen ist serviert.« –

Verehrtester, drum merke dir:
Schlägt's dumpf vom Turm auch dreimal vier,
So braucht's ja nicht grad Nacht – o nein,
Es kann auch zwölf Uhr – mittags sein.

9. Entscheidung.

Die Taube, die Noah verschickte,
Zu sehen, ob trocken das Land,
Kam wieder mit einem Ölblatt
Im Munde, wie jedem bekannt.

Nun frug einst in Damengesellschaft
Ein Eh'mann fein pfiffig und klar:
»Ob Männchen wohl oder Weibchen
Die Wiederkehrende war?«

»Unstreitig war es ein Weibchen!«
So meinten der Damen gar viel. –
Man stritt darob hin und wieder
Und kam damit doch nicht ans Ziel.

Da sagte der pfiffige Eh'mann:
»Ich glaube, so ward es mir kund,
Ein Männchen war's – denn die Weiber,
Die nehmen kein Blatt vor den Mund!«

10. Die Nacht im Walde.

Symphonisch-mystisches Fragment nach Blasius Puster, ergänzt von R. Zoozmann.

Der Wald –! Die Nacht –! Glühwürmer stammelnd staunen;
Ein ferner Vogel geigt auf einer Flöte.
Die Äste knarren – stumme Sagen raunen,
Indes ich vor dem Nachtgeist blaß erröte ...

Ein magenkrankes Weh schluchzt in den Tiefen,
Ein tränentrübes Lachen gellt herüber – –:
Ich geb' dem Monde einen Nasenstüber
Und denke derer, die im Waschfaß schliefen –! –

Ein gelber Schmerz mit silbergrünen Rändern
Schrillt mir durchs Herz wie eine stumpfe Säge ...!! ...?
Der Weltgeist brütet auf den schwarzen Ländern;
Mein Busen zittert und mein Schlips sitzt schräge. –

O namenlose Wonne, so zu stehen
Im wehen Mond und so durch Qual zu schreiten! –!
Mit blindem Blick ins Herz der Nacht zu sehen!!
Zu herrschen über violette Weiten!!! ...

Ein Häslein bellt die Wolken an, die Eule
Legt angsterfüllt ein Ei von Marzipan
Und drückt dabei am Schwanz sich eine Beule –:
Mein Vater, warum hast du das getan?

Da klopft mein Herz wie eine Pyramide,
Rings riechts nach Lebertran und Bromural ...!
Im Grab und überm Grab herrscht bittrer Friede
Und alles andre ist mir ganz egal! –!

Doch quetscht ein Alb mich bis in Milz und Nieren,
Titania braust im Auto, mir wird übel ...
Ich geh mit einem Fliegenpilz spazieren
Und stürz in einen blauen Färberkübel!

O grünet, Melodien, o trommelt, Winde, ...
Der Mond lacht hell, die Sonne tänzelt duster,
Freund Rübezahl mit roter Schnurrbartbinde
Stelzt her und brüllt: Heil dir, o Blasius Puster!!??!!

11. Warnung.

(Schwäbisch.)

»Mädl, Mädle, laß de warne
Vor der Liebe, hör' auf mi'!
Laß de net von dear umgarne
Se ist's halbe Gift für di!«

»Muatter, i kanns fast net glaube
Gangert mer, Ui täuscht der Schein!
's Küßla gea, und 's Küßla raube
Daes kann doch koin Gift net sein!«

»Mädle, i haun's sell erfahre
Koin Gift greif so schrecklich an
Und um de vor Loid z'bewahre
Nimm der an Exempel dran!«

»Muatter, laut Ui ebbes sage
Dui G'schicht sieh'n i doch net ein.
Und hant Ihr dees Gift vertrage
Wirds für mi' au' z'stark net sein!«

12. Drei Träume.

Verschlagen waren durch 'nen Sturm
Drei Menschen nach einer Küste;
Verloren war alles, alles fort,
Das Los der dreie war triste.
Verschiednen Religionen gehörten sie an:
Evangelisch, katholisch und jüdisch,
Und fromm von diesen war jedermann,
Nicht pro- und nicht anti-semitisch.
Als sich nun die drei von dem Schrecken erholt
Und sahn, was ihnen übrig geblieben,
Ein Brot, nur ein einziges kleines Brot,
Das hat sie zur Verzweiflung getrieben.
Ein Brot nur, wohlan, für einen reichts,
Zwei Tage davon zu leben,
Doch für drei, da langt es nimmermehr,
Wem soll man das Brot nun geben?
Drauf wurde beschlossen nach langem Rat:
Nur einer erhält's Brot, die andern,
Die müssen verlassen das Küstenland
Und hungernd dann weiter wandern.

Das Brot erhalte am Morgen der,
Der den schönsten Traum hat die Nacht;
Und es legten die drei sich hierauf zur Ruh,
Die bald in den Schlaf sie gebracht.

Am andern Morgen erzählte zuerst
Begeistert der Protestante,
Er habe das Paradies gesehn,
Wie nie es ein Mensch bis jetzt kannte.

Drauf sagte der Katholik erfreut:
»Mein Traum, der läßt sich nicht schildern;
Das Schönste, Heiligste, Göttlichste sah
Ich in himmlisch entzückenden Bildern.«

Drauf sagte der Jud: »Ich klagte meine Not
Dem Herrgott ergeben, gemessen;
Da er gesprochen, da liegt doch das Brot:
Steh auf und iß. – Und da hab' ich's gegessen.«

13. Die Hofequipage.

Auf hohem Rosse hält voll Ruh'
Der Schutzmann und schaut dem Treiben zu;
Die Menschen eilen, es humpeln vorbei
Die Rößlein der Droschkenklasse II,
Es sausen die Equipagen.

Urplötzlich hebt der Gewaltge die Hand,
Die Menschen stehen wie festgebannt,
Der Droschkengaul hemmt gern den Lauf,
Die elektrischen Wagen reihen sich auf,
Es halten die Equipagen.

O seht, vom Potsdamer Bahnhof heran
Im Steppschritt braust ein Rappengespann:
Das Geschirr ist reich mit Silber geschmückt,
Der Kutscherkragen mit Adlern bestickt:
Es ist eine Hofequipage.

Und wie das Gespann voll Feuer und Mut
Vorbeibraust, lüftet mancher den Hut;
Manch Mägdlein faßt in einem Knix
Zusammen die Wonne des Augenblicks.
Es ist eine Hofequipage.

Das Grüßen hatte keinen Sinn,
Denn niemand saß in dem Wagen drin.
Doch war's auch ein leerer Wagen bloß,
So bleibt der Moment doch immer groß:
Es war eine Hofequipage!

14. Medizinisches Liebeslied.

Soviel Zellen die Gewebe
Meines langen Leibs enthalten,
In soviele Muskelfasern
Sich mein sterblich Fleisch läßt spalten,

Soviel kleine Blutgefäße
Mich vom Kopf zu Fuß durchziehen,
Soviel Körperchen in ihnen
Heißen roten Blutes glühen,

Soviel Lymph- und Schweißesdrüsen
In und an dem Menschen sitzen,
Soviel Kokken und Bazillen,
An ihm zehren und stibitzen,

Soviel Lungenalveolen
Ich in meinem Busen zähle,
Soviel ich in meinen Knochen,
Habe Haverssche Kanäle,

Soviel weiße, soviel graue
Nervenfasern mich durchweben,
Soviel feuchte Schleimhautdrüsen
Schleim, Pepsin und Speichel geben,

Sovielmal in hundert Pfunden
Fleisch sich kapselt die Trichine:
Sovielmal, du schlanke Palme,
Lieb ich dich, o Josephine!

15. Kindermund.

Es plauderte zur Dämmerstund
Die Mutter mit dem Töchterlein –
Was fragte nicht der kleine Mund,
Um überall belehrt zu sein!

Und unschuldsvoll der Liebling bat:
»Nun sag' mir noch das eine bloß,
Ist's wahr, daß Gott erschaffen hat
Die Menschen aus dem Erdenkloß?«

»Mein liebes Kind,« die Mutter spricht,
»Um was mein Herzblatt mich befragt,
Das darf es doch bezweifeln nicht,
Weil es der Lehrer ihm gesagt.«

»O sei nicht bös, ich glaub' es ja,«
Versöhnlich gleich der Liebling lacht,
»Doch dann bist du, o lieb' Mama,
Gewiß aus weißem Sand gemacht

16. Wie man unschuldig drei Ohrfeigen bekommt.

Es war erst in den letzten Tagen,
Da hielt mit seinem Eselwagen
Zufällig vorm Gymnasium an
Ein alter, derber Bauersmann.
Es war just um die Vesperzeit,
Und weil zu Possen stets bereit
Die hoffnungsvolle Jugend ist,
Wird Langohr mit Geschrei begrüßt.
Der Bauer sonst nicht Spaß verstand,
Doch war er als Milchlieferant
Grad in das nächste Haus gegangen,
Wo man sein harrte mit Verlangen. –
So wurde denn ganz ungeniert
Mit Langohr allerlei probiert,
Der schreiet: »hü!«, der »hott!«, der »har!«
Ein andrer schwingt die Peitsche gar,
Ja, ein ganz sonderlich Gescheiter
Schwingt sich auf ihn als kühner Reiter!
Der Esel stand geduldig da,
Nur manchmal schreit er sein I–a!
Denkt wohl dabei in seinem Sinn:
»Mich freut's nur, daß ich klüger bin.« –

Doch plötzlich kam – o Schreck und Graus! –
Der Milchmann aus dem nächsten Haus,
Vor Zorn rot wie ein Puterhahn,
Schrie er die Knaben grimmig an.
Ich weiß nicht mehr die schönen Namen,
Die über seine Lippen kamen;
Es quoll nur so aus ihm heraus.
Die Knaben überlief ein Graus,
Doch eh's der Bauer sich versah,
War keiner mehr von ihnen da.
Nur einer von den kleinsten Jungen
Ist nicht so schnell davon gesprungen.
Er hatte ja nur zugesehn,
Was mit dem Esel war geschehn!
Drum war auch das Gewissen sein
Von jedem Schuldbewußtsein rein.
Der Bauer stürzt im Zorn heran,
Der Knabe sieht ihn freundlich an.

O Büblein, wärst du nur entflohn,
Denn sieh, das Unglück naht dir schon.
Der Bauer hat in wilder Hast
Den kleinen Mann am Rock erfaßt
Und schlägt ihm eine hinters Ohr,
Daß er fast seinen Kopf verlor.
Zum Glück entgeht mit kühnem Sprung
Er einer zweiten Lieferung,
Und in gekränkter Unschuld eilt
Er nun zum Rektor unverweilt.
Dem will er seine Not jetzt klagen
Und ihm die Rache übertragen;
Doch selten kommt ein Leid allein.
Der Knabe eilt ins Haus hinein,
Das Taschentuch noch vorm Gesicht,
Drum sieht er auch den Lehrer nicht,
Der jetzt zur Türe tritt heraus,
Und rennt auf ihn. O Schreck und Graus!
Eh' sich's der Knabe nur versehn,
Da war das Unglück schon geschehn,
Eh' er ein Wort nur bracht' hervor,
Saß ihm die zweite hinterm Ohr!

Zum Rektor tritt er weinend ein,
Der fragt: »Mein Kleiner, was soll sein?«
Und schluchzend stottert er hervor:
»Der Lehrer schlug mich hinters Ohr,
Hab' doch dem Esel nichts getan!«
Schwubbs flog die dritte Ohrfeig' an.
Und tiefgekränkt in seinem Herzen,
Und hinterm Ohr dreifaches Schmerzen,
Kann sich's der Ärmste nicht versagen
Im stillen grollend nun zu fragen:
»Warum schlug mich der harte Mann?
Hab' doch dem Esel nichts getan?«

17. Korrekt.

Es lebten – ich weiß nicht, in welchem Land –
Zwei Junkerchen, tadellos, formgewandt.
Sie hatten beide nicht viel im Kopp,
Doch ihre Manieren, die waren »tip top«.
Der eine war ein »von«, der andere »zu«,
Sie ignorierten mit vornehmer Ruh'
Der eine den andern geflissentlich,
Denn jeder dünkte der Bessere sich.
Sie wohnten beide im nämlichen Haus
Und schnitten einander jahrein, jahraus.
Sie kannten einander wohl bis aufs Hemd,
Doch äußerlich taten sie kühl und fremd,
Sie hatten soviel miteinander gemein –
Doch keiner wollte zuvorkommend sein.
Einst trafen fern den Gesellschaftsmauern
Die beiden sich mal – in den hohen Tauern.
Der Zufall fügt es, sie fielen zu zwein
In dieselbe Gletscherspalte hinein.
Sie schwiegen beharrlich korrekt auch dort,
Denn finden wollt keiner das erste Wort –
Sie froren und hungerten beide da,
Nur »Luft« war jeder dem anderen ja.
Stumm schieden sie beide dann aus der Welt;
Sie waren einander nicht vorgestellt!

18. Das Fräulein an der Himmelstür.

Ein Fräulein stand an der Himmelstür:
»Sankt Peter, Sankt Peter, öffne mir!«
Sankt Peter drauf: »Und das tu' ich nicht!« –
»Wodurch verdien' ich solch Gericht?« –
»Weil du so dumm gewesen bist,
Dein Lebtag keinen Mann geküßt!«

Da sprang sie nach Sankt Peter hin
Und faßt den Alten flugs beim Kinn,
Und gab ihm solch einen süßen Kuß,
Daß er ihr endlich öffnen muß.
Drob lachten alle Heiligen sehr,
Der heilge Petrus doch noch mehr.

19. Mein erstes Lied.

Wo ich mein erstes Lied erdacht?
Im Walde? Gott bewahre!
In schwüler Luft, beim Walzertakt!
Rings drehten sich die Paare.
Ein schlankes Kind stand neben mir,
Vor mir ein voller Becher,
Und so schrieb ich mein erstes Lied,
Auf einen kleinen Fächer.
Kein Kritikus hat es gesehn,
Es stand in keinem Blatte,
Gelesen hat's die eine nur,
Der ich's gewidmet hatte.
Doch gab sie mir ein Honorar,
Wie ich's seit Jahren misse,
Und das kein Lied mir wieder bringt,
Zwei lange, lange Küsse. –

20. Die Erschaffung des Weibes.

Erst als vollendet ganz der Schöpfung Bau,
Schuf unser Herrgott endlich auch die Frau.
Warum denn wohl, hat mancher schon gedacht,
Ward mit der Frau der Anfang nicht gemacht?
Weil mit den Weibern, wie ihr alle wißt,
Nun einmal doch nichts anzufangen ist.

21. Veni, vidi, vici!

Laut ruft ein Liebesritter,
Ans Bräutchen sanft geschmiegt,
Mit Cäsar stolz: »Ich kam –
Und sah – und hab' gesiegt!«

Ein Jahr ist kaum vorüber,
Da ist mit dieser Braut
Der stolze Liebesritter
Für ewige Zeit getraut.

Doch, statt an ihrem Busen,
Er auf dem Diwan liegt
Und seufzet still und kläglich:
» O hätt' ich nie gesiegt

22. Ein »anzügliches« Lied.

Man sagt: »Gesang verschönt das Leben –«
Ich stimme ganz und voll dem bei;
Denn nichts kann mich so sehr erheben,
Als eine schöne Melodei.
Doch ein Gesang ist mir zuwider
Und macht mein Herze sorgenvoll,
Mir geht es kalt durch alle Glieder,
Wenn meine Frau anstimmt in Moll
Die schrecklichste der Melodien:
Du, Mann, ich hab' nichts anzuziehn!

Wenn ihre Stimme sich erhebet,
Zu diesem Lied seufz' ich: O weh!
Und nicht nur, daß mein Herz dann bebet,
Nein, mehr noch bebt mein Portmonnaie.
Will man Caruso hören singen,
Es kostet schon ein schönes Geld;
Ein zehnfach Opfer muß ich bringen,
Wenn einmal in das Ohr mir gellt
Das Lied voll Schauderharmonien:
Du, Mann, ich hab' nichts anzuziehn!

Es heimelt an wohl einen jeden,
Wenn er vom ersten Menschenpaar
Liest, daß dasselbe einst in Eden
Zufrieden stets und glücklich war.
Woher nun diese Musterehe?
Ich will's euch sagen ohne Müh.
Das erste Pärchen traf kein Wehe,
Nur weil der Vater Adam nie
Von Evchen wurde angeschrien:
Du, Mann, ich hab' nichts anzuziehn!

23. Die Wette.

Am Rhein, am Rhein, da wächst nicht nur
Der goldne Sorgenbrecher,
Am Rhein, am Rhein läßt die Natur
Auch wachsen tüchtige Zecher.
Was wär' auch das für Schöpferwitz,
Dort Schätze zu verstreuen,
Wo's keinen gäb', der am Besitz
Sich herzlich wüßt' zu freuen?

Da ist am grünen Strand des Rheins
Ein Städtchen auch gelegen,
Berühmt so sehr nicht seines Weins
Als seiner Zecher wegen.
Im ganzen Deutschen Reiche hat's
Nicht bess're Trinkgesellen,
Sechs Pinten Wein auf einem Platz
Sind ihnen Bagatellen.

Vom Städtchen ward von ungefähr
Zwei Engeländern Kunde,
Wer weiß woher; im Bädeker
Fehlt's bis zu dieser Stunde.
Sie waren alsogleich bereit,
Wie dies Engländern eigen,
Von seiner Trinker Tüchtigkeit
Sich selbst zu überzeugen.

Von der Touristen breiter Bahn
Zum Städtchen ab sie schwenkten,
Zum ersten Wirtshaus, das sie sahn,
Sofort den Schritt sie lenkten.
»Herr Wirt, mit einem Mann von hier
Zu trinken um die Wette
Ist unser Wunsch; wißt einen Ihr,
Der Lust zu wetten hätte?« –

»Ei sagt mir, was die Wette gilt?« –
»Die Wette gilt zehn Taler,
Und wer des Kampfes Preis verspielt,
Auch noch die Zeche zahl' er.« –
»Je nun, der Bürstenbinder Hans,
Mein Nachbar gegenüber,
Der ist der Mann dazu, der kann's,
Ich hol' ihn euch herüber.«

Hans horchet, was man von ihm will;
Von einem zu dem andern
Der Insulaner läßt er still
Die Blicke prüfend wandern,
Und spricht: »Nun wohl, ich bin dabei,
Ihr habt mirs angeboten,
Drum stell' ich auch die Wahl euch frei,
Ob Weißen oder Roten.«

Sie nehmen alle dreie Platz,
Sie greifen in die Taschen,
Sie zählen auf den Tisch den Satz
»Herr Wirt, nun bringt zwei Flaschen!«
Sie schenken ein, sie stoßen an;
»Auf euer Wohl! Sollt leben!«
Sie trinken aus und lassen dann
Zwei neue Flaschen geben.

Und wieder zwei, und aber zwei,
Fort geht's so eine Weile,
Streng teilten unter sich die drei
Den Wein in gleiche Teile.
Die Gentlemen, die halten stand,
Ob auch ihr Auge leuchte,
An Nebel hat sie wohl ihr Land
Gewöhnt, das ewig feuchte.

Doch als ein ganzes Dutzend stand
Mit Luft anstatt mit Weine
Gefüllt, glitt von des Stuhles Rand
Zu Boden sacht der eine;
Der andre trank verglasten Blicks
Der Gläser nicht mehr viele,
Dann legt auch er sich hinterrücks
Zum Landsmann auf die Diele.

Hans Bürstenbinder spricht kein Wort,
Streicht ein die Talerscheine,
Sitzt ruhig dort und trinket fort
Den Rest vom Wetteweine;
Drauf an sein Trinkglas klingelt er:
»Herr Wirt,« ruft der Verschwender,
»Herr Wirt, bringt noch zwei Flaschen her
Und noch zwei Engeländer!«

24. Kommt ein Vogerl geflogen.

(Wie verschiedene Dichter dieses bekannte Volkslied, jeder in seiner Art, gedichtet hätten.)

Friedrich Schiller.

Durch des Weltalls Riesenatmosphäre,
Nach dem Urgesetz der Schwere,
Schwirrt auf Zephirs Zwillingsflügeln
Zu des Diesseits goldbesonnten Hügeln,
Übers schaumgekrönte Donnermeer,
Ein ambrosisch Vöglein her.

Gleich dem Hippogryph der Fabel
Hält's die Zauberschrift im Schnabel,
Die's mir zitternd übergibt.
Ha, was seh ich? Bei der Schaumgebornen,
Ha, von Laura, meiner Gotterkornen,
Ein poetisch Manuskript!

Ludwig Uhland:

Es flog von früh bis abend ein Vöglein hin und her,
Weit flog es über die Lande bis an das blaue Meer,
Bis wo im hohen Schlosse das Saitenspiel erbraust,
Und wo der finstre König mit stolzen Mannen haust.

Dort bringt's der Königstochter gar holden Minnegruß,
Und setzt sich, Träume spinnend, dem Mädchen auf den Fuß.
Sie aber, hold zerflossen von sel'ger Minnelust,
Sie steckt ihm in den Schnabel die Rose von ihrer Brust.

Ferdinand Freiligrath:

Was durchsaust wie Ungewitter fern den Kral der Hottentotten,
Daß die braunen Wüstensöhne bebend sich zusammenrotten?
Ha, ich fühl' es, beim Propheten! ja, beim Dattelschnaps, ich ahne
Von beschwingten Vögeln ist es eine Geisterkarawane.

Und der erste, dessen Büschel hinten so verwirrt und kraus ist,
Der nach meinem Vogel-Handbuch offenbar ein Vogel Strauß ist,
Ha, der bringt von meiner Fatme Briefe mir, der wackre Zieher.
Auf, den muß ich jubelnd grüßen und begrüß ihn mit Gewieher!

Friedrich Bodenstedt:

Fliegt ein Vöglein her zu mir,
Muß es halt zwei Flügel haben;
Bringt's von Mirza Gruß und Brief,
Muß der Brief ein Siegel haben;
Schreibt er: Heute reit ich aus,
Muß der Gaul zwei Bügel haben;
Schreibt er: Heute kann ich nicht,
Muß Freund Mirza Prügel haben.

Victor von Scheffel:

Am öden Gestade im Feuerland
Hockt durstend ein deutscher Student,
Da fliegt was heran, was der Bursche sofort
Als larus marinus erkennt.

Am öden Gestade im Feuerland
Brüllt's weit in die Lüfte hinaus:
O Vogel, du bringst mir Kunde gewiß
Vom nächsten Hofbräuhaus!

Am öden Gestade im Feuerland
Da schreit der Vogel: Halt an!
Hier gibt's nur rheinischen Apfelwein,
Den man nicht trinken kann.

Am öden Gestad im Feuerland
Da brummt der Bursche: Kein Bier?
Ja, lieber Vogel, dann frag' ich dich,
Was tut und treibt man denn hier?

Am öden Gestad im Feuerland
Lacht's kreischend: Wie dumm bist du,
Ich mach Guano scheffelweis,
Mach du nun ein Lied dazu!

Richard Wagner.

Ein preislich Vöglein flügelt und flattert
Vom hohen Himmelshaus herab zum Herdbord.
Der schnelle Schnabel schluckelt ein Schnitzlein
Papiernen Prunktums preisbares Prachtwerk.
Ein Gruß, ein grumlig grabbliger Goldgruß
Von kosig-keuscher, kerzschlank kräftiger,
Köstlicher Kosima.

Victor Blüthgen:

Kommt ein Vöglein tripp, tripp, tripp
Hergeflogen – hirsewipp! –
Siehst du, Kathrinchen?
Guckst du, Herminchen?
Im Schnäblein hält's ein Zettelein
Von Nachbars Henriettelein,
Und auf dem Blättlein klippdiklapp
Steht groß geschrieben – gersteschnapp, –
Wackelt das Füßchen?
Wenn unser Kindlein artig ist,
Bringt's Vöglein ihm zu dieser Frist,
Wuppdich – ein Grüßchen!

Heinrich Heine:

Aus heiliger Wolkenhöhe
Schwingt sich ein Vogel zu Tal,
Die schneeigen Schwingen leuchten
Im rosigen Abendstrahl.

Er hält ein Blatt im Schnabel,
Das die Liebste gesendet mir hat,
Sieh da, nun läßt er was fallen –
Doch leider nicht das Blatt.


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