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Johann Christian Günther (1695-1723)

1. Wein und Weib.

Das Haupt bekränzt, das Glas gefüllt!
So leb ich, weil es Lebens gilt,
Und pflege mich bei Ros' und Myrten.
Fort, Amor, wirf den Bogen hin
Und komm, mich eiligst zu bewirthen!
Wer weiß, wie lang ich hier noch bin?

Komm, bring ein niedliches Coffee,
Komm, geuß der Sorgen Panacee,
Den güldnen Nektar, in Krystallen!
Seht, wie die kleinen Perlen stehn!
Mir kann kein bessrer Schmuck gefallen,
Als die aus dieser Muschel gehn.

Mein Alter ist der Zeiten Raub,
In kurzem bin ich Asch und Staub:
Was wird mich wol hernach ergetzen?
Es ist als flöhen wir davon.
Ein Weiser muß das Leben schätzen,
Drum folg ich dir, Anacreon.

Werft Blumen, bringt Cachou und Wein,
Und schenkt das Glas gestrichen ein
Und führt mich halb berauscht ins Bette.
Wer weiß, wer morgen lebt und trinkt?
Was fehlt mir mehr? Wo bleibt Brunette?
Geht, holt sie, weil der Tag schon sinkt!

2. Lebensgenuß.

Brüder, laßt uns fröhlich sein,
Weil der Frühling währet,
Und der Jugend Sonnenschein
Unser Laub verkläret;
Grab und Bahre warten nicht,
Wer die Rosen jetzo bricht,
Dem ist der Kranz bescheret.

Rasch entstürmt der Jahre Flucht
Mit verhängtem Zügel,
Und des Schicksals Eifersucht
Leiht dem Lenze Flügel.
Brüder! trinkt, noch ist es Zeit,
Eh der Herbstwind Blätter streut
Auf unsres Grabes Hügel.

Wo sind jene, sagt es mir,
Die vor wenig Jahren,
Eben also, gleich wie wir,
Jung und fröhlich waren?
Ihre Leiber deckt der Sand,
Sie sind in ein fremdes Land
Aus dieser Welt gefahren.

Wer nach unsern Vätern forscht,
Mag den Kirchhof fragen:
Ihr Gebein, das längst vermorscht,
Wird ihm Antwort sagen.
Uns auch, Brüder, kann man bald,
Eh die Morgenglocke schallt,
In unsre Gräber tragen.

Unterdessen seid vergnügt,
Laßt den Himmel walten,
Trinkt, bis euch das Bier besiegt
Nach Manier der Alten!
Fort! mir wässert schon das Maul,
Und ihr andern seid nicht faul,
Die Mode zu erhalten!

Darum laßt uns fröhlich sein,
Weil der Frühling währet,
Und der Jugend Sonnenschein
Unser Laub verkläret:
Grab und Bahre, warten nicht;
Wer die Rosen heute bricht,
Dem ist der Kranz bescheret.


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