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Heinrich Helmoldi (geb. 1864)

1. Beim Anbruch des neuen Jahrhunderts.

(Zum 1. Januar 1901.)

»Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden,
Und das neue öffnet sich mit Mord –«
Also sehnte klagend sich nach Frieden
Heut vor hundert Jahren Schillers Wort.

Hundert Jahre sind verrauscht – indessen
Trotz der Friedenskonferenz im Haag
Hat man noch des Kriegens nicht vergessen
Und die Stürme brausen Tag für Tag.

Tapfer gegen Englands Übergröße
Kämpft der kleine heldenhafte Bur,
Faustschlag teilt er aus und Rippenstöße,
Wies dem Briten selten widerfuhr.

Auch in Asiens fernem Reich der Mitte
Glüht der Rache Fackel und bestrahlt,
Wie der Boxer, weil er Recht und Sitte
Arg verunehrt, seine Zeche zahlt.

Laß im Osten sie und auch im Süden
Ihre Schwerter wetzen – uns seis recht!
Endlich müssen Freund und Feind ermüden,
Und das Ende wird ein Wort gefecht!

Sind erst wieder hundert Jahre brausend
Über unsre Welt dahingefegt,
Wirds beim neuerwachenden Jahrtausend
Andres sein, was Menschenherz bewegt.

Weltgeschichte, wie wir längst erfahren,
Schreibt in ihr gewaltges Zeitenbuch
Die Ergebnisse von hundert Jahren
Nur mit einem einzgen Federzug.

Zwei, drei Namen – Bismarck, Mozart, Goethe,
Und vielleicht das Datum: siebenzig –
Das genügt ihr, weil sich mehr verböte –
Und darunter kommt ein dicker Strich.

Alles andre, was da noch gewesen,
Ob es groß, ob schön, ob nett und lieb,
Wird geschaufelt ohne Federlesen
Und fällt klanglos durch das weite Sieb!

Und wir Kroppzeug, das in den Tabellen
Als Bevölkrungszahl nur figuriert,
Dürfen keinen weitern Anspruch stellen,
Als daß man die Steuerlisten ziert.

Niemand wird von uns ein Wörtlein wissen,
Wenn ein neues Säkulum erwacht,
Selbst der Ort, wo wir ins Gras gebissen,
Ist dann längst dem Boden gleich gemacht.

Doch wir lassen drum den Kopf nicht hangen,
Wenn man uns nur lebend nicht vergißt;
Denen vor uns ist es so gegangen
Und auch wir einst werden nicht vermißt.

Glücklich will ich preisen mich am Ende,
Wenn von meiner Enkelschar ein Kind
Bei des kommenden Jahrhunderts Wende
Meiner noch ganz dunkel sich entsinnt,

Weil es unterm Hausrat still-verwundert
Irgend etwas aufgefunden gar,
Was ihm sagt: daß anno neunzehnhundert,
Ich von ihm ja auch eine Ahne war.

2. Spielmanns Durst.

Ein Pfeifer und ein Säufer stramm
War Jürgen Klut aus Ellerdamm,
Der, wenn er nicht pfiff,
Zum Römer griff,
Die Kehle zu delektieren.
Die Paare schleiften ohn Unterlaß,
Es dröhnte das Blech, es grunzte der Baß,
Doch alles durchdrang
Und überklang
Der Pfeife Quinkilieren!

Als Jürgen Klut in finstrer Nacht
Sich auf den Heimweg einst gemacht,
Die Füße so schwer,
Der Kopf noch viel mehr,
Wie lustige Spielleut es lieben –
Da öffnet sich plötzlich der Erde Grund,
Denn am Schloßberg spukts oft zur Geisterstund,
Und wie in ein Grab
Stürzt der Pfeifer hinab
Sechs Klafter tief oder sieben.

Da steht vor ihm ein verschrumpelter Zwerg:
»Mich hat verwunschen in diesen Berg
Zur Alraungestalt
Eines Zaubrers Gewalt –
Sah hundert Jahr nicht die Sonne!
Du fielst heut in der Dreikönigsnacht
Vielleicht zum Glück mir in den Schacht;
Schau her, Musikant:
Hier liegt an der Wand
Manch kleine und große Tonne.

Und trinkst du in sieben Jahren sie leer,
So bin ich erlöst und kein Alraun mehr.
Drum, Jürgen Klut,
Trink wohlgemut
Und laß mich vergebens nicht hoffen!« –
Der Zwerg verschwand – der Pfeifergesell
Läßt lustig sprudeln den reichen Quell
Aller Sorten Wein
Von Frankreich, vom Rhein,
Und täglich war er besoffen.

Manch Wandrer vernahm in stiller Stund,
Wies unterirdisch floß aus dem Spund;
Wies rumort und gegluckt,
Wenn er schnalzend geschluckt
Und dazwischen gröhlte und johlte.
Er sang: »Komm, Bruderherz, trink mit mir«
Und »Im tiefen Keller sitz ich hier –«
Allmählich wards stumm,
Schwer sank er um,
Bis er schnarchend Atem holte.

Noch ehe das siebente Jahr verstrich,
Hob Jürgen Klut aus der Erde sich.
Sein Haar war verfahlt,
Nur die Nase strahlt
Rotglühend in funkelndem Scheine.
Er pfiff ein Lied, ging taumelnd einher,
Verschwand und keiner sah ihn mehr.
Doch liegt in der Luft
Noch heut hier ein Duft
Wie von altem köstlichen Weine!

3. Nachtgestalten.

Herrliche Nacht am deutschen Meer!
Laue Sommerlust wellt und webt
Und streichelt mir die erhitzte Stirn,
Schmeichlerisch wie die schmale weiche Hand
Einer verliebten Frau. –
Die Wellen klatschen und kichern,
Erst leise und heimlich, als scheuen sie sich,
Die Kirchenstille der betenden Natur zu stören;
Aber da kommt der Nachtwind angestolpert,
Schlacksig und steifbeinig wie ein junger Neufundländer,
Oder wie ein richtger mecklenborgscher Bauernjunge:
Und wie er sich so über die Dünen schiebt,
Plötzlich über einen Stein stolpert
Und sich im Strandhafer kollernd überschlägt,
Dabei die Beine mit den plumpen Transtiefeln
Zum schweigenden Himmel emporstreckt –
Da lachen die Wellen laut auf,
Lachen mit tausend silbernen Lippen
Und spritzen ihm nackend eine Tropfenflut ins Gesicht,
Daß er prustend weiterstolpert. –

 

Ich bin ein Sonntagskind und kann Geister sehen.
So erkenn ich auch deutlich die Wellengesichter!
Reizende Köpfchen darunter! Mit Stumpfnäschen
Und frischen Bauerndirnenbacken,
Gesund und prall wie Borsdorfer Äpflein.
Ja, so sehen sie aus, die deutschen Undinen!
Nicht so ätherisch wie ihre südlichen Schwestern,
Lange nicht so »gebüldet« –
Aber gesund
Und gar nicht mondsüchtig.

Und wenn sie singen – in plattdütschen Riemels –
Klingt es ganz menschlich, wie ein Lied von Dorfmädels. –
Ich hab auch in mancher sternüberfunkelten Nacht
Ihre italienischen Schwestern gehört.
Das klingt wie Sirenengesang – lockend und lachend –
Mehr sinnlich und verbuhlt – beinahe dirnenhaft.
Und dennoch hab ich sie geliebt,
Denn sie dufteten nach Mandeln und Rosen
Und überhaupt so baldrianhaft-aufregend –
Aber ich liebte sie nur platonisch, immer hübsch respektvoll,
Weil sie im Grunde ihres Herzens doch kalt sind –
Und wie gesagt mondsüchtig.

Aber die deutschen Undinen,
Besonders die mecklenburgisch-pommerschen,
Die lachen den Mond aus:
Denn sie halten ihn mit seinen dunkeln Kraterlöchern
Für einen riesigen Schweizerkäse,
Der auf dem blaugeblümten Wolkenteller liegt.
Ja, so unverdorben, so prosaisch-naiv
Sind die Kinder der Ostsee;
Und duften auch nicht so kokottenhaft,
Sondern riechen hübsch ehrbar nach Tang, Tran und Fisch! ...

 

Ich aber schritt weiter – blieb oftmals stehn,
Um einen weitausgreifenden Blick zu tun
Auf das uferlose Schwarzblau,
Das sich glatt ausspannte
Wie eine seidene Decke,
Nur hier und da heimlich katzenbuckelnd,
Und hinten, ganz hinten in ein farbloses
Verfließendes Nichts verschwindend. –

Und die Nacht hatte das Meer, ihr großes Wiegenkind,
In den Arm genommen –
Und schaukelte es leis hin und her,
Und schmückte es mit Millionen von goldnen Augen –
Hier und dort und überall blinkt und blitzt es.
Aber die Nacht ist stumm – und da sie kein Wiegenlied
Singen kann, wie es die Mütter lieben,
So will das Kind nicht zur Ruhe kommen –
Und so singt es sich selbst sein Wiegenlied:
Kein duseliges Eiapopeia – ein gewaltiges Lied,
Ein brausender Hymnus ist es,
Dessen Anfangstakte kein menschliches Ohr vernahm –
So alt, so uralt ist es!

 

Und ich, der Sterbliche, lausche dem unsterblichen
Orgelklang der brausenden Wogen,
Bis auch mir im Herzen
Ein Singen und Klingen erwacht
Und sich zu jener Melodie formt,
Die jedem Menschen die Natur mitgegeben.
Ja, wir alle haben eine solche Melodie in uns,
Auf die unsre Seele eingestimmt ist
Und die wach wird und mitklingt,
Wenn die Natur den verwandten Ton anschlägt.
Und auf den Gesang des Meeres
Ist meine Seele eingestimmt –
War es wenigstens in jener Nacht!
Und ich fühle mich eins mit der Natur,
Hob die Hände zum dunkelnden Himmel,
Als wollt ich ihn umarmen, und fühlte:
Wind, Wasser und Feuer
Sind meine Brüder,
Luft und Erde mir Schwestern,
Und liebende Mutter die Sonne!
So schritt ich weiter. –

Bald umfing mich des Waldes schwarzer Schatten,
Des Himmels Sterne ertranken
Unter den blätterbehelmten Giganten,
Und nur das Meer noch hörte ich rollen.
Oder waren es jetzt die Wipfel?
Denn ein starker Wind hatte sich aufgemacht,
Jagte dicke Wolken vor sich her,
Und Dunkel bedeckte Wald und Wasser,
Daß es so finster wurde wie in einer Menschenseele.
Kaum die Hand vor Augen war zu sehen,
Nur oben, wo die Tannen ihre zackigen Lanzen
Gen Himmel streckten, war es lichter,
Und der Wind, wie ein heulender Derwisch,
Tanzte bald hierhin, bald dorthin, wirbelnd im Kreis.

Da steht einer vor mir! – Eine hohe,
Furchterregende Gestalt – –
Wer bist du?
Ahasver, der ruhelose Wandrer aus Jeruscholaim?
Nein, jetzt erkenn ich dich – ein Wanderer freilich,
Doch nicht der arme, friedlose, unbehauste Jude,
Der längst nicht mehr zu wandern brauchte,
Wenn er in seiner Jugend eine Reichsmark
Auf Zinseszinsen angelegt hätte,
Und heute als vielfacher Millionär
Im Luxuszug die Erde durchgondeln könnte –
Nein! Du bist es nicht, du zäher Schnorrer,
Es ist der alte Thanatos, dein bester Freund,
Der dir kein Haar auf dem Schädel krümmt,
Selbst nicht die Silberlaus in deinem wallenden
Prophetenbarte zerknickt – – es ist der Tod!!

Was will er hier am einsamen Strand?
Will er mich einladen zum letzten Tänzchen?
Nur los! – Aber er geht vorüber –
Grinsend, langsam – der Mond liebäugelt
Mit seiner blanken Schädelknochenkapsel –
Und seine Augen blitzen –
Augen? nein: zwei runde
Gucklöcher sinds in einer weißen Wand,
Durch die ein anderes Wesen herausschaut.

Er tritt ans Meer und reckt die magern Arme
Unheilsegnend über die stürmende Weite!
Was liegt ihm an meiner einen armen Seele?
Er beschwört den Sturm – und der Sturm
Sammelt ihm hundert Seelen mit eins:
»Dat flutscht better!« –

Beschleunigten Schrittes eil ich zurück,
Dem Dörflein zu,
Wo ich für einge Wochen mein Zelt
Als »Sommerfrischling« aufgeschlagen.
Und als ich aus des Waldes Nacht
Auf die Landstraße trete,
Kommt mir des Krugwirts Liesing entgegen,
Meines Wirtes flachsblonde stramme Magd;
Die »lütte Dirn« hat mich gern,
Und sie versprach mir unlängst wieder
Ein allerliebstes Schäferstündchen.
Da summt es mir durch den Kopf:
»Dem Weibe und dem Knochenmann
Kein Menschenkind entgehen kann!« –

 

Also faß ich sie um die Taille,
Quetsche ihr einen knallenden Kuß
Auf die federnde Backe,
Und beim Wandern ins Dorf
Erzähl ich ihr mein Erlebnis.
Aber sie hat keinen Sinn für Poesie –
Es gefällt ihr wenig – und sie schaut mich
Ganz ängstlich und »verstüert« von der Seite an.
Und als nahe vorm Hause,
»Bi unsen olln Kastan'genböm,
Wo im Summer de Maikäwers surrt und burrt hebben«
Als hier aus dem Kuhstall
Körting, der Knecht, hervortritt,
Da macht sie sich los von mir, die »Kroet«,
Gibt mächtig Steam und drückt sich
In den Schatten der Mauer zu ihrem Körling,
Der breitmäulig grinst wie ein Maki – – auch gut!!

 

Ich gehe, schnell abgekühlt durch das Gebaren
Der meckelborgschen Undine, aufs Zimmer,
Stecke mir eine Upman an und denke:
Da hast du wieder einmal
In die falsche Assiette getreten – jedoch,
Welcher Mensch in seinem Leben
Macht nicht einmal eine Dummheit?
Und sag mir im stillen das Trostsprüchlein her:
»De Leiw is grad as eine Kauh,
Sei löpt dem dümmsten Ossen tau!«


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