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Max Hoffmann (geb. 1858)

1. Der Dank.

In einer guten alten Stadt,
War einst ein Weib, das plagt den Mann,
Wie nur ein Hauskreuz plagen kann,
Und schimpfte stets an ihm sich satt,
Was er auch tat, es war nicht recht, –
Er lebte schlimmer als ein Knecht.
Doch klagt er nie, daß sie ihn quäle,
Und zeigte immer guten Mut:
Er war ihr recht von Herzen gut
Und liebte sie aus ganzer Seele. –
Nun war einst auf dem Markt die Schlimme
Und zankte da mit lauter Stimme
Und ging so weit, es keck zu wagen,
Ein Marktweib ins Gesicht zu schlagen.
Man lief zum Büttel, und die Frau
Kam vor den hochwohlweisen Rat.
Der sprach den Spruch, daß für die Tat
Sie an den Pranger sollt' zur Schau.
Darob war großes Weinen, Klagen!
Dem Mann tat's leid, weil er so gütig,
Und er erbot sich edelmütig,
Den öffentlichen Schimpf zu tragen.
Die Frau nahm das halb mürrisch an,
Und an dem Pranger stand der Mann ...

Doch bald war diese Tat vergessen,
Sie war unleidlich wie noch nie,
Und schimpft' den Mann und tobt' und schrie,
Als wär' vom Teufel sie besessen.
Da wagt er einst mit einer leisen
Ermahnung sie zurecht zu weisen;
Sie aber, höhnischen Gesichts,
Rief laut: »Kam dein Verstand abhanden?
Man weiß, daß du ein Taugenichts:
Du hast am Pranger schon gestanden

2. Der fahrende Lesesaal.

Was saust dort rasch »elektrisch« hin?
Es ist der große Straßenwagen,
Und manche holde Leserin
Und manchen Leser muß er tragen.

Ein Herr durchfliegt die Politik
In der mit Hast gekauften Zeitung,
Und von Theater und Musik
Liest seine weibliche Begleitung.

Der jungen Dame dort wird heiß
Bei des Romanbuchs schönen Fabeln,
Ein Knabe lernt mit ems'gem Fleiß
Die aufgegebenen Vokabeln.

Ein ernster, sorgenvoller Mann
Studiert die Börsen-Kursberichte,
Ein anderer sieht sich Bilder an,
Ein süßer Backfisch liest Gedichte.

Hier findet einen guten Witz
Ein Jüngling in dem Lieblingsblatte,
Er wiegt sich lächelnd auf dem Sitz
Und zupft vergnügt an der Krawatte.

Die Dame in der Ecke dort,
Sie liest ein Brieflein ganz verstohlen,
Ihr Gegenüber liest von Mord
Und was die Diebe alles holen.

Nur einer sitzt ganz still und döst
Beim allgemeinen Lesewerke, –
Er hat sich kein Billett gelöst
Und stellt sich dumm, daß man's nicht merke.


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