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Herm. S. Rehm (geb. 1859)

1. Voltaires Höflichkeit.

Ein junger Dichter, ein eitler Tor
Trug Voltaire einst seine Verse vor,
Für die er nach kecker Poetenart
Meinte, es würde kein Lob gespart.
Doch während er über die Zeilen flog
Der Alte oft grüßend sein Käppchen zog
Bis endlich der Dichter halb verzagt
Den Zuhörer nach der Ursach' fragt.
Da lächelte Voltaire zum Spott stets bereit:
»Mein Freund, es geschah nur aus Höflichkeit
Denn wenn ich sie treffe, Ihr mögt es nur wissen,
Pfleg alte Bekannte ich immer zu grüßen.«

2. Die Prise.

Zwei würd'ge Herrn in höhern Jahren,
Des Becherschwungs durchaus erfahren,
Der eine Dechant und allverehrt,
Der andre als geistlicher Rat gelehrt,
Die saßen auch heute beim Tranke der Reben
Ihn preisend als das beste im Leben.
Der feiste Dechant oftmals vom Glase
Hinlugt nach des Konfraters rotfunkelnder Nase,
Bis dieser nach einigem Zögern spricht:
»Warum denn studiert Ihr so scharf mein Gesicht
Oder hegt den schnöden Verdacht auch Ihr,
Daß dem Wein ich verdank diese Farbenzier?
Ihr wißt, Herr Dechant, ich bin ein Schnupfer
Mit Tabak ein eifriger Nasenbetupfer,
Sie dürfen mir's glauben, die seltne Couleur
Rührt allein und einzig vom Prisen nur her.«
Da lächelt der Dechant, der Seelenberater
Hob hurtig das Glas zum rotnas'gen Konfrater
Und sprach, was den andern nimmer konnt' grämen:
»Dann woll'n mir noch schnell eine Prise nehmen!«


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