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August Friedrich Ernst Langbein (1757-1835)

1. Das große Los.

»Frau,« sagte Meister Till, »ich muß
Zuletzt noch aus der Stadt; so schlimm stehn unsre Sachen.
Doch rührten wir auch jemals Hand und Fuß,
Dem Glück ein Pförtchen aufzumachen?
Ei, laß uns nicht so schläfrig sein,
Laß uns heut noch ein Lotterielos kaufen!
Durch dieses Türchen schleicht gewiß das Glück herein
Und bringt uns Gold- und Silberhaufen.« –

Frau Till, ein Weiblein guter Art,
Sprach immer ja zu allen Dingen;
Das Los kommt an, wird heilig aufbewahrt,
Und unser Pärchen borgt und spart,
Um nach und nach den Einsatz zu erschwingen;
Doch das papierne Pförtchen stand
Ein halbes Jahr Fortunen offen,
Und immer noch ließ sie, als wärs ihr nicht bekannt,
Vergebens ihren Einzug hoffen.

Hell krähte jetzt der muntere Hahn
Den Ziehungstag des großen Loses an,
Und Till sprang jubelnd aus dem Bette:
He, Weibchen, freue dich mit mir!
Das große Los – was gilt die Wette? –
Bekommt kein Menschenkind als wir;
Ein goldner Traum hat mirs versprochen,
Und Träume halten stets mir Wort.
Bemüh dich nicht, für mich Kaffee zu kochen;
Ich will gleich fort, ins Lotteriehaus fort.
Zum letztenmal vielleicht berühren meine Sohlen
Den harten Pflasterweg: denn steht das Glück uns bei,
Alsdann ade, Fußgängerei!
Ich lasse stracks mir eine Sänfte holen,
Und mache mich vor Stolz so schwer wie Blei.
Die Sänfte, Kind, sei dir so gut als Brief und Siegel,
Daß uns das große Los gehört.
Erblickst du sie, dann wirf, vor Freude wie betört,
Flugs Teller, Schüsseln, Töpf' und Tiegel
Und Schrank und Tisch und Stuhl und Spiegel,
Wirf, wie man sagt, das ganze Haus
Zum Fenster Schlag auf Schlag hinaus!
Was sollen wir den alten Plunder schonen?
Wir werden bald in goldnen Zimmern wohnen.« –

Er rannte fort, und seine Gattin sprach:
»Karl, lauf dem Vater schnell ans Lotteriehaus nach
Und laure vor der Tür, bis man vom Saal hernieder
Nach einer Sänfte läuft und ruft;
Dann aber komm im Fluge wieder
Gleich einem Vogel in der Luft!« – –

Das Knäblein hatte schier drei Stunden lange Weile
Und hörte noch von dem, was es begierig dort
Erwartete, kein stummes Wort;
Doch plötzlich sprang in höchster Eile
Jemand die Trepp' herab, und oben riefs: »Fort, fort!
Nur eine Sänfte gleich! Geschwind, um Gottes willen!«
Karl fragte schnell: Für wen, mein lieber Mann?«
Der Renner flog vorbei und fuhr ihn unsanft an:
»Für wen denn sonst als Meister Tillen?« –
Der Bube stob so schnell weg von der Tür,
Als ritt der flüchtige Kurier
Auf Doktor Fausts berühmtem Mantel.
Die Mutter harrte sein mit flammender Begier
Und schwärmte, da er stammelnd ihr
Bericht gab, wie verletzt vom Giftstich der Tarantel.
Sie sprang bacchantisch-wild, mit aufgelöstem Haar
Und schleuderte durchs Fenster, was im Zimmer
Wand-, niet- und nagelfest nicht war.
Mit Brummen überstieg das Sänftenträgerpaar
Die vor der Tür gehäuften Trümmer.

Man öffnet jetzt das kleine Haus
Und denkt, Herr Till wird flink heraus
Gleich einem jungen Böcklein springen;
Doch welch ein Schreck! – Er liegt darin
Bewegungslos und ohne Sinn,
Als sollte man für ihn die Totenmesse singen.
Man spritzt ihm Wasser ins Gesicht,
Man heult und schreit ihm in die Ohren;
Vergebens! Er ermannt sich nicht
Und scheint für diese Welt verloren.

Allein nach kurzem Zeitverlauf
Schlug er, geweckt durch steigendes Getümmel,
Die Augen mählich wieder auf,
Und seine Gattin rief: »O tausend Dank dem Himmel!
Ha, Männchen,« fuhr sie fort, »ward dir vor Freude schwül?
Ja, ja, das große Los ist traun kein Pappenstiel!
Doch hätt ich dich darüber in der Blüte
Des Lebens eingebüßt (davor mich Gott behüte),
So wär die Lotterie dennoch ein böses Spiel.« –

»Das ist sie!« sprach er matt: »Ich fiel
In Ohnmacht über – unsre Niete.« – –

Das große Los
Warf einem reichen Mann Fortuna in den Schoß.
Man munkle wie man will, von dieser Menschenklasse,
Daß sie sich mit Gefühl und Mitleid nicht befasse:
Mich freuts, daß ich von dem, der jenes Los gewann,
Ein andres Liedchen singen kann.
Er hörte kaum durch fliegende Gerüchte
Tills tragikomische Geschichte,
Da rief er seufzend aus: »Der arme, gute Mann!
Nein, ich will wahrlich nicht verschulden,
Daß er vor Gram vergeht! – Geschwind, geschwind, Johann,
Lauf hin und bring ihm – diesen Gulden!«

2. Die neue Eva.

»Lieber Gott, man muß sich placken
Wie ein Lasttier auf der Welt.
Klötze sägen, Stöcke hacken,
Daß der Schweiß zur Erde fällt!
Wir und alle frommen Christen
Lebten hoch im Paradies,
Wenn sich Eva nicht gelüsten
Den verbotnen Apfel ließ.

Lieb ich wie die Weiber alle
Wohl auch Obst und Näscherein,
Würd' ich doch im gleichen Falle
Nicht so schwach wie Eva sein.« –
Liese sprach voll Mißbehagen
Dies zu Waltern, ihrem Mann;
Doch ein Reicher hört sie klagen,
Und er redet schnell sie an:

»Mutter, prüft Euch, eh Ihr schmälet!
Ach, verblendet hättet Ihr
Wohl den Irrpfad selbst erwählet!
Mutter, das befürcht ich schier.
Glaubt Ihr, solch ein Abenteuer
Ritterlicher zu bestehn,
So werft Säg und Axt ins Feuer,
Und dann kommt, wir wollen sehn!«

Sie versprach, sich gut zu halten,
Und so froh wie Fisch im Bach
Trippelten die beiden Alten
Nun dem reichen Manne nach.
Dieser gab das schönste Zimmer
Seines Hauses ihnen ein:
»Leutchen, seht, hier soll euch nimmer
Evens Fehltritt merklich sein.

Täglich sollt ihr aufgetragen
Sieben Schüsseln vor euch sehn.
Sechs genießet mit Behagen,
Aber laßt die letzte stehn!
Man wird sie verdeckt euch bringen;
Zähmt und fesselt Hand und Blick!
Denn euch flieht auf schnellen Schwingen,
Wenn ihr sie berührt, das Glück.«

In dem neuen Paradiese
War den Leuten trefflich wohl;
Doch am achten Tag sprach Liese:
»Fast werd ich vor Neugier toll;
Väterchen, gewaltig jucken
Mir die Finger, das Gericht
Unterm Deckel zu begucken;
Väterchen, he! meinst du nicht?« –

»Hast du«, schmält er, »schon vergessen,
Daß du all dein Glück verlierst,
Wenn du, Törin, dieses Essen
Mit dem Finger nur berührst?
Willst du dich denn wieder placken,
Wie ein Lasttier auf der Welt
Klötze sägen, Stöcke hacken,
Daß dein Schweiß zur Erde fällt?«

Aber seine gute Lehre
Fand der Gattin Ohren taub;
Denn sie war schon der Megäre
Neugier rettungsloser Raub.
Neugier spielte hier die Schlange;
Liese hob die Deck' empor,
Und ein Mäuschen, das schon lange
darauf harrte, sprang hervor.

Welch Geschrei, welch Händeringen!
Doch dies konnte nicht zurück
Das entflohne Tierchen bringen
Und das mitentflohne Glück.
Bald bekam der Hausherr Kunde
von der Flucht der Prüfungsmaus,
Und er trieb in dieser Stunde
Seine Gäste spottend aus.

Ach, sie schlichen jetzt voll Reue
Durch des Paradieses Tor,
Um mit Tränen nun aufs neue
Holz zu spalten wie zuvor.
Walter rieb sich hintern Ohren
Und schalt Liesen ins Gesicht:
»Tadeln können zwar die Toren,
Aber klüger handeln nicht!«

3. Der Gerichtsverwalter.

Gerichtsverwalter Veit, der Schrecken armer Bauern,
Trug seinen dicken Bauch tief krächzend über Land
Und rief, als er von Regenschauern
Ein Bächlein angeschwollen fand,
Dem nächsten Ackersmann: »Mein Lieber,
Kommt her und tragt mich da hinüber!«
Der Bauer kam im schnellsten Lauf:
»Gestrenger Herr, gleich will ich Ihnen
Als Leibroß untertänig dienen,«
Und lud den Aktenreiter auf.

Sie waren mitten in dem Bach,
Als dankbarlich der Reiter sprach,
»Ich wills vergelten, lieber Alter,
Werd ich aufs neu Gerichtsverwalter.« –
Da stand sein Leibroß still und fragte: »Was sagt Er?
Ist Er denn nicht Gerichtsverwalter mehr?« –
»Ach! wißt Ihrs nicht?« begann der Rundbauch jetzt zu klagen,
»Ich ward entsetzt vor wenig Tagen.« –

Patsch! warf den alten, dummen Veit
Der Bauer in den Fluß und höhnt ihn: »Laßt mirs sagen,
Wenn Ihr aufs neu Gerichtsverwalter seid;
Alsdann will ich Euch weitertragen.«

4. Die Belagerung.

Vor alter Zeit ward eine Stadt
Von Feinden eingeschlossen
Und Tag und Nacht mit einer Saat
Von Kugeln heiß begossen.
Die Mauer trotzte zwar dem Sturm,
Doch bald begann der Hungerwurm
In zwanzigtausend Magen
Mit scharfem Zahn zu nagen.

Wie Schatten lief das Volk herum
Und schrie: »Ergebt euch, Narren!
Der Hunger zieht mich schief und krumm;
Ich kann nicht länger harren!« –
Da schritt mit Löwenmut herbei
Ein Meister von der Schneiderei,
Gebietend: »Still ihr Memmen!
Ich will dies Unglück hemmen!« –

Drauf ließ sich dieser kühne Held
In eine Bockshaut nähen
Und sich als Bock von aller Welt
Stracks auf der Mauer sehen.
Er meckerte vom hohen Wall
Auch so natürlich, daß der Schall,
Den weit und breit man hörte,
Die Feind im Lager törte.

Ha! fluchten sie: hol euch die Pest!
Am klügsten wärs, wir gingen.
Nun läßt sich doch das Teufelsnest
Auch nicht durch Hunger zwingen.
Das Volk hat Fleisch noch, wie man spürt;
Seht, auf dem Wall umher spaziert
Ein wohlgenährtes Bäckchen
Und meckert wie ein Glöckchen!

Sie brachen auf und bald war schon
Kein Feind mehr in der Runde.
Doch Undank ist der Erde Lohn,
Denn seit derselben Stunde,
Da dieser Schneiderheld die Stadt
Als Ziegenbock befreiet hat,
Gefiels dem rohen Haufen,
Die Schneider so zu taufen.

Das geht nicht zu mit rechten Dingen!
Spricht Hans mit sehr bedenklichem Gesicht,
So wird es nimmermehr gelingen;
Laß sehn, ob wir den Tollwurm nicht
Durch magre Kost und Arbeit zwingen.
Die Probe wird gemacht. Bald ist das schöne Tier,
Eh noch drei Tage hingeschwunden,
Zum Schatten abgezehrt. Ich habs, ich habs gefunden!
Ruft Hans. Jetzt frisch, und spannt es mir
Gleich vor den Pflug mit meinem stärksten Stier!

Gesagt, getan. In lächerlichem Zuge
Erblickt man Ochs und Flügelpferd am Pfluge.
Unwillig steigt der Greif und strengt die letzte Macht
Der Sehnen an, den alten Flug zu nehmen.
Umsonst, der Nachbar schreitet mit Bedacht,
Und Phöbus' stolzes Roß muß sich dem Stier bequemen.
Bis nun, vom langen Widerstand verzehrt,
Die Kraft aus allen Gliedern schwindet,
Von Gram gebeugt das edle Götterpferd
Zu Boden stürzt und sich im Staube windet.

Verwünschtes Tier! bricht endlich Hansens Grimm
Laut scheltend aus, indem die Hiebe flogen.
So bist du denn zum Ackern selbst zu schlimm,
Mich hat ein Schelm mit dir betrogen.

Indem er noch in seines Zornes Wut
Die Peitsche schwingt, kommt flink und wohlgemut
Ein lustiger Gesell die Straße hergezogen.
Die Zither klingt in seiner leichten Hand,
Und durch den blonden Schmuck der Haare
Schlingt zierlich sich ein goldnes Band.
Wohin, Freund, mit dem wunderlichen Paare?
Ruft er den Bau'r von weitem an.
Der Vogel und der Ochs an einem Seile,
Ich bitte dich, welch ein Gespann!
Willst du auf eine kleine Weile
Dein Pferd zur Probe mir vertraun?
Gib acht, du sollst dein Wunder schaun.

Der Hippogryph wird ausgespannt,
Und lächelnd schwingt sich ihm der Jüngling auf den Rücken.
Kaum fühlt das Tier des Meisters sichre Hand,
So knirscht es in des Zügels Band
Und steigt, und Blitze sprühn aus den beseelten Blicken,
Nicht mehr das vor'ge Wesen, königlich,
Ein Geist, ein Gott, erhebt es sich,
Entrollt mit einem Mal in Sturmes Wehen
Der Schwingen Pracht, schießt brausend himmelan,
Und eh der Blick ihm folgen kann,
Entschwebt es zu den blauen Höhen.


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