Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Johann Gabriel Seidl (1804-1875)

1. Böser Zweifel.

Mein Kind, solang ich bei dir bin,
Bist du, das fühl' ich, mein;
Da schleicht sich wohl in deinen Sinn
Kein fremdes Bild hinein.

Da bist du mir von Herzen gut,
Tust alles, was ich will,
Verleugnest dein bewegtes Blut,
Wirst ernst und weich und still.

Doch wenn dein Auge mich vermißt,
Wenn andre nach dir sehn,
Und du dir überlassen bist,
Was mag wohl dann geschehn?

Drum fährt mir manchmal durch den Sinn,
Der böse Zweifel hin:
Ob ich wohl dann auch bei dir bin
Wenn ich nicht bei dir bin?!

2. Der verzauberte Rechen.

Auf einer Wies im Walde
Lehnt einst ein Bäuerlein,
Ausrastend auf dem Rechen,
Und sah ins Grün hinein.

Der Jäger auf der Birsche
Stand ungesehn ihm nah;
Da rauscht es in der Gegend,
Wohin der Bauer sah.

Ein Hirschlein bricht sich munter
Durchs hohe Dickicht Bahn;
Der Bauer nimmt den Rechen
Und legt, wie zielend, an.

Und paff! – das Hirschlein zappelt;
Der Jäger schoß mit Glück,
Drauf wirft er ins Gestrüppe
Die Büchse schnell zurück.

Der Bauer setzt erschrocken
Den Rechen ab – und schaut;
Da packt ihn schon der Jäger –
Nun geht's ihm an die Haut.

»Du bist ein Wilddieb, Schurke!
Ich hab dir zugesehn!
Entweder mußt du zahlen,
Wo nicht – zum Amtmann gehn!«

»Herr Jäger, ach, Herr Jäger,
Bedenkt doch« – stammelt er –
»Hab ja nur einen Rechen,
Hab ja gar kein Gewehr!«

»Tut nichts!« so brummt der Grüne,
»Du legtest einmal an,
Drauf ist der Hirsch gefallen,
Mithin hast du's getan!«

»Ach lieber Gott, Herr Jäger,
Seht nur den Rechen hier!«
»Was – Rechen? – Kurz, du zahlest,
Sonst fort aufs Schloß mit dir!«

Der Bauer schwatzt und bittet;
Umsonst! – »Zahl' oder geh'!«
Was tun? – In Gottesnamen,
Tut gleich der Taler weh.

Betrübt nimmt er den Rechen
Und denkt sich: »Kurios!« –
Ja, wenn der Satan schüret,
Geht auch der Rechen los!!!

3. Kurios.

»Herr Doktor, ach, Herr Doktor!«
Ein Krauter stöhnt und spricht,
»O rettet mich vom Tode,
Ach, wie das nagt und sticht!«
Da fühlt den Puls der Doktor
Und spricht darauf sofort:
»Bis morgen ist das Übel
Gehoben, auf mein Wort.«

»Herr Doktor, ach, Herr Doktor«,
Ein Zweiter stöhnt und klagt,
»O lindert nur die Qualen,
Ach, wie das sticht und nagt!«
Da fühlt den Puls der Doktor
Und spricht: »Es ist zu spät,
Ihr seid des Grabes Beute,
Eh' noch der Tag vergeht.«

Und Tags darauf der Doktor
Zum ersten kommt und fragt:
»Nicht wahr, er ist genesen,
Ich hab's vorhergesagt?«
Da schluchzen sie: »Noch gestern
Der Tod sein Auge schloß.«
Da steht verblüfft der Doktor
Und denkt sich: Kurios!

Und drauf zum zweiten Kranken
Der Doktor kommt und fragt:
»Nicht wahr, er ist gestorben,
Ich hab's vorhergesagt.«
Da heißt's: »Da draußen geht er
Spazieren, schmerzenlos.«
Und wieder steht der Doktor
Und denkt sich: Kurios!


 << zurück weiter >>