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Richard Zoozmann (geb. 1863)

Die Brautschau.

I.

Ein junger Brite – seinen Namen
Vergaß ich, taufen wir ihn Verywell –
War noch bis dato Junggesell
Weil busines und time, die zwei infamen
Obstacles ihn dazu nicht kommen ließen,
Das Eheglück in praxi zu genießen.

Jetzt plötzlich wars die höchste Zeit,
Zu ordnen diese Angelegenheit.
Es starb ein Onkel nämlich – irgendwo
In einer von den vielen Kolonien,
Die untertan der guten Queen –
Und unser Jüngling hatte Grund, recht froh
Zu sein – nicht um des Onkels Sterben,
O nein ... das fänd ein Englishman selbst roh
Und shocking! – Doch er durfte ihn beerben:
Ja! erben sollt er dreißigtausend Pfund,
Wenn er ... ja wenn! ... hier lag verscharrt der Hund!

Ein jeder Englishman hat seine Grillen,
Teils offenkundig, teils im stillen;
Und einen ausgesucht bösartigen Spleen
Besaß der Onkel aus den Kolonien.
Denn eine Klausel in dem Testamente
Bestimmte klar und bündig, daß der Neffe
Die Erbschaft nicht beheben könnte,
Wenn er, bevor er dreißig Jahr geworden,
Nicht vor der Weiblichkeit die Segel reffe
Und Abschied nähm vom Junggesellen-Orden!

Da wars geraten, daß man eiligst treffe
Die nötige Vorbereitung – denn ihn trennte
Von dem gefährlichen Termin,
Seit er vor dreißig Jahr empfing die Taufe,
Nur eine Woche noch! – Bedenklich schien
Ihm nur, daß er am Ende sich verpleffe,
Wenn er so eilig auf die Brautschau laufe,
Und schließlich doch im Sack die Katze kaufe.
Zwar so viel Geld macht mancherlei verzeihlich,
Und mehr als Leichtsinn wär es freilich,
Ließ man, aus Furcht, kein passend Weib zu finden,
Auf dreißigtausend Pfund die Aussicht schwinden!

So zwischen Baum und Bast saß Verywell,
Und wußte weder links noch rechts – da kam
Ein alter Freund mit gutem Rat, der schnell
Zu neuem Mut den Freiersmann erfrischte
Und aus der Stirn die Furchen wischte,
Die eingegraben Zweifels Qual und Gram.

In Thornhill, einem Dorf, das kaum sechs Stunden
Entfernt ist, lebt ein würdig Pfarrerpaar,
Wo Robert – wie des Freundes Name war –
Schon öfter zu Besuch sich eingefunden.
Drei Töchter, wunderliebliche Gestalten,
Mildstrahlend, Sternen gleich am Himmelszelt,
Erblühten dort im Pfarrhaus; – von der Welt
Und ihrem unheilvollen Tun und Treiben
Durch elterliche Sorgfalt ferngehalten!

So konnten sie, wie Männern es gefällt,
Die noch nach alter Mode sich beweiben,
Taufrisch in knospenhafter Anmut bleiben
Und jedes Herz durch holde Unschuld zwingen,
Wie uns in Hymnen Dichter es beschreiben,
Die einst als höchstes Glück es hingestellt,
Ein Weib mit reiner Seele zu erringen!
Heut denkt man anders ja in diesen Dingen:
Man will kein Weib zum Lieben und zum Dulden,
Daß man gemeinsam trage Lust und Leiden –
Man freit nur zur Bezahlung seiner Schulden,
Vereint sich heut und läßt sich morgen scheiden!

Dahin! – rief Robert – lenke deine Schritte!
Und wähle aus des Dreigestirnes Mitte,
Die deinem Aug am hellsten strahlen mag,
Bei der dein Herz sich regt im frohsten Schlag! –
Befürchte nicht, du kämest ungelegen;
Die Leute sind von unmodernem Schnitt,
Besonders der Herr Pastor – ungefähr
Vom selben alten Schrot und Korn wie der
Von Wakefield, der so viel Schlimmes litt
Und doch nicht wich von Gottes Wegen,
Weil er wie Hiob glaubte – oder mehr!
Glaub mir, man kommt dir offnen Arms entgegen,
Doch geb ich dir ein Briefchen mit,
Das angelegentlich den guten Seelen
Dich und dein Kommen soll empfehlen!

Die Pfarrin ist berühmt ob ihrer Küche,
Und er ob seiner Predigten nicht minder;
Wenn ihnen aber dieser Ruhm erbliche,
Hell tönt und laut das Loblied ihrer Kinder!
Drum werden beide dort zu Land
Die Grazien-Pastors meist genannt. –
Gern finden sich bei ihnen Gäste ein,
Doch wird der Vorwand nie vergessen:
Man pflege nirgend sonst so gut zu essen,
Und der Herr Pastor hab den besten Wein!
Nie sind die Kirchenbänke leer: – es heißt,
Es habe keine Predigt so viel Geist,
Als die des Alten – doch ich sag es dreist:
Ob Tischgast oder Kirchengast, ich wette,
Sie kommen sämtlich nur der Töchter wegen,
Daß Eva, Klärchen und Dorette
Sie aus der Nähe sich betrachten mögen!

Drum auf! mein Freund, und sei kein Tor!
Bedenk: es kämen andre dir zuvor!
Wenn sie die schönen Grazien sich erhaschen,
So stehst du da – und leer sind Herz und Taschen!
So sprach der Freund. Bei Verywell indes
War noch manch Wenn und Aber breitzuschlagen;
Doch dann versprach er, morgen es zu wagen,
Und rief: Ich reite hin – I do so, yes!

2.

Lieblich aus des Ostens Toren steigt der Sommertag,
In den Lüften jubilieren Fink- und Amselschlag.
Grün die Wälder, gelb die Felder, schönste Augenweide,
Wie ein Baldachin darüber himmelblaue Seide.

In der Laube, schattenspendend, auf der grünen Bank
Sitzt der Pfarrherr und die Pfarrfrau schon beim Morgentrank;
Freuen sich des frischen Regens, wo der Blick auch schweife,
Wünschen, daß der Ernte Hoffnung zur Erfüllung reife.

Schau! beginnt der Pastor, wenn ich meinen Augen glaub,
Hinten auf der Straße wirbelts wie ein Wölkchen Staub.
Längst doch auf der Weide sind schon unsers Dorfes Herden,
Schau, da bin ich doch begierig, was das möchte werden?

Ei! versetzt die treue Gattin, streng dein Aug nicht an,
Meins sieht schärfer – ich erkenne einen Reitersmann.
Ach! Du prahlst ja, neckt der Pastor – nur dein Glas ist schärfer,
Mit der Brille seh ich gleichfalls jetzt den Staubaufwerfer!

's ist die alte Rumpelkutsche, die allwöchentlich
Aus der Stadt kommt! – Die Frau Pastor meint: Da irrst du dich,
Dienstags kommt sie, heut ist Montag! – Nun denn, meinetwegen,
Lacht der Pastor – kann ein Reiter soviel Staub erregen?

Während sie noch freundlich streiten, sprengt aufs Pfarrhaus zu
Der bewußte Staubaufwirbler – und springt ab im Nu.
Siehst du? lächelt die Frau Pfarrin, wer kann besser sehen?
Stets die Frauen, neckt der Pastor – doch nun laß uns gehen!

Sieh! Da tritt schon in das Gärtchen Mister Verywell.
Guten Morgen! – Sehr willkommen! – Das ging glatt und schnell;
Doch nun haperts; – eine Festung ist nicht leicht erobert,
Hei! Da fiel ihm ein das Briefchen seines guten Robert.

Sie verzeihn, beginnt er dreister – durch Zeremonien
Ist bisher nach meiner Meinung wenig nur gediehn.
Komplimente, schöne Worte sind zu loben freilich,
Aber gilt es schnell zu handeln, sind sie unverzeihlich!

Während nun der Grazienpastor lächelnd las den Brief,
Seine Gattin mit der Hausmagd hin und wieder lief,
Ein frugales Frühstück zu bereiten ihrem Gaste,
Da er seit dem frühsten Morgen doch gewiß schon faste!

Ei! versetzt der Freier dankend, proben will ich gern;
Wein und Kochkunst dieses Hauses preist man nah und fern!
Doch ich kam des Magens wegen nicht! – geht durch den Magen
Auch der Weg zum Mannesherzen, wie man pflegt zu sagen!

Doch zur Sache! Der Herr Pfarrer hat nun wohl ersehn
Aus dem Briefe unsres Freundes, wie die Dinge stehn?
Also hört in aller Form denn: Eine von den dreien
Eurer Grazien will ich heute auf der Stelle freien!

Laßt beim Weine – Goddam! der ist wirklich ganz süperb –
Mich das Nähere berichten ohne Zeitverderb!
In acht Tagen – nächsten Sonntag! traut ihr mich mit Klärchen,
Mit Doretten oder Evchen als ein glücklich Pärchen!

Der Herr Pastor lachte, doch erstaunt sah die Mama
Auf den Gatten und den Freier – sprach nicht Nein, nicht Ja!
Doch beim Wein ist lieblich Plaudern, und in zehn Minuten
Wußte sie, warum der Freier Grund hätt, sich zu sputen.

Dreißigtausend Pfund! – Allmächtger – gibts denn so viel Geld?
Aber welche von den Töchtern wohl dem Herrn gefällt?
Ob Dorette, Klärchen, Evchen gleich bereit sich fänden,
Daß sie schon am Sonntag ihm sich ehelich verbänden?

Lauf nur, Mutter! sprach der Pastor – rufe sie herbei!
Eine wird ihm doch gefallen, denk ich, unter drei?
Eine unter Dreien, denk ich, wird es doch wohl wagen,
Unserm jungen Freiersmanne keck ein Ja zu sagen?

Gerne, sprach die gute Mutter, möcht ich Eva sehn
Als die Braut – denn nach dem Alter müßt es doch wohl gehn.
Doch der Alte lachte: Meinethalben seis Dorette,
Bringt man immer doch die Jüngsten sonst zuerst zu Bette!

Und die Mutter ging ... nach kurzem öffnet sich die Tür,
Lieblich wie die Charitinnen schwebten sie herfür.
Blühend, sittsam, jung – im Schoße der Natur erzogen –
Weich wie Täubchen, die soeben erst dem Nest entflogen.

Zart wie Lilien, purpurn in der Morgensonne Schein,
Schlank, doch füllig, rund von Armen, Fuß und Händchen klein.
Stirnen, rein wie Schnee, gekrönt von blonden Haares Wogen,
Drunter blendendweiße Nacken schwanenschlank sich bogen.

Also standen sie errötend; anmutsvoll gefaßt
Neigten sie sich auf geschmeidgen Hüften vor dem Gast.
Verywell, bei dieser Reize lieblichem Gewimmel,
Wähnte, daß drei Engel erdwärts sich verirrt vom Himmel.

Und er stand in Traum verloren, prüfte und erwog,
Während durch die Brust ein Sturm ihm von Gefühlen flog.
Kornblumblaue Augensterne sieht er sechsfach glänzen,
Dreifach goldne Lockenkronen ihre Scheitel kränzen.

Lächelnd weidet an der weltentrückten Schweigsamkeit
Sich der Grazien-Pastor, voller Stolz, geraume Zeit.
Doch die Mutter winkt den Kindern – ach! und stillen Grußes
Sieht entschweben er die Süßen unhörbaren Fußes.

O ihr zwei Beneidenswerten – jubelt Verywell –-
Aber wie entscheid ich mich bei all der Schönheit schnell?
Keinen andern Ausweg weiß ich, als mich zu bequemen,
Muselmann zu werden, um sie alle drei zu nehmen.

Lachend rief der wackre Pastor: Das ist hier zu Land
Nicht des Brauchs, und wärt Ihr Sultan selbst von Samarkand.
Glaubt Ihr denn, als Christ vergäß ich meiner Seelenhirtschaft!
Schwiegervater gar zu werden einer Haremswirtschaft?

Doch die Gattin schalt: Ihr Männer treibt nur immer Scherz,
Selbst mit heilgen Dingen, wie es ist ein Mädchenherz.
Doch dem Freier zu gefallen, den ich liebgewonnen,
Will ich mit den Kindern reden, wie sie wohl gesonnen?

Und die Gute, stillbekümmert um der Töchter Glück,
Zog sich zu den Turteltäubchen in ihr Nest zurück.
Wenn es sich ums Wohl der Kinder handelt bei den Müttern,
Wissen sie allein die richtige Lösung auszuwittern.

Schweigend harrt der Seelenhirte, schweigend Verywell,
Von den lieblichen Gestalten träumt der Junggesell.
Seiner Frau Beredsamkeit zu segnen, bittet stille
Der Herr Pfarr den Himmel – aber nur, wenns Gottes Wille!

Von Minute zu Minute leis der Zeiger kroch,
Und die Tür zum Paradiese blieb verschlossen noch.
Was die Mutter für und wider sprach, wer kann es wissen –
Endlich aber ward die Gartentüre aufgerissen.

Eva, holderglühend, schamhaft vor der Laube stand,
Ängstlich hielt sie noch umklammert ihrer Mutter Hand.
Verywell eilt auf sie zu; von ihrem Anblick trunken,
Ist er huldgend vor ihr nieder auf das Knie gesunken.

Teures Kind, du willst die Meine werden – ist es wahr?
Prangend wird die grüne Myrte stehn im goldnen Haar –
Laß mich auf das Fingerlein, das süße schlanke Dingchen,
Als den Zeugen meines Glückes streifen dieses Ringchen!

Liebst du mich? Willst du mich glücklich machen? O wie nah
Ist mein Glück! – Doch laß mich hören – sprich ein kleines Ja!
Und sie lispelt leis ein »Ja« mit kirschenroten Lippen –
Und ihn treibts, den ersten Kuß von diesem Kelch zu nippen!

Ach, da reißt das scheue Mädchen sich aus seinem Arm
Und entflieht. Der Bräutgam klagt: O weh, ich schuf ihr Harm!
Doch die Mutter tröstet ihn: das wär bei jungen Bräuten
Nach dem ersten Kuß so Brauch und hab nichts zu bedeuten!

Unser Verywell empfiehlt sich bald, von Liebesglück
Noch ganz taumlig – denn nach London will er noch zurück.
Wie er schon im Sattel, macht der Pastor sich das Späßchen,
Füllt zum letzen Umtrunk auf das Brautpaar noch drei Gläschen.

Und er scherzt: Zur Heirat braucht es schnell Entschlossenheit!
Shakespeare sagt: Ward je in solcher Laun ein Weib gefreit?
Und ein Philosoph, zwar ist es keiner von den neuen –
Spricht: Heirate oder nicht – es wird dich beides reuen!

3.

Was mochte nur Dorettchen haben?
Im Garten saß das arme Kind,
Das Köpfchen in der Hand vergraben,
Das helle Aug von Tränen blind.
Ihr Blick verliert sich in die Weite,
Und Träume ziehn durch ihren Sinn:
Ihr ist es immer noch, als reite
Der schmucke Freiersmann dahin!

Sie hätt ihn auch wohl gern genommen,
Doch sei sie noch zu jung dafür;
Wär ihre Zeit nur erst gekommen,
Ständ auch der Freier vor der Tür.
Nun hört sie drinnen das Gelächter
Der ältern Schwestern – und sie spricht:
Die Jüngste hat es immer schlechter –
Und neu betränt sich ihr Gesicht.

Und träumend aus dem Garten schreitet
Langsamen Fußes sie ins Land,
Wo die Allee zum Walde leitet,
Der tröstlich-rauschend sie umspannt.
Auf einem Hügel sitzt sie nieder,
Den sie zum Lieblingsplatz erkor –
Da horch: ... ist ihrs nicht plötzlich wieder,
Als töne Hufschlag ihr ans Ohr?

Wer kommt des Wegs daher geschossen?
Er ists! ... wie klopft das Herz ihr schnell.
Nun steht sie, purpurübergossen,
Und höflich grüßt sie Verywell.
Verzeih, mein schönes Kind – den Namen
Der Schwester Braut vergaß ich ganz;
Wie hieß die Lieblichste der Damen,
Die tragen soll den Myrtenkranz?

Den Namen, Herr, habt Ihr vergessen?
Ein Lächeln ziert ihr Angesicht. –
Vergessen – nein! ich glaub indessen,
Ich hört ihn überhaupt noch nicht!
Doch stehen muß im Ehvertrage
Des Bräutigams Name und der Braut –
Drum sei so gut, mein Kind, und sage:
Wie heißt, die mir wird angetraut?

Sie heißt ... nun ja ... sie heißt Dorette!
So lügt die Kleine, rot wie Blut. –
Ja ja! so hieß die reizend Nette,
Ruft Verywell und zieht den Hut.
Und eh Dorettchen, Reu empfindend,
Nachrufen kann, daß sie geirrt,
Sieht sie, wie er durchs Grün entschwindet,
Dem Pfeile gleich von dannen schwirrt.

4.

Abends in der Mädchenstube, eh zur Ruh die Täubchen gingen,
War ein Kichern und ein Schwatzen von den vorgefallnen Dingen.
Ihrer Mäulchen lustig-plappernd Mühlrad drehte sich um ihn,
Um den Bräutigam aus London mit dem headlong-Heiratsspleen!

Eva fand, er sei zu ernsthaft für sein jugendliches Alter,
Klärchen meinte: ihr wär gleichfalls lieber ein recht muntrer Falter.
Eva fand: Nichts könnt es schaden, wenn er etwas kleiner wär.
Klärchen meinte: ja die Großen lassen ducken sich zu schwer.

Eva fand: es wär verwegen, daß er sie sogleich geküßt
Und ihr an den Finger streifte den Verlobungs-Amethyst.
Klärchen meinte: daß die Mutter Eva ihm gleich angetragen,
Wär nicht recht – sie hätt auch Klärchen und Dorettchen müssen fragen!

Eva fand, und Klärchen meinte ... aber schweigend lag Dorettchen
Mit dem Köpflein unterm Deckbett – da trat Klärchen an ihr Bettchen,
Zog vom Antlitz ihr die Decke: Sprich, Dorettchen, schläfst du schon?
Laß auch deine Meinung hören über unsern Schwiegersohn!

Was? du weinst gar? – Und Dorettchen rief errötend: Ihr seid greulich!
Von dem Freier so zu sprechen, find ich wirklich ganz abscheulich!
Daß die Braut sogar mit einstimmt, nenn ich vollends ungeschliffen.
Wenn man mir ihn angeboten, freudig hätt ich zugegriffen!

Sich verteidigend, meinte Evchen: daß doch sie ihm an den Hals
Nicht geflogen – und dem Kusse sich gesträubt hab jedenfalls!
Und sie hätts auch nicht so eilig, daß sie unters Häubchen käme.
Ja! ihr fiel ein Stein vom Herzen, wenn Dorettchen ihn sich nähme!

Wirklich? rief die Jüngste – eilig richtet sie sich auf im Bett,
Und es lugte unterm Deckbett vor ein Beinchen wundernett,
Vollends warf sie fort die Decke, sprang im Hemdchen auf die Diele,
Wenig fehlte, daß sie jubelnd um den Hals der Schwester fiele.

Ja, ich weiß! Du trägst im Herzen längst des schmucken Försters Bild,
Fuhr die Kleine fort; doch sage, wenn dir Verywell nichts gilt,
Warum hast du ja gesprochen und nicht herzhaft dreimal nein?
Warum sagtest du nicht ehrlich, daß dein Herzchen nicht mehr dein?

Eva sprach – und eine Träne in ihr Aug sich leise stahl –:
Ach, mein Liebling – längst empfand ich heimlich nagend Reuequal.
Doch – malt eine gute Mutter alles in so rosigem Licht,
Ziemte sichs, daß Kindesliebe bessrer Einsicht widerspricht?

Und sie brachte klug zum Schweigen, was mein Herz auch sprach dagegen: –
Glaub, er wird dich glücklich machen, wird mit Liebe dich umhegen.
Jeden Wunsch wird er befriedgen – denke: dreißigtausend Pfund!
Gibt der Himmel euch Gesundheit, segnet Glück den Ehebund.

Wagen hält er dir und Pferde – eine sechsspännge Karosse,
Ach ich glaub, er sprach auch schon von Park und See und schönem Schlosse.
Denke dir, wie eine Lady lebst du in der großen Stadt –
Wahrlich, einer Lady würdig ist, wer so viel Anmut hat!

Ach, noch vieles sprach die Gute, bis mir die Besinnung schwand
Und ich mich vor ihm im Garten plötzlich mit der Mutter fand.
Ach! seit jenem Kuß empfand ichs, der erkältend mich durchlief,
Daß im Herzen, still gehütet, eine andre Neigung schlief.

Weine nicht! sprach Klärchen tröstend, und Dorettchen rief: Sei still.
Noch ist eine Rettung offen – hört, was ich euch beichten will!
Und sie sprang ins Bettchen wieder, schlüpfte fröstelnd in die Daunen –
So! nun setzt euch bei mir nieder – schweigt und hört, ihr werdet staunen!

Und sie steckt das Lockenköpfchen zwischen die des Schwesternpaars,
Ineinander floß die Haarflut – o ein Bild zum Malen wars!
Kichernd, wispernd wie ein Mäuschen beichtete der Schelm, der lose,
Und es färbte sich die Wange bald zur Lilie, bald zur Rose ...

Ist es möglich? lachte Klärchen – ist es denkbar? lachte Evchen.
Unser kleines Siebzehnjähriges wäre solch verliebtes Schäfchen?
Doch gleichviel – nun ist behoben Schwester Evas Herzbeschwerde:
Laßt uns sehn jetzt, wie Dorettchen seine Braut auch sicher werde!

Drei verschmitzte Mädchenköpfe stecken beieinander wieder;
Ihres Redeflusses Wellen plätschern lebhaft auf und nieder;
Bis auf oft verworfner Pläne kunterbuntem Allerlei
Sich Dorettchens Vorschlag Bahn brach, dem sie lachend stimmten bei.

Danach wollten sie den Eltern ihre Heimlichkeit verschweigen,
Und nicht eher als am Trautag sollte sich die Wahrheit zeigen,
Von dem Dreigestirn ward keinem bange vor dem Qui pro quo,
Und sie wünschten Gutenacht sich – jede recht im Herzen froh!

5.

Wenig bleibt nur am Berichte
Vom Verlaufe der Geschichte,
Denn der nächste Sonntag kam
Und mit ihm der Bräutigam;
Auch Freund Robert war erschienen,
Um als Zeuge ihm zu dienen.

Welch ein Lärmen
Doch das Schwärmen
All der Hochzeitsgäste machte,
Die das Fest zur Stelle brachte.
Wieviel Füße durch den Garten
Trippelnd scharrten,
Und wie viele
Auf der Diele,
Daß die Stuben ängstlich knarrten.

Zeitig war
Der Notar
Heut von Hause aufgebrochen,
Daß er seh
Als Gourmet,
Was Frau Pfarrer würde kochen,
Um womöglich vor dem Mahle
Eine Schale
Aus dem Bratentopf zu kosten,
Oder mit dem Pastor gar
Eine Bowle anzusetzen,
Die er nicht allein zu schätzen,
Sondern auch geübter Hand,
Darin war er anerkannt,
Zu derlei Gelegenheiten
Schon seit langen, langen Zeiten
Zu bereiten
Wohl verstand –
Ja, es war
Der Notar
Stets gewissenhaft auf Posten,
Wo es galt,
Ein Gericht fein auszukosten,
Sei es heiß nun oder kalt.

Und er sah sich nicht betrogen,
Denn man fühlte sich bewogen,
Mit Vertrauen
Seiner Kunst anheim zu geben,
Aus dem edeln Saft der Reben
Würdiges Getränk zu brauen.
Unter seiner Hand gewann
Schon Geschmack und Duft die Bowle;
Hoch im Bogen
Aus dem Suppenlöffel grad
Füllte er zwei Gläschen an,
Daß zu allgemeinem Wohle
Der Herr Pastor prüfen kann,
Ob der Trank nicht ganz probat?
Ei! da trat
Just der Bräutigam ins Zimmer,
Angehaucht von rosigem Schimmer.

Prosit! ruft er – meine Herren,
Ei, das will sich trefflich passen!
Hitze und des Weges Staub
Machten mir die Zunge dörren;
Mit Verlaub
Kost ich auch einmal, dabei
Wollen wir gleich alle drei
Unser Bräutchen leben lassen!
Solcherlei Gelegenheit
Muß man stets beim Schopfe fassen.
Ach! wo ist die holde Maid,
Die in all der langen Zeit
Mir das Herz hat klopfen lassen?
Ei, ich wette,
Toilette
Macht die Süße noch im Zimmer,
Wo doch Schneiderkunstwerk nimmer,
Wie ich dächte,
Je vermöchte,
Zu erhöhn der Anmut Schimmer,
Den Natur mit vollen Händen
An der herrlichen Gestalt
Zu bezaubernder Gewalt
War so gütig zu verschwenden!

Sieh! die Tür öffnet sich –
Und die Grazien züchtiglich
Nahn in feierlichem Schritte,
Das Dorettchen in der Mitte,
Der im goldenen Scheitelhaar
Wunderbar
Glänzt der grüne Myrtenkranz,
Während sie in duftigen Glanz
Hüllt der Schleier. –

Ihr entgegen eilt der Freier,
Schließt im Nu
In den Arm die holde Braut:
Sei gegrüßt mir, schönstes Kind! –

Da herzu
Tritt die Mutter – steht und schaut,
Blickt verwundert, prüft und sinnt,
Auch der Pfarrer steht entsetzt;
Denkt zuletzt,
Daß ein Traum genarrt ihn hätte?
Freundchen, ruft er – seid Ihr blind?
Ist Dorette
Denn das auserwählte Kind?

Freilich! ruft beglückt der Freier,
Hier ist Irrtum ausgeschlossen!
Steht sie doch in Kranz und Schleier
Und vom Brautgewand umflossen!

Irrtum, ruft die Mutter, ist es!
Denn ich wüßt es
Doch am besten, wenn Dorette
Euch ihr Ja gegeben hätte!
Was die dummen Mädchen machten,
Was sie dachten,
Möcht ich allerdings erfahren,
Als sie in Dorettchens Haaren
Kranz und Schleier flochten ein –
Nur ein Irrtum kann es sein!

Nein, lacht Verywell, o nein!
Im Kontrakte steht, ich wette,
Klipp und klar,
Daß mein Bräutchen heißt Dorette!
Herr Notar!
Bitte, lesen Sie hier nach,
Ob ich mich vielleicht versprach?

Und man las, man hörte, staunte,
Daß die Braut Dorettchen sei,
Nur die Mutter leise raunte,
Daß dabei
Irgend eine Schelmerei
Ihrer Töchter mit im Spiel.

Doch der Pfarr entschied: Gleichviel!
Wenn es recht dem Schwiegersohn,
Soll Dorettchen er behalten;
Mag hier walten
Zufall oder süß Geheimnis! –
Aber hört: der Glocken Ton
Mahnt uns schon!
Darum laßt uns ohne Säumnis
Zum Altar des Ewigen treten
Und um seinen Segen beten.

Unser Mahl mit Scherz zu würzen,
Wird Dorettchen nach der Trauung
Zur Erbauung
Damit uns die Zeit verkürzen,
Daß sie uns getreu entdeckt,
Wie sie gestern
Oder früher mit den Schwestern
Dieses Schelmstück ausgeheckt!

Nun, so seis in Gottes Namen,
Sprach die Mutter, nahm den Arm
Ihres Gatten – und vom Schwarm
Aller Gäste froh geleitet,
Sie vorauf zur Kirche schreitet –
Ja, es sei, in Gottes Namen!
Und der Pfarrer sagte: Amen!


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