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Ulrich Boner (um 1324-1349)

Fabel von einem Pfaffen und einem Esel.

Ein junger Pfaffe war so klug,
Als einem Pfaffen ist genug;
Stolz war er und voll Übermut,
Auch schien ihm seine Stimme gut.
Des Singens er sich sehr befliß,
Er wähnte, niemand säng gewiß
So schön wie er; und spät und früh
Erscholl sein Sang: ihm schufs nicht Müh,
Nein, recht vor Singen ward er toll.
Ob auch sein Sang nicht wundervoll
Den Leuten klang, er dennoch sang
Weil ihn dazu die Narrheit zwang.

Nun einmal aber so geschahs:
Vorm Altar über alles Maß
Laut sang er, und es stand daneben
Ein Weiblein, das ihr Eselein eben
verloren hatte vor drei Tagen:
Drob tat sie sehr untröstlich klagen.
Der Pfaff ihr Weinen sah und sprach
Voll Güte zu der Frau danach:
Sagt, liebe Frau, was weinet Ihr?
Was mag es sein? Das saget mir! –
Er wähnte sie voll Andachtsbrunst
Ob seiner holden Singekunst.
Drum fragt er: Soll ich singen mehr?
Nein, Herr, es tut mir weh gar sehr! –
Warum? Das sollt Ihr mir nun sagen. –
Herr, Herr, sprach sie, ich muß Euch klagen,
Worüber ich geweinet hier:
Mein Eselein, das arme Tier,
Den haben Wölfe aufgefressen;
Das kann ich nimmermehr vergessen.
Wenn Ihr nun singt so wenig weich
Klingt Eure Stimme völlig gleich
Der Stimme, die mein Esel hatt';
Drum mahnet Ihr mich auf der Statt
An meinen Esel. Herre mein,
Mich wundert, wie das möge sein,
Daß Eure Stimm gleicht ganz und gar
Dem Eselssang – 's ist wunderbar! –

Der üppige Pfaffe kam in Schand,
Seine Eselsstimme ward erkannt;
Doch er gefiel sich selbsten wohl,
Wie billig das ein Esel soll. – –
Wer wähnt, daß er der Beste sei,
Dem wohnet Torheit nahe bei.

(Z.)


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