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Karl Ebersperger (1819-1887?)

Der erste Kranke.

Sei mir gegrüßt, du schöner Ort! Nach langem Petitieren
Soll ich allhier durch hohen Schluß als Doktor debütieren.
Dort steht das Schreibzeug, zierlich sind geschnitten die Papiere,
Bereit liegt auch die Feder schon, womit ich ordiniere. –

Nicht lang, so tritt ein Frauchen ein und fragt mich ganz beklommen,
Ob ich der neue Doktor wär, der gestern angekommen?
»Gewiß, mein Kind, was wünschen Sie?« frug ich mit sanften Worten.
»Ach kommen Sie doch schleunigst mit, mein Mann ist krank geworden!«

O süßes Glück, riefs in mir aus, nun ist dein Spiel gewonnen,
Nimm dich zusammen, pochend Herz, die Praxis hat begonnen!
Bald traten wir ins Zimmer ein, wo wir den Kranken trafen,
Der, mit dem Antlitz nach der Wand, ganz ruhig schien zu schlafen.

Statt viel zu sprechen, zog ich sacht, um ihn nicht aufzuwecken,
Vom Bette seine Hand hervor, den Pulsschlag zu entdecken.
Doch wie erschrak ich! Dunkelblau starrt mir die Hand entgegen
Als wie von einer Leiche, die im Grabe lang gelegen.

Hier, dacht ich, handelt sichs darum, die Gattin zu belehren,
Und ihr die Größe der Gefahr entschieden zu erklären.
Drum wend ich rasch mich zu der Frau: »Bedenklich stehn die Sachen,
Ganz blau ist schon ihr armer Mann, da ist nichts mehr zu machen.«

Da schaut die Frau mich lächelnd an, bald lacht sie aber derber,
Und flüstert mit gar schlauem Blick: »Mein Mann ist ja ein Färber.« –
»Das ist sein Glück,« entgegne ich, blutrot bis an die Ohren –
»Denn wenn Ihr Mann kein Färber wär, so wäre er verloren


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