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L. H. (von) Nicolay (1737-1820)

1. Das Hemd.

Von allen Königen am langen Indusstrome
War Mir der mächtigste, der weiseste Regent;
Doch machten ihn die Spleen und andere Symptome
Zum Unglückseligsten im ganzen Orient.
Zu Scharen ließ man Ärzte kommen,
Zu Tonnen ward Rhabarber eingenommen,
Umsonst. Ein Bonze, der in Samarkand
Im Ruf geheimer Künste stand,
Ward ihm gerühmt, ward schnell verschrieben.
Er kommt, er untersucht, und sagt:
Das Übel, das den König plagt,
Wird nur durch Sympathie vertrieben.
Ein einzig Hemd ist mir genug;
Wenn nur ein Glücklicher – verstehn Sie, meine Lieben!
Ein völlig Glücklicher – es auf dem Leibe trug.
In dieses schlüpft der Khan, und geht, und läuft und springet,
Bis ihm der Schweiß durch alle Poren dringet.
Die Schranzen stehn erstaunt: wie simpel und wie klug! –

Die beiden Mittel zu verbinden
Entschließt sich Mir, im ganzen Indostan
Umherzuziehn, um seinen Mann zu finden,
Und der Empiriker zieht mit dem kranken Khan.
Bei Fürsten, bei Ministern fängt man an,
Wo irgendeiner ist, den die gemeine Sage
Für glücklich preist. Man wiederholt die Kur
An jedem dritten, vierten Tage,
Und ärger wird das Übel nur.
Der Bonze lacht. An Höfen meint ihr Blinden
Den wahren Glücklichen zu finden?
Die Hand aufs Herz! wer unter euch genoß
Nur einen Tag des wahren Glückes Los?
Und doch ist euer Hof vor andern reich und groß.
Man steht beschämt. Vielleicht ist es im Mittelstande.
Und Hemde sammelt man im ganzen Lande,
Und keines hilft. Bald ists ein böses Weib,
Ein ungeratner Sohn, ein siecher Leib,
Bald Geiz und Eifersucht und Stolz und Haß und Liebe
Und hundert unvernünft'ge Triebe
Die, was man auch von ihm zu hoffen schien,
Dem Hemde die gewünschte Kraft entziehn.

Zwei Jahre reist man schon, und kehret trostlos wieder.
Den weisen Mann aus Samarkand
Schlägt oft der traurige Gedanke nieder:
Wie? nicht ein Glücklicher im ganzen Morgenland!

An ihrer Straße liegt, mit einem Ziegenfelle
Kaum halb bedeckt, ein munterer Geselle,
Der zwischen Brot und Sahne hingedehnt,
Den stolzen Zug begafft, auf eine Faust gelehnt.
Der Bonze tritt zu ihm: du scheinst mir ohne Sorgen!
»Ich, Sorgen?« – Bist du immer so? –
»Wie anders? heute so wie morgen;
Wie meine Herde, fett und froh.«
Du sehnest dich doch wohl nach einem größern Glücke? –
»Wonach? Gesund bin ich, auch liebt mich meine Rike.« –
Der Bonze fängt zu hoffen an:
Gefunden hab ich meinen Mann!
Freund! Mir gebricht ein Hemd. Ich bitte, leih mir deines. –
»Gern, lieber Herr! Nur hab ich keines.«

2. Der Käse.

Ein fetter Ziegenkäs, in Leinwand eingebunden,
Ward einst von einem Paar
Naschhafter Katzen aufgefunden.
So angenehm die Beute war,
So heftig war der Streit, die Teile gleich zu messen:
»Willst du allein den Käse fressen?
Zwei Drittel nimmst du weg! – Wie dreiste lugest du!
Von deinem Teile kömmt mir noch die Hälfte zu.«
Zum Richter wählet man zuletzt des Nachbarn Affen.
Sein Herr ist in dem Magistrat,
Er weiß von ihm das Recht, er soll uns Recht verschaffen.

Man ruft ihn her. Er kömmt, ein ernster Rat
Im Mantel und im Überschlage.
Der Weisheit seines Herrn! setzt sich zum Tische hin
Und spricht: Ich will den Streit nicht in die Länge ziehn;
Hier ist mein Messer, hier die Wage;
Seht selber auf das Zünglein hin
Und merkt, wohin es überschlage.
Nicht wahr, zur Rechten? – Ja. – Schon gut! den Augenblick
Soll ihm geholfen sein. – Flugs schneidet er ein Stück
vom rechten Teile weg und schiebt es in den Rachen.
Wie stehn die Schalen nun? – Die linke hat zuviel; –
Gleich wollen wir sie leichter machen. –
Der Richter wiederholt das Spiel
So schnell und oft, und macht zur Rechten und zur Linken
So fein die Schalen niedersinken,
Daß er bereits den Käse halb verzehrt.

Herr Richter, nun genug! wir sind zufrieden,
Ein kleiner Unterschied ist gar nicht wert,
Daß Sie sich ferner noch ermüden:
So rufen die Parteien. Ei pfui! Das geht nicht an.
Gerechtigkeit ist eine Sache,
Die man nie zu genau in Obacht nehmen kann.
Ich bin ein ordentlicher Mann:
Im Dienst so treu, daß ich mir ein Gewissen mache,
Wenn ich nur um ein halbes Gran
Dem oder jenem Tort getan.
Er hilft den Schalen noch mit manchem neuen Schnitte,
Hier was die Spitze hält, dort einer Erbse groß. –
Steht nun das Zünglein in der Mitte?
Vollkommen! auf ein Haar! – So werfet nun das Los!

Ach Schwester, sagt die eine Katze
Ich lasse dir zu wählen frei. –
Recht gut! nun ist es einerlei,
Fährt diese fort und reckt die Tatze
Von ungefähr zur nächsten Schale hin.

Noch nicht, ihr Damen, spricht der Affe
Wer zahlt mir erst für mein Bemühn?
Erlauben Sie, daß ich auch mir mein Recht verschaffe.
Wieviel mag jetzt das Restchen sein?
Nicht wahr? ein Drittel noch vom ganzen Kapitale! –
Das zieh ich für die Sporteln ein.
So gehts in manchem Tribunale.


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