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Karl Heinlein-Martius (geb. 1858)

Im April.

(Ein Capriccio.)

Die Aprilgötter sind meine Lieblinge!
Kommt mit mir in den Wald,
Wenn ihr sie kennen lernen wollt,
Wie ich sie kenne.
Unartige Bengels sinds –
Sie bombardieren sich mit Schlossen und Hagelkörnern,
Spritzen sich Sonnenstäubchen und Regentropfen
Um die roten Ohren –
Ab und zu auch greifen sie
Klümpchen zerrinnenden schwammigen Schnees.
Aber sie nehmen einander nichts übel
Und lachen lustig dazu
Mit ihren breiten Mäulern.
Und aus diesem Lachen hört man deutlich
Den kommenden Frühling heraus!

Die Menschen nennen dies Treiben Aprilwetter
Und schimpfen verdrießlich:
»Kaum fängt es an, mit Regnen aufzuhören,
Hörts auch schon wieder auf, mit Schönsein anzufangen!«
Und dann holen sie Gummischuhe,
Schirm und Regenmantel hervor,
Ziehen ein süßsaures Gesicht
Und patschen fröstelnd hinaus durch die Pfützen –
Ach! und draußen regnet es Schnee!

Ja, in der Stadt ist der April
Ein scheußlicher, katarrhgesegneter Monat!
Aber kommt aufs Land, in den Wald,
Da lernt ihr ihn lieben,
Wie ich ihn liebe seit langem! –

Um weißbeblühte Zweige,
Die nicht die Zeit erwarten konnten,
Klammert er zwar seine frostigen Finger
Und zupft die Blättlein ab –
Erbarmungslos: es wäre doch nichts Rechtes
Aus ihnen geworden!
Aber was Kraft in sich hat,
Von Geburt an, das soll bleiben,
Und das verschont er.
Denn der April ist der Mann spartanischer Kraft,
Und ein großes Reinmachen
Ist eine Arbeit nach seinem Herzen.
Alles Faule, Schwächliche, Morsche,
Schlägt er zuschanden, fegt er hinaus,
Jagt er zum Teufel!
Die schmuddlig gewordenen Wolkengardinen
Reißt er herunter,
Daß die Tüllfetzen fliegen –
Und das große Himmelsfenster
Putzt er blitzblank, daß sich die Englein
Wie die Maienkätzchen drin spiegeln können –
Siehst du sie gucken?
Hier und da guckt einer und drückt sich
Sein Naschen platt an dem blauen Glase.

 

Und heller macht der April die Nächte.
Die alte verrostete Mondenscheibe
Versilbert er neu,
Und den Stern-Nachtlichtern
Schneuzt er die knisternden Dochte! –
Aber vorerst hat er noch mit der Erde zu tun,
Mit den Wäldern vor allen Dingen!
Den schmutzigen Schnee überspült er
Aus seiner grünen Regengießkanne,
Und alle Herbst- und Winterreste
Schwimmen dahin: gelbes Laub und graue Gedanken ...!

Und dann tappt er weiter
Mit seinen großen wasserdichten Trankrempstiefeln;
Von den höchsten Kronen sogar,
Ganz oben, wo die Dohlen baumen,
Knipst er das trockene Reisig und räumts,
Ein pfadbereitender Vorläufer,
Seiner Herrlichkeit Lenz aus dem Wege.
Beide Backen bläht er auf
Und bläst allen Unrat und Wust
Zu einem großen Riesenkehrichthaufen zusammen.
Aufatmend bleibt er stehen an der Lichtung,
Schaut über Äcker, Wiesen und Felder
Und freut sich an dem bunten Mosaik
Des künftigen Gedeihens!

 

Und ich schreite mit ihm –
Folge seinen Spuren bergauf und bergabwärts,
Bis aus der grünlichen Talmulde
Giebelgrau und Dächerrot mir entgegenwinken. –
Vom Abendlicht umloht,
Stehn die Tümpel an den Wegen
Und irisieren wundersam,
Als hätte eine Fee auf der Flucht
Vor einem bösen Verfolger
Ihre Perlen und Opale hier verstreut,
Um ihn aufzuhalten.

Des Dorfes Geräusche werden wach:
Auf dem Miste kräht der Hahn
Und plustert stolz die bunte Uniform
Vor dem Harem seiner scharrenden Hühner.
Ein Hund bellt hinter einem Wagen her –
Man hört ihn kaum rollen
Im aufgeweichten Chaussee-Lehmbrei,
Nur die Gäule schnaufen und die Peitsche knallt.
Es ist der Doktorwagen – wohlverstanden:
Des Tierarztes!
Denn eines Menschen wegen
Inkommodiert man so leichtsinnig nicht
Des Äskulap »vielbeschäftigten Jünger«,
Zumal des Abends und bei dem Wetter!
Aber ein Pferd oder eine Kuh –
Das kostet was!
Sterben ist Menschenlos!

 

Wie herrlich scheidet die Sonne!
Gleich einer Königin schleppt sie
Den scharlachnen Mantel hinter sich her.
Daß sie ihn nur nicht beschmutzt
Auf der schwärzlich-umsäumten Wolkenstraße!
Ich möchte eine Leiter anlegen,
Aus ihrem Golde mir eine Handvoll zu schöpfen! –
Ach, einmal schwimmen
Durchs Luftmeer dir zu
Meines Leibes zerstäubte Atome –
Und wirbeln vielleicht nach zehntausend Jahren
Als Sonnenstäubchen zur Erde wieder
Durch irgendein Fenster –
Und ein pralles Kinderpatschhändchen
Tatscht nach mir, dem zitternden Gruß
Aus der großen brausenden Lebensmutter!

Selbst der düstere kleine Kirchhof
Strahlt reich und wird von der Sonne vergoldet.
Rötlich schimmern die weißen Kreuze
Der dürftigen Gräber, durch deren Reihen
Die Leute mit traurigen Augen
Und traurigen Füßen umherwandeln.
Ein Begräbnis ist ...
Die Dorfkapelle hat sich in verwegenem Mute
Zu Chopins Trauermarsch aufgeschwungen:
Sie spielen ihn so traurig,
Wie ich ihn noch nie gehört.
Gottlob – jetzt sind sie still! –
Schau! und ein vorlautes Heckenröslein
Streckt schon sein rotes Köpfchen heraus
Und äugelt neugierig über die graue
Friedhofsmauer: – erwachtes Leben
Guckt in das Land vergangenen Lebens.
Röschen, wer wird dich brechen?
Eine reine oder unreine Hand?
Dann wünsch ich dir lieber,
Dich bräche einer von den wilden Apriljungens,
Und du stürbest jählings in kaltem Schreck,
Als langsam in schmutziger Wärme! –

 

Horch! Dumpf donnert es hinter dem Dorfe –
Ein Blitzzug mit Schlaf- und Speisewagen
Rollt rasselnd dahin auf hohem Walle.
Er stampft und grollt und prustet,
Als käme das Schicksal dahergebraust,
Um mit plumpen Mammutfüßen,
Was sich entgegenstemmt, zu zertrampeln.
An den Fenstern zeigen sich müde Gesichter –
Weit geht noch die Reise –
Weit! weit! über Alexandrowo
Ins eisige Rußland ...

Sie haben nur ihr Ziel vor Augen,
Kaum einer wirft einen gelangweilten Blick
Auf mein reizendes Dörfchen –
Doch aber! Einer! ...
Er biegt den Kopf nach vorn –
Und schaut mit flüchtig-freundlichem Auge zurück! –
Ich weiß, was er denkt; –
Er denkt das gleiche,
Was ich so oft schon im Eilzug gedacht,
Nur ein sonniges Ziel im Sinn,
Wenn er mich nach dem Süden entführte.

Da kam ich auch gar oftmals vorüber
An irgend so einem kleinen niedlichen
Dorf oder Städtchen –
Wars X-witz, X-Hausen oder Y-burg? –
Gehört, vergessen; was tut auch der Name?
Ich sehe auf einen schmalen Bahnsteig,
Possierliche Leutchen wimmeln herum;
Denn nach kleinstädtischer Sitte
Konzentriert sich das ganze Leben
Der Biedermeier gemütlich-neugierig
Am Bahnhofe, um Züge
An- und abrollen zu sehen.

 

Da bin ich auch schon vorübergerutscht –
Und nun steigt ein allerliebstes Nestchen
Mit Schloten und Türmchen,
Mit blühenden Gärten
Und lauschigen Winkeln
Und einem spitzgiebeligen Rathaus empor;
Auch murmelt ein Flüßchen irgendwoher!
Wie aus der Spielzeugschachtel gepackt,
Sauber und ordentlich breitet sichs aus,
Umrahmt von grünender Hügelkette,
Auf der sich ein Kriegerdenkmal
Erhebt oder ein Aussichtsturm,
Oder beides in einem
Angenehm-nützlich vereint,
Mit einem kleinen Kaffeeausschank,
Wo Sonntag nachmittags
Bei blechernem Stadtmusikantenkonzert
Gevatter Doktor und Apotheker
Mit Onkel Anton und Tante Rosalie
Im Kreis der Familien
Bräunliche Mokkazichorie schlürfen ...
Vorbei!
Indem ichs noch denke,
Vorübergerissen,
Indem ich noch male das liebliche Bild,
Übertuscht und verschleiert
Vom jagenden Rauch und auftauchenden Wald. –
Und dabei fährt es mir durch den Sinn:
Hier möchtest du einmal
Aussteigen und weilen,
Hier scheint es hübsch zu sein und gemütlich –
Na, vielleicht auf dem Rückweg! –
Doch leider pflegen Kurierzüge nicht
Zu halten auf untergeordneten Stationen.

Und genau so gehts einem
Im Leben ... man nimmt
Ein Billett und rasselt darauf los,
Dem Endpunkt zu –
Nur rasch fort, nur rasch fort
Und immer dahin –
Statt friedlich Rast da einmal zu suchen,
Wo's einem gefällt –
Bei Tante Rosalie und Onkel Anton, –
Zumal im April, wenn der Lenz erwacht ...


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