Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Karl Gerok (1815-1890)

1. Wie Kaiser Karl Schulvisitation hielt.

Als Kaiser Karl zur Schule kam und wollte visitieren,
Da prüft er scharf das kleine Volk, ihr Schreiben, Buchstabieren,
Ihr Vaterunser, Einmaleins und was man lernte mehr;
Zum Schlusse rief die Majestät die Schüler um sich her.

Gleich wie der Hirte schied er da die Böcke von den Schafen,
Zu seiner Rechten hieß er stehn die Fleißigen, die Braven.
Da stand in grobem Linnenkleid manch schlichtes Bürgerkind,
Manch Söhnlein eines armen Knechts von Kaisers Hofgesind.

Dann rief er mit gestrengem Blick die Faulen her, die Böcke,
Und wies sie mit erhobner Hand zur Linken in die Ecke.
Da stand im pelzverbrämten Rock manch feiner Herrensohn,
Manch ungezognes Mutterkind, manch junger Reichsbaron.

Da sprach nach rechts der Kaiser mild: Habt Dank, ihr frommen Knaben,
Ihr sollt an mir den gnädgen Herrn, den gütigen Vater haben;
Und ob ihr armer Leute Kind und Knechtessöhne seid:
In meinem Reiche gilt der Mann und nicht des Mannes Kleid.

Dann blitzt sein Blick zur Linken hin, wie Donner klang sein Tadel:
Ihr Taugenichtse bessert euch, ihr schändet euern Adel!
Ihr feinen Püppchen, trotzet nicht auf euer Milchgesicht,
Ich frage nach des Manns Verdienst, nach seinem Namen nicht.

Da sah man manches Kinderaug' in frohem Glanze leuchten,
Und manches stumm zu Boden sehn, und manches still sich feuchten.
Und als man aus der Schule kam, da wurde viel erzählt,
Wen heute Kaiser Karl gelobt und wen er ausgeschmält.

Und wies der große Kaiser hielt, so soll mans allzeit halten,
Im Schulhaus mit dem kleinen Volk, im Staate mit den Alten:
Den Platz nach Kunst und nicht nach Gunst, den Stand nach dem Verstand,
So steht es in der Schule wohl und gut im Vaterland.

2. Kindergottesdienst.

Es läuten zur Kirche die Glocken,
Die Eltern, die gingen schon aus,
Drei Kindlein in goldenen Locken
Die sitzen noch unter dem Haus.

Die muntern unmüßigen Gäste
Sind noch für die Kirche zu klein,
Doch wollen am heiligen Feste
Sie fromm wie die Alten schon sein.

Hat jedes ein Buch sich genommen
Und hält es verkehrt auf dem Schoß,
Draus singen die Schelme, die frommen,
Mit schallender Stimme drauf los.

Weiß selber noch keins, was es singet,
Singt jedes in anderem Ton;
Singt immer, ihr Kindlein, es dringet
Auch so zu dem himmlischen Thron.

Dort stehen eure Engel, die reinen,
Und singen dem Vater der Welt,
Der stets aus dem Munde der Kleinen
Am liebsten sein Los sich stellt.

Singt immer; da drüben im Garten,
Da singts in die Wette mit euch;
Die Vöglein sind es, die zarten,
Die zwitschern im jungen Gesträuch.

Singt immer; ihr singet im Glauben
Das ist ja dem Heiland genug,
Ein Herz ohne Falsch wie die Tauben
Nimmt frühe gen Himmel den Flug.

Singt immer; wir singen, die Alten,
Und lesen die Schrift mit Verstand,
Und doch, ach! wie hundertmal halten
Das Buch wir verkehrt in der Hand!

Singt immer; wir singen die Lieder
Nach Noten, so wie sichs gehört,
Und doch – vom Gezänke der Brüder
Wie oft wird der Einklang gestört!

Singt immer; aus irdischen Hallen
Der hehrste und herrlichste Chor,
Was ist er? ein kindisches Lallen,
Ein Hauch in des Ewigen Ohr!


 << zurück weiter >>