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Richard Hugo (geb. 1860)

1. Das Kirchlein im Meer.

Vor alters ist ins Meer hinein
Ein Dorfkirchlein gesunken;
O weh! nun denkt ihr: groß und klein
Sei elend mit ertrunken?
Nein! Weils am Werktag just geschah,
So waren keine Beter da;
Der Pastor und der Küster nur
War in dem Kirchlein grade,
Als es zum Grund hinunterfuhr –
Gott geb den beiden Gnade!

Des Sonntags aus der Tiefe dringt
Das Läuten von dem Glöcklein;
Man hört auch, wie der Küster singt –
Er meckert wie ein Böcklein.
Dann brausts und tönts das Meer entlang,
Ists Wellendrang? ists Orgelklang?
Und horch? jetzt spricht das Pastorlein!
Und wenn es windstill grade,
Hört man ihn deutlich litanein –
Gott geb dem Pastor Gnade!

Da unten aber ist es leer
Im Kreuzgang und Gestühle;
Es läßt der Fische stummes Heer
Die schönste Predigt kühle.
Fährt auch der Schwarzrock wild herum,
Die Flosser glotzen stumm und dumm;
Und schnappt nach Luft er, machens auch
Wie er die Fische grade,
Und schütteln ihren Schuppenbauch –
Gott geb den Fischen Gnade!

Wie anders, wenn die Orgelbank
Das Küsterlein bestiegen;
Da wissens ihm die Fische Dank
Und kommen voll Vergnügen.
Ob es Motette, ob Choral,
Es tanzt die Barbe mit dem Aal;
Der Hering und die Flunder schwimmt
Fidel im blauen Bade,
Weil die Musik sie fröhlich stimmt –
Gott geb dem Küster Gnade!

Dem Pastor macht es viel Verdruß,
Daß er vor leeren Bänken
In Ewigkeit hier predigen muß –
Man kanns ihm nicht verdenken.
Drum von der Kanzel klettert er
Und langt sich sein Gesangbuch her;
Klemmt auf die Nas das Brillenglas
Fein säuberlich und grade,
Und singt dabei im tiefsten Baß:
Ach, bleib mit deiner Gnade –!

2. Das Winzerlied.

Goldne Sonne! goldnes Laub!
Hinter Spalieren und Zäunen
Drängt in Füllen Traub an Traub,
Dran die Beeren sich bräunen.
Sonne! segne die Lande voll Wein!
Segne die Traubenleser!
Grüße Bacchus mit goldigstem Schein,
Des Herbstes Reichsverweser!

Blauer Himmel! blaue Luft!
Voll sind alle Behälter –
Und berauschend süßherber Duft
Strömt aus gärender Kelter.
Trunken jauchzen im Himmelszelt
Die Engel selber vor Wonne,
Just als wäre die ganze Welt
Eine Riesenrheinweintonne!

Horch! die Steige tönen entlang
Lieder aus heller Kehle –
Doch man singt nicht aus Lust am Gesang,
Nein, man folgt dem Befehle!
Daß zu viel der Beeren nicht
Mädels naschen und Jungen,
Macht mans klüglich ihnen zur Pflicht:
Beim Ernten wird gesungen!

3. Der Talfex.

Als ich ein junger Bursch noch war,
Ein Schlankerl mit geschmeidigen Knochen,
Hab ich, hohnlachend der Gefahr,
Wo nur ein Berg war, ihn bekrochen.
Ich nahm die Spitzen gleich en gros,
Die Hörner, Piks und Grate,
Und hüpfte wie ein Gletscherfloh
Mit Juchheidi und Holdrio
Im schmucken Lodenstaate.

Nun zwanzig Jahr ich älter bin
Und längst nicht mehr so schlank und schmiegsam,
Steht nicht mehr gipfelwärts mein Sinn –
Heut bin ich seßhaft und genügsam.
Fahr höchstens mit der Zahnradbahn
Empor zu Kulm und Kogel;
Nicht mehr dem Bergsport untertan,
Laß ich den Jüngern ihren Wahn
Und ihren Bergfex-Vogel.

Ich lobe mir das ebne Land,
Da lebt sich's gleichfalls nett und munter;
Wer noch so hoch auf Gletschern stand,
Er muß doch wieder mal herunter.
Hier unten seilt mich keiner an,
Trag Pickel nicht noch Eisen –
Ich fühl mich als selbständiger Mann:
Den Weg zum Wirtshaus braucht sodann
Kein Führer mir zu weisen.

Hat ein Gebirg denn überhaupt
Vernünftigen Grund, zu existieren?
Weil man der Aussicht wird beraubt,
Sollt man die Alpen abplanieren.
Die Menschheit würde unbedingt
Sich viel zufriedner zeigen;
Sie fragte nicht, wenn Nebel sinkt,
Obs gut, obs schlechtes Wetter bringt,
Weils nichts mehr gäb zu steigen.

Das Tal hat Reize allerhand
Und einen Talfex-Orden stift ich –
Da macht kein Mensch aus Engelland
Mit seiner Arroganz mich giftig.
Ich fall in keinen Gletscherspalt,
Zerschlag mir nicht den Schädel!
Statt Sennerinnen, runzlig, alt,
Treff ich im Tale wohlgestalt
Blitzsaubre junge Mädel. –

4. Von guten Werken.

Jost vom Bühl im »hilligen Köllen«
Hat ein gut Werk verrichten wöllen.
Sechzig Jahr lang hat er geschafft,
Gekrämert, gewuchert – viel Geld errafft.

Ächzend zogen durchs Land seine Wagen,
Die köstliche Handelsgüter getragen;
Es fuhren stattlich hinunter den Rhein
Bis ins Weltmeer seine Schiffe hinein.

So ward er der reichste der Köllschen Leute!
Doch all sein Reichtum ihn wenig freute,
Seit ihm aus letztverwichener Nacht
Ein häßlicher Traum zu schaffen gemacht.

Er sah an des Jüngsten Gerichtes Tage
In Christi prüfenden Händen die Wage,
Drauf er des reichen Jost vom Bühl
Wohltaten wog – ach, das waren nit viel!

Die Schale schnellte leicht in die Höhe,
Und Christus sprach traurig ein dreifaches Wehe,
Denn die andre Schale voll Gold und Glanz,
Voll Geiz und Gier – sank zu Boden ganz. –

Seit dieser Traum ihn gekränkt und verdrossen,
Hat Jost vom Bühl ein gut Werk beschlossen;
Ein Werk an Güte und Frummheit so schwer,
Daß die Wage mindestens wagrecht wär.

Er grübelte drum bei Nacht und Tage
Und fand nicht Antwort auf diese Frage.
Da führte sein Weg ihn an den Rhein,
Und, gottlob! hier fiel ihm die Lösung ein!

Drei Schiffe ankerten just am Lande,
Mit Quadern verstaut bis hoch zum Rande;
Die ganze Ladung mit seligem Gefühl
Und ohne Feilschen erstand Jost vom Bühl.

Dann lief der Wackre zum Dechanten,
Nie schneller die alten Füße rannten.
Der würdige Herr erstaunte gar sehr
Und dachte: Was bringt oder holt denn der?

Doch Jost vom Bühl sprach: »Verehrter Dechante,
Was längst mir heiß auf der Seele brannte,
Das ist der Zweifel: ob sich mir
Dereinst nicht verschließe des Himmels Tür?

Ich war bisher kein Nackenhänger,
Noch minder ein eifriger Kirchengänger –
Doch kommt man über die siebzig Jahr,
Packts einen manchmal recht sonderbar.

Drum will ich an mein Seelenheil denken,
Drei Schiffe von Quadern zum Kirchenbau schenken;
Für achtzigtausend Taler Stein,
Die bringen mich doch in den Himmel hinein?«

Der Herr Dechant hebt segnend die Hände
Und schmunzelt über die reiche Spende.
Da meint der Jost: »Ob Christus am End
So schwere Steine wohl heben könnt?«

Der Priester spricht: »Warum nicht heben?
Der Sonnen und Welten mit allem Leben
Regiert und lenkt von Ewigkeit her,
Dem ist solch Quaderstein nicht zu schwer.

Doch sagt, was mocht zu der Frage Euch treiben?« –
»Hochwürden das laßt mein Geheimnis bleiben,«
Spricht Jost und denkt: Nun ists geschehn,
Bald muß die Wage im Gleichgewicht stehn!


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