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Heinrich Vierordt (geb. 1855)

1. Himmelskinder.

Welch Getümmel, welch Gezeter
Auf dem Himmelsrasengrund!
»Heil'ger Peter, heil'ger Peter!«
Schallt's aus Engelskindermund.

»Heil'ger Peter, schau dort unten
Blinkt die Ostersonne klar;
Eier sucht, die süßen, bunten,
Unsrer Erdgeschwister Schar.

Am Kristallmeer Harfe spielen
Müssen wir den ganzen Tag,
Sieh nur unsrer Händchen Schwielen
Von dem ew'gen Saitenschlag!

An dem glitzernden Gewässer
Gönn uns auch einmal Vakanz,
Dann gefällt's uns künftig besser
Noch bei dir im Wolkenkranz.

Locke her mit Zaubermunde
Uns den Has' im Frühlichtstreif,
Mit dem großen Schlüsselbunde
Klopf ihm klirrend auf den Schweif!

Hei, dann läßt er auf der Wiese
Willig fallen Ei um Ei,
Daß es in dem Paradiese
Lustig wie auf Erden sei.«

Das geflügelte Gelichter
Hüpft und scherzt nach Genienart;
Petrus zieht den Mantel dichter,
Brummt was schmunzelnd in den Bart.

Heimlich einen Korb voll Sterne
Schafft er her, ein Überfluß!
Füllt gar in Kometenkerne
Marzipan und Zuckerguß.

In die Sträucher, ins Gestäude
Steift er da und dort den Tand,
Jung wird ihm das Herz vor Freude,
Lachend klatscht er in die Hand.

Wie sie schwärmen, wie sie suchen!
Welch Gejubel, welch Geschrei!
Einen ganzen Sternenkuchen
Schleppt ein Puttchen purzelnd bei.

Rührend ist es anzuschauen,
Dieses sel'ge Kinderfest,
Bis entdeckt war auf den Auen
Jedes grasverborgne Nest.

Heilige in langen Zügen
Treibt die Neugier auf den Plan,
Und das herzlichste Vergnügen
Hat der liebe Gott daran.

2. Bauklötze.

Meines Töchterleins allerhöchstes Ergötzen
Ist das Spiel mit den eckigen, hölzernen Klötzen!
In allen Abenddämmerungen
Kommt sie mir auf den Schoß gesprungen:
»Bitte, bauen, Papa!« Und Wall und Turm,
Eine Stadt mit Zinnen ersteht im Sturm.
Wenn der Bau sich armhoch im Himmel verliert,
Dann wird ein Erdbeben inszeniert,
Und das Wunderwerk stürzt zusammen, o weh,
Wie Gomorra, Palmyra und Ninive. –

Eines Abends stand stolzprangend da
Ein Weinlaubgang, eine Pergola
Mit einer Loggia lustig und hell,
Getreu nach italien'schem Modell.
Und scherzend sprach ich: Sieh, um diese Streben
Da kann man schlingen Girlanden von Reben,
Dran dunkeln die Beeren in Blätterhecken,
Man braucht nur den Mund nach ihnen zu strecken.
– Da kletterte sie an mir empor,
Halb flüsternd schmiegte sie mir ans Ohr
Ihr Kinderköpfchen goldigflachsen:
»Papa, laß doch mal Trauben wachsen!«

3. Die Schildwache.

Der Wachtdienst ist so öde,
So klein die Garnison,
Stockprügel gibt's und schnöde
Geknausert wird am Lohn:
Begeisterung muß rosten –
Die Waff am Bandelier,
Steht vor dem Tor auf Posten
Der alte Musketier.

Altfränkisch, zopfig, eckig
Ist seines Kleides Tracht,
Langschößig und buntscheckig
Des Fracks verblaßte Pracht:
Weiß blinkt die Leinenweste,
Schwarz der Gamaschen Paar,
Schwer stülpt der goldbetreßte
Dreimaster sich aufs Haar.

Mit ausgestopfter Wade
Und gipserner Frisur
Stolziert er baumgerade
In steifer Positur:
Er kann sich schier nicht rühren,
Sonst kriegt der Rock 'nen Schlitz –
Doch so will sich's gebühren
Der braven Stadtmiliz.

Der Torwart liest daneben,
Die Hornbrill' im Gesicht,
Im »Reichspostreuter« eben
Kuriösen Weltbericht;
Sein Weib, das trocknet Wäsche
Am morschen Schilderhaus –
Die gelbe Postkalesche
Humpelt zum Tor hinaus.

Zuweilen gehen Leute
Vorüber zur Allee,
Der Sommertag lockt heute
Aufs Land zum Milchkaffee;
Der Torwart mit der Brille
Ist längstens eingenickt,
Eintönig durch die Stille
Der Schlag der Turmuhr tickt.

Der Posten auf dem Stande
Blinzt auch gar schläfrig schon;
Träumt er vom Vaterlande?
Träumt er von Desertion?
Die Ablösung ersehnend,
Die nicht mehr fern er wähnt,
An die Muskete lehnend
Gähnt er – und gähnt – und gähnt.

Zopf, Puder und Perücke,
Wie lange schon vorbei!
Das Schicksal schlug in Stücke
Die Winkelstaaterei;
Mit ihr die angenehme
Schlafmützig alte Zeit,
Genügsam selbstbequeme
Philisterhaftigkeit!


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