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Johann Ludwig Wilhelm Gleim (1719-1803)

1. Amor und Bacchus.

Bacchus streitet sich mit Amor,
Ob es Ernst, ob Scherz?
Ernst muß wohl es sein, sie streiten
Sich um dies mein Herz!

Bacchus mag den Sieg gewinnen,
Ihn zu geben steht bei mir,
Aber nein, vertragt euch lieber,
O ihr Götter ihr!

Gern lieb ich euch alle beide,
Alle beide könnt ihr mich
Glücklich machen, o vertraget
Euch doch nur, bitt ich.

Laßt mich trinken, laßt mich lieben,
Beides laßt mich doch zugleich,
O ihr allerliebsten Götter,
O vertraget euch!

Euch zu ehren, o ihr Götter!
Trink ich mir in Lieb und Wein
Einen Rausch, und meine Doris
Küßt mich – drum schenkt ein!

2. Die Gärtnerin und die Biene.

Ein kleine Biene flog
Emsig hin und her, und sog
Süßigkeit aus allen Blumen.
»Bienchen,« spricht die Gärtnerin,
Die sie bei der Arbeit trifft,
»Manche Blume hat doch Gift,
Und du saugst aus allen Blumen?«
»Ja,« sagt sie zur Gärtnerin,
»Ja, das Gift laß ich darin.«

3. Der Greis und der Tod.

Ein Greis von achtundachtzig Jahren,
Ein armer, abgelebter Greis
Mit wenigen schneeweißen Haaren,
Kam aus dem Walde, trug auf seinem krummen Rücken
Ein schweres Bündel Reis.

Ach Gott, der arme Greis!
Er mußte wohl sehr oft sich bücken,
Als er die Reiserchen im weiten Walde las;
Er hatte keinen Sohn, sonst hätte der's getan.

Und weil vor Mattigkeit er nun nicht weiter kann,
So setzt ers ab. Und als er da nun saß
Bei seinem Bündel und bedachte,
Wieviel Beschwerde, Müh und Not
Das Bündel Reis ihm machte,
Wieviel sein bißchen täglich Brot,
Da seufzt er lebenssatt, und weint und ruft den Tod.
»Befreie«, spricht er, »mich von aller meiner Not
Und bringe mich in Ruh!«
Der Tod kommt an, geht auf den Rufer zu.
»Was willst du,« fragt er ihn, »du armer Alter du,
Daß du mich hergerufen hast?
Du trägst auch eine schwere Last!«

»Ach, lieber Tod,« versetzt darauf
Der arme Greis, »hilf mir sie auf!«

4. Die Milchfrau.

(Nach Lafontaine.)

Auf leichten Füßen lief ein artig Bauernweib,
Geliebt von ihrem Mann, gesund an Seel und Leib,
Frühmorgens in die Stadt und trug auf ihrem Kopfe
Vier Stübchen süße Milch in einem großen Topfe;
Lief, wollte gar zu gern: »Kauft Milch!« am ersten schrein.
»Die erste,« dachte sie, »die erste Milch ist teuer;
Wills Gott, so nehm ich heut sechs bare Groschen ein!
Dafür kauf ich mir dann ein halbes hundert Eier;
Mein Hühnchen brütet sie mir all auf einmal aus;
Gras, eine Menge, steht um unser kleines Haus;
Die kleinen Küchelchen, die meine Stimme hören,
Die werden herrlich da sich letzen und sich nähren;
Und, ganz gewiß! der Fuchs, der müßte listig sein,
Ließ er mir nicht so viel, daß ich ein kleines Schwein
Dafür ertauschen könnte! Seht nur an!
Wenn ich mich etwa schon darauf im Geiste freue,
So denk ich nur dabei an meinen lieben Mann!
Zu mästen kostets mich ja nur ein wenig Kleie!
Hab ich das Schweinchen fett, dann kauf ich eine Kuh
In meinen kleinen Stall, ein Kälbchen wohl dazu:
Das Kälbchen will ich dann auf meine Weide bringen,
Und munter hüpfts und springts, wie da die Lämmer springen!

Hei!« sagt sie, und springt auf! Und von dem Kopfe fällt
Der Topf; das bare Geld,
Und Kalb und Kuh und Reichtum und Vergnügen
Sieht nun das arme Weib vor sich in Scherben liegen!
Erschrocken bleibt sie stehn und sieht die Scherben an.
»Die schöne weiße Milch!« sagt sie, »auf schwarzer Erde!«
Weint, geht nach Haus, erzählts dem lieben Mann,
Der ihr entgegenkommt mit ernstlicher Gebärde.
»Kind,« sagt der Mann, »schon gut! Bau nur ein andermal
Nicht Schlösser in die Luft! Man bauet seine Qual!
Geschwinder drehet sich um sich kein Wagenrad,
Als sie verschwinden in den Wind!
Wir haben all das Glück, das unser Junker hat,
Wenn wir zufrieden sind!«


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