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Victor Reichenberg (geb. 1865)

1. Ein Kaffeeklatsch.

In Dausenhausen fiel der Schnee
Zum erstenmal in diesem Jahre
Und brachte strenge Kälte mit;
Da kriegte eine wunderbare
Idee die Frau Kanzleirat Schmidt
Und lud zu einer Mokkatasse
Die Honoratioren ein:
Da fanden sich dann ein in Masse
Frau Pastor Groß, Frau Doktor Klein,
Auch Frau Direktor Schimmelpfennig
Und Frau Betriebsinspektor Hennig,
Die ärgsten aller Lästerbasen
Mit spitzen und stets roten Nasen;
Frau Bahnvorsteher Pausebruck,
Die Frau Aptheker Pillenschluck
Frau Obertelegraphin Quandt,
Auch kurz »Frau Gräfin« zubenannt,
Und manche andere aus dem Neste
Fand sich zu diesem Stadtklatschfeste
Bei Frau Kanzleirat Schmidten ein
Mit Strickzeug oder Häkelein:
Denn im Dezember, wie bekannt,
Aus Anbetracht der Weihnachtstage,
Strickt, häkelt jede Frauenhand!
Oft dem Beschenkten nur zur Plage,
Wenn er beschaut die wundervollen
Fausthandschuh, die ihm viel zu groß,
Die Sofakissen, Schlummerrollen,
Und dann die Hausschuh – ei famos!
In Farben schillernd orientalisch –
Doch oh! sie drücken kannibalisch!

Der Kaffee dampft, die Tassen klirren,
Späßchen und Komplimente schwirren.
Ja solch ein Kaffee ist doch schön,
Man muß das Plappern nur verstehn!

 

Hier tuschelt man sich was ins Ohr –
»Oh – oh! – und das kommt wirklich vor?«
Entsetzt zur Höh zieht man die Brauen:
»Und das sind nun gebildete Frauen?«
»›Ach – und die Männer erst – ja ja!
Was die betrifft, die kennt man ja!‹«
Bedächtig schütteln sie die Hauben:
»Sowas ist wirklich nicht zu glauben!«
»Noch ein Stück Kuchen, Frau Direktor?«
»›Ich danke sehr –‹« »Sie, Frau Inspektor?«
»Ich danke auch – doch etwas Zucker
Wär mir erwünscht!« – »›Hier, bitte sehr‹«.
So geht das Schwabbeln hin und her,
Man tuschelt oder lacht ironisch,
Denn eins von beiden ist stets chronisch.
»Ja, denken Sie sich bloß, solch Mucker –«
»›Nein! was sie sagen? nimmermehr
hätt sowas ich von dem gedacht!‹« –
»Hab ich es denn nicht gleich gesagt?
Na, und die Frau – 's is auch man so,
Die werden kaum des Lebens froh!
Und dabei tun sie stets so groß,
Als wäre wunder was da los!«
»›Und ihre Toiletten – oh!
Ich sage Ihnen – dekolettiert!!
Bis hier!!! –‹« »das nenn ich ungeniert!
Man läßt gefallen sichs am End,
Wenn man ein bißchen korpulent,
Doch die!! hi hi – ist wie ein Pfahl,
Die hat ja nicht ein bißchen Form!«
»›Ja in der Tat, 's ist kolossal,
Die Magerkeit ist ganz enorm –
Und dann entblößen – welch ein Skandal –‹«

Der Kaffee dampft, die Nadeln klappern,
Die Tassen klirren, die Mäulchen plappern.
Ja, solch ein Kaffee ist doch schön,
Man muß das Hecheln nur verstehn!

 

»Ei! ei!« ruft da Frau Rätin Quandt,
Zur Frau Kanzleirat Schmidt gewandt,
Indem sie sich vor Neid verfärbt:
»Sie haben plötzlich wohl geerbt?
Daß Sie jetzt Damast-Tee-Servietten
Und Silberlöffel gar besitzen?«
»›Ach gehn Sie doch mit Ihren Witzen:
Als ob wir die nicht längst schon hätten!?‹«
Frau Schmidt energisch protestiert,
Im stillen dennoch stark schokiert.
Frau Quandt lacht »Böse meint ichs nicht«,
Und zieht ein höhnisches Gesicht.
Doch kann sie an der andern Kichern
Mit Schadenfreude sich versichern,
Daß dieser Hieb gesessen hat!
Nun weiß es bald die ganze Stadt,
Daß man in Frau Kanzleirats Haus
Noch immer strebt sehr hoch hinaus!
Doch diese kleinen Sticheleien
Zerstören nicht die Einigkeit,
Da sie erfreuen und zerstreuen,
Wenn man sie übt von Zeit zu Zeit.
Es würde auch langweilig sein,
Wenn nur der Kaffee fließen wollte
Und man dabei nicht lästern sollte!
»Ach bitte, bitte – noch ein Schlückchen –«
»›Unmöglich ist es mir, Frau Rat!‹«
»Dann aber noch ein Kuchenstückchen –«
»›Auch nicht, ich danke sehr, Frau Rat!‹«
»Und Sie, meine liebe Frau Apotheker?«
»›Ich bin so frei, ich nehme noch;
Haben Sie den Kuchen selbst gebacken?‹«
»Nein, der ist vom Konditor Bloch!«
»›Ach drum auch, denn das letzte Mal
War klitschig er – 's war recht fatal;
Da hatten Sie ihn wohl vom Bäcker!‹« –
»Erlauben Sie Frau Apotheker,
Das war mein eigenes Gebäck!!«
»›Na, kriegen Sie man keinen Schreck,
Dann irrt ich mich – 's ist auch egal,
Dann wars das vorvorletzte Mal!‹«

Der Kaffee dampft, die Mäulchen plappern,
Die Tassen klirren, die Nadeln klappern;
Ja, solch ein Kaffee ist doch schön,
Man muß das Klatschen nur verstehn.

 

Es ist wie beim Trollhättafalle:
Das Wasser, weiß der Teufel auch,
Woher es kommt – wird niemals alle.
Es gibt so viel ja zu erzählen,
Wie sollte es an Stoff da fehlen?
Dienstboten, Wäsche, Kochkunst, Schneider,
Die Gatten, Kinder; – Schuh und Kleider,
Und was man an- und auszieht, alles:
Der Überfluß und auch der Dalles
Wird unters Mikroskop gesetzt
Und weidlich drüber ausgeschwätzt.
Jedoch der längste Kaffeeklatsch
Erreicht sein Ende – und die größte
Von allen Milch- und Kaffeekannen
Sich schließlich ihres Stoffs entblößte.
Nur Kuchenkrümel und Rosinen
Langweilen sich als Überrest,
Und damit kann beim Kaffeefest
Man doch die Gäste nicht bedienen!

 

So trennt man sich zum frohen Ende,
Mit Knixen reicht man sich die Hände: –
Ach, war das heute wieder schön,
Auf baldiges frohes Wiedersehn!
»Das nächste Mal«, sagt Frau Direktor,
»Bei mir!« – »›Nein!‹« ruft die Frau Inspektor,
»›Ich bitte, ich bin an der Reihe!‹«
Doch gellend übertönt die zweie
Die Frau Aptheker Pillenschluck:
»Was streiten Sie sich, meine Lieben,
Das ist doch gar nicht streitenswert!?« –
»›Gewiß!‹« ruft da Frau Pausebruck,
Die fremde Streitsucht stets empört:
»›Ob hier, ob dort – 's ist einerlei,
Wir sind ja allemal dabei,
Wos tüchtig was zu reden gibt,
Wies eine brave Hausfrau liebt!
Solch Kaffee ist doch gar zu schön,
Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn!‹«

Der Kaffeeklatsch ist damit aus –
Die Schwestern wandern alle nach Haus;
Die Männer aber drückt es nieder ...
Es hat jeder seinen Drachen wieder!

2. Die Jahreszeiten eines Berliner Philisters.

Frühling.

I.

Kaum weht im Mai ein erster sommerlicher,
Dabei auch zuverlässig warmer Wind,
Wird eingekampfert staub- und mottensicher
Der dicke Winterrock im Spind.

Desgleichen wird der glänzende Zylinder
Verpackt mit Vorsicht in den Pappkarton;
Ein leichter Strohhut ziert das Haupt nicht minder,
Zumal, wenn neu ist die Fasson!

O welche Lust! Daheim im Lüster-Röckchen
Zu schlendern, das der Zephir lind durchhaucht,
Dazu mit Silbergriff ein zierlich Stöckchen –
Das heißt: falls man den Schirm nicht braucht!

Für einen Nickel – lächerlich zu sagen –
Bringt volle siebenzig Minuten weit
Die Straßenbahn im offenen Sommerwagen
Mich vor das Tor mit Schnelligkeit.

In Pankow, Steglitz, Treptow oder Tegel,
Wohin mich grade Lust und Neigung treibt,
Wird dann ein gutes Stündchen in der Regel
Teils Bier, teils frische Lust gekneipt.

Auf gleichem Weg – doch klüglich stets vor sieben –
Geht es nach Haus dann in Bequemlichkeit,
Weil mich das Drängen, Drücken oder Schieben
Verdrießt zur späten Abendzeit.

Die Wirtin hat indes, die häuslich-gute,
Das warme Abendbrot schon aufgetischt;
Aufs Sofa setz ich mich mit frohem Blute
Und fühl erquickt mich und erfrischt.

Fürwahr! kein schöneres Vergnügen kenn ich,
Als dies in unsrer Millionenstadt:
Man kneipt Natur für ganze zwanzig Pfennig
Und ißt nachher zu Haus sich satt!

II.

Doch soll man darum glauben nicht, ich bitte,
Daß ich für Kunst nichts übrig hätt!
Im Opernhaus nach alter guter Sitte
Hab ich ein Abonnementbillett.

Zwar Wagner und die andern schweren Sachen,
Die machen mich nicht sonders warm –
Nur der bon ton verpflichtet mitzumachen;
Doch das Ballett, das ist mein Schwarm.

Auch Modedichter mag ich nicht goutieren,
Sie sind mir viel zu ordinär,
Im Wintergarten aber intressieren
Die großen Künstler mich gar sehr.

Die Bildergalerien und die Museen,
Sie fesseln mich desgleichen stark:
Man kann darin viel Schönes gratis sehen –
Die Kunstausstellung nimmt 'ne Mark!

Wie hats im Gegensatz zum Provinzialen
Doch der Berliner gar so gut –
Er braucht kein schweres Geld erst zu bezahlen,
Wenn er an Kunst sich gütlich tut.

Sommer.

I.

Wenn nun die Tage heiß und heißer werden,
Bringt das Theater statt Genuß Beschwerden –
Ich zeige meiner Wirtin mich sehr nett
Und schenk ihr manchmal ein Billett.

Dann leih ich mir das Reichskursbuch, das gelbe,
Und durchstudier zwei Tage lang dasselbe,
Bis ich mir über wie, wann und wohin
In allen Punkten schlüssig bin.

Den Koffer laß ich holen mir vom Boden,
Ausklopfen auch den Havelock aus Loden,
Die gute Wittib sagt gerührt Ade,
Dann dampf ich ab im Schlafkoupee.

Ich fahre in das Oberland, das Berner,
Doch nicht erklimm ich Zacken oder Hörner,
Verschont blieb ich Gottlob! vom Kraxelwahn –
Und fahr manierlich Zahnradbahn.

Da braucht man sich anseilen nicht zu lassen,
Mit ungeschlachten Führern nicht befassen –
Nach dem Diner tritt an den Schalter man,
Löst ein Billett und rutscht hinan.

Ich lobe mir die Schweiz! – Kein Land gibts nämlich,
Das man bereisen kann so gar bequemlich;
Man fühlt sich wie zu Haus und hat dabei
Die herrlichste Natur noch frei!

II.

Doch alles langweilt endlich in der Welt;
Die höchsten Berge werden Maulwurfshügel,
Sieht man sie täglich vor sich hingestellt –
Rasch überzähl ich drum das Reisegeld
Und neu entfalt ich meine Wanderflügel.

Das Essen, und was sonst man nötig hat,
Ist in der Schweiz als exquisit zu loben!
Doch macht es korpulent, das Blut wird matt –
Darum verordn' ich mir noch Karlsbad,
Des Sprudels linde Heilkraft zu erproben.

Den Magen muß der Mensch als Hauptorgan
Gesund erhalten sich und leistungstüchtig!
Mir winkt, tritt erst der Winter auf den Plan,
Noch manch Diner mit Trüffel und Fasan,
Dazu ist die Verdauung äußerst wichtig.

Herbst.

I.

»Im Herbst da muß man trinken« – heißts im Lied
Und wirklich wüßt ich nicht, was besser wäre,
Wenn schon um fünf die Sonne abwärts flieht,
Als daß beherzigt man des Dichters Lehre.

Man hat, Gottlob! daß ich Berliner bin,
Ja Rheingold, Esplanad und Kaiserkeller;
Im Schifferhäuschen sitzt sichs mollig drin,
Dort trinkt sichs ungeniert und um so schneller!

Vom edeln Saft blüht auf ein feiner Duft
Und selig blinzelnd neigst du dich zum Glase,
Pikant zieht aus der Küche durch die Luft
Ein kräftger Bratenduft dir um die Nase.

Da packt es dich! Du rufst den Franz heran,
Um auf die Speisekarte dich zu stürzen – –
Nun sag mir einer: ob im Herbste man
Die langen Abende kann besser kürzen?

II.

Ich habe einen Freund im Osten wohnen,
Der eine Jagd gepachtet hat
Und leidenschaftlich brennt mit blauen Bohnen
Dem feisten Rehbock eins aufs Blatt.

Das heißt: ich mach mir wenig aus dem Morden,
Wildbraten zwar ist unerreicht,
Doch rechne ich mich nicht zum Nimrod-Orden,
Denn Wild zu treffen ist nicht leicht.

Nur ist man seinen Freunden auch was schuldig:
So nehm ich denn das Mordsgewehr
Und stelle auf den Anstand mich geduldig –
Indessen knallt es ringsumher.

Doch die Bewegung ist mir äußerst dienlich,
Auch in der Luft der Aufenthalt.
Nur aus Gesundheitsrücksicht zieh ich kühnlich,
Aus Mordlust niemals in den Wald!

Winter.

I.

So kommt der Winter nach des Herbstes Freuden!
Als Landschaftsmaler mit gewaltigem Pinsel
Sieht man ihn weiße Farben rings vergeuden –
Auch pflastert er die Spree und Rousseau-Insel.

Als ich noch jung, an Gliedern recht elastisch,
Hab ich gehuldigt auch dem Eislaufsporte;
Heut prüf ich, wie die Jugend sich gymnastisch
Betätigt, von des Ufers sicherem Orte ...

Wars hier nicht auch, wo mit dem blonden Lieschen
Dereinst ich kühne Furchen zog im Eise?
Ihr Vater hielt Spinat feil und Radieschen,
Trotzdem fiel meine Neigung nicht im Preise.

Heut ist sie Hausbesitzers Frau im Westen,
Fünf Kinder hat sie und ist rund und mollig –
Sie wollt nicht warten, nahm den ersten besten,
Als ich noch an den Knöpfen zählte: soll ich?

Vorbei! – Der Liebe geht es wie dem Winter:
Heut noch Monarch und morgen eine Mythe!
Im Heiratslotto – kommt man erst dahinter –
Ist jede zweite Nummer eine Niete.

II.

Der Knalleffekt des Jahrs ist der Dezember!
Das liebe Weihnachtsfest rückt an im Nu
Und ruft den Eltern täglich sein Remember
Von wegen reichlicher Bescherung zu.

Süß duftets schon nach Mandeln, Pfefferkuchen,
Nach Schokolade, Harz und Wachslicht traut –
Die Anverwandten, die mich gern besuchen,
Sie bringen alle mir was aufgebaut.

Ihr denkt vielleicht: zu kinderlosen Leuten
Verirrt sich Ruprecht nicht? O weit gefehlt!
Ein Junggesell hat mehr noch zu bedeuten,
Zumal, wenn er zu den Erbonkeln zählt!

Ein Nichtchen bringt mir ein Zigarrenspindchen,
Ein Neffe einen Meerschaumpfeifenkopf;
Ein Kissen mit gesticktem Perlenhündchen
Bringt die – und jene einen Rosentopf.

Zwei Schlummerrollen, eine eichne Truhe
Bringt mir ein Dienstmann gar ins Haus geschleppt;
Die Wirtin hat buntfarbne Morgenschuhe
Gestickt und selbst die Sohlen angesteppt!

Ach so viel Liebe rührt mich fast zu Tränen,
Ja solche Prachtverwandtschaft ist ein Staat!
Umsonst nicht sollen hoffen sie und wähnen –
Ein jeder kriegt von mir einst ein Legat.

Sie wissen, daß ich prinzipiell nichts schenke,
Wozu? was jeder braucht, das hat er auch!
Doch schwarz auf weiß steht, daß ich sie bedenke –
Abändrung vorbehalten! – wie es Brauch.

Beschluß.

Und wenn nun am Silvesterabend stöhnend
Die Tafel unter Punsch und Karpfen quietscht,
Klopf ich ans Glas, indem es zwölf schlägt dröhnend,
Und eine kleine Rede wird ge- speacht.

»Ein neues Jahr erscheint! O mög es allen
Im Tanz der Monde gnädig sein und gut!
Friede der Welt, den Menschen Wohlgefallen!
Und uns speziell erhalt; den frohen Mut!

Die Welt ist schön – ob auch die Nörgler zetern,
Die Roten und die Schwarzen tun uns nichts;
Ich bange nicht vor Laut- und Leisetretern,
Denn ich erfreu mich schönsten Gleichgewichts.

Doch lassen wir die Politik, die leidige,
Die manchen Mann schon ins Verderben trieb;
Uns eint der Liebe Band, das weiche, seidige,
Darum behaltet euern Onkel lieb!

Und hoch und dreimal hoch! – Die Gläser klingen
Erfüllung wünsch ich jedem guten Wunsch!
Gesundheit soll das neue Jahr uns bringen
Bis zu dem künftigen Silvesterpunsch!«


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