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Karl Ferdinand Dräxler (Manfred, Dräxler-Manfred: 1806-1879)

Lenzbrief.

Dieses schrieb mit Abendgolde
Lenz ins blaue Firmament
An die liebereiche, holde
Mutter, die sich Erde nennt.

»Sei gegrüßt zu tausendmalen!
Meinen vollen Liebesgruß
Send' ich dir in tausend Strahlen
Und in Düften meinen Kuß.
Seit ich bin von dir geschieden,
vielgeliebte Mutter mein,
Ist kein Frieden mehr hinieden
Und für mich kein Fröhlichsein.
Ach! und deine Klagen tragen
Auch die Lüfte zu mir her,
Die mir sagen, daß ertragen
Du die Trennung kannst nicht mehr.
Darum will ich wiederkehren,
Komme bald zu dir zurück,
Deine Zähren sollen klären
Sich in meinem Sonnenblick.
Scheiden sollen deine Leiden,
Übertönt durch meine Lust,
Und an Freuden möge weiden
Sich beseligt deine Brust.
Überschneit sind deine Hügel,
Deine Blumen abgedorrt,
Übereist dein Wellenspiegel,
Deine frohen Sänger fort.
Alle sollen wiederkommen,
Lerche, Nachtigall und Fink,
Bis in Wonne sie vernommen
Meinen ersten Liederwink.
Aber vorbereitet halten
Magst indes du Hof und Haus;
All die alten Frostgestalten
Treibe sorglich mir hinaus.
Sende Sonnenstrahl entgegen
Mir als Boten für mein Glück,
Feuchten Regen, der als Segen
Perlt im holden Mutterblick.
Daß ja keine Blume säume
Anzuziehn ihr grünes Kleid:
An die Keime sende Träume
Von der Auferstehungszeit.
Bäume sollen sich bemoosen
Und bereit die Rosen stehn;
Denn mit Rosen will ich kosen
Und auf Rosen schlafen gehn.
Mahnung schicke deiner Quelle,
Daß ich steigen will ins Bad:
Ihre helle Silberwelle
Gaukle, wenn der Frühling naht.
Und vor allem lasse ahnen
Deine Menschen Frühlingslicht;
Doch Profanen gilt dies Mahnen
Und der ganze Himmel nicht.
Hast du liebe, treugesinnte,
Vollen Herzens, gut und still,
Denen künde leis und linde,
Daß ich sie besuchen will.
Tröste Liebende mit Güte,
Ihre Leiden ziehn vorbei:
Denn Gemüte, wie die Blüte,
Lebet wieder auf im Mai.
Bringen will ich manche Gaben,
Manch ein neues, buntes Kleid,
Will begaben und will laben,
Spenden will ich Seligkeit.
Allen send ich stillen Frieden,
Sende buntes Glück herab,
Und den Müden, die geschieden,
Pflanz ich Blumen auf das Grab.
Und so mögen Seligkeiten,
Fröhlichkeiten aller Art
Durch die Weiten sich verbreiten,
Rings um meinen Thron geschart.
Aber du, o Mutter schaue
Auf mit heiterm Angesicht,
Bis die laue Luft, die blaue,
Dir verkündiget mein Licht;
Bis dir naht das Wonnetreiben
Meines frohen Elements,
Bis dahin will ich verbleiben
Liebevoll dein treuer Lenz.«
– Als sie diesen Brief bedachte,
War das Abenddunkel nah;
Und als morgens sie erwachte,
War der schöne Schreiber da!


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