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Felix Dahn (1834-1911)

(Aus den Gedichten. Mit Genehmigung des Verlages von Breitkopf & Härtel in Leipzig.)

1. Des Sultans Gesetz.

»Dieses geht nicht!« sprach in Joppe Sultan Selim, der vor kurzem
Abgeschlossen auf drei Jahre Waffenstillstand mit den Christen
Drüben in Jerusalem.

»Dieses geht nicht, daß die kecken Tempelritter, diese Schlingel,
Tag für Tag gen Joppe reiten und mir meiner schönsten Türken-
Mädchen Herzen schnappen weg.

Weil nun solches Herzgeschnappe anhebt meist mit Schleierlüften,
So befehl' ich: jeden Templer, welcher eines Türkenmädchens
Schleier lüftet, trifft der Tod:

Wenn sie nicht statt dessen vorzieht, – nach der Wahl des Mädchens selber, –
Daß den frechen Übeltäter augenblicklich von dem Vater
Sie empfängt zum Ehgemahl.«

Dies Gesetz schuf zürnend Selim. – Solches hatte kaum vernommen
In Jerusalem Herr Reinhart, – auch ein frommer Tempelritter!
Als er stracks gen Joppe ritt.

Fest in seinen langen weißen Mantel eingehüllt, durchschritt er
Joppes Straßen: herrlich schritt er: tausend Türkentöchter seufzten
Durch die Läden: »Welch ein Mann!«

Sieh, da wandeln ihm entgegen, tief verhüllt, zwei Türkenmädchen:
Und der ungezogne Templer hebt sofort der einen Schleier,
Und er ruft: »Schön! Wahrlich, schön!«

Und er zieht sogleich der zweiten von dem Antlitz auch den Schleier:
»Tausend Tode will ich sterben,« ruft er, »schönstes Weib der Erde –
Aber einmal küss' ich dich.«

Und er küßt sie. – Und natürlich wird sofort er arretiert auch
Von den türkischen Gendarmen – und das fromme Joppe jubelt:
»Diesem wird's mal schlecht ergehn!

Denn die braven Türkenmädchen, die so tödlich er gekränkt hat,
Waren – also mög' es jedem kecken Schleierlüfter werden –
Sultan Selims Töchter selbst!« – –

Vor dem Sultan stand der Ritter: und es sprach die eine Tochter –
Schwarze Brau'n zog sie zusammen und es war die ältre Tochter,
Die der Frevler nicht geküßt: –

»Vater, Todes soll er sterben nach dem ersten Paragraphen
Deiner Satzung: – ich verlang' es!« Und der Sultan, turban-nickend,
Sprach: »Gestrenge Tochter, ja!«

Doch da sprach die jüngre Tochter, – blondgelockt, sie, die er küßte: –
»Lieber Vater, ich verlange diesen jungen Staatsverbrecher
Nach Gesetz zum Ehgemahl.

Denn ich bin ein Türkenmädchen und ein Templer ist der Ritter,
Und er hat – ich kann's beweisen! – meinen Schleier aufgehoben;
Und dein zweiter Paragraph ...« –

»Schweig und nimm ihn!« sprach der Sultan, »schwierig ist's, Gesetze machen,
Schwerer noch ist's, Mädchen hüten: – küß mich, Goldgelock, mein Liebling,
Heute noch soll Hochzeit sein.«

2. Das Haus der drei Schönen.

I.

In dem Jahre siebzehnhundert, vierundzwanzig Jahre zählend,
Ausstudiert zu Salamanca hat Alfonso de Vidal. –
Oheims Mundschaft ist zu Ende: und zurück ins Schloß der Väter
An dem blauen Manzanares kehrt er als sein eigner Herr.

Aber vor dem Scheiden will er noch das Abenteuer krönen,
Das geheimnisvoll schon lang' ihm aus dem »Haus der Schönen« winkt.
»Haus der Schönen« heißt die Villa, lauschend in Granatenbüschen,
Daran täglich die Studenten gehn vorüber ins Kolleg.

»Haus der Dreie«: denn es wohnen – die Studenten wissen's – drinnen
Eine Tante und zwei Nichten: – alle drei bezaubernd schön!
Donna Laura heißt die Tante: junge Witwe, feurig, üppig,
Schwarzgelockt: daß sie zu mager, selbst der Neid behauptet's nicht.

Braune Zöpfe trägt Ximene, rote Flechten Donna Sancha.
Ob die Tante, ob die Nichte, welche Nichte schöner sei, –
Zwei Semester disputierten die Studenten Salamancas
Eifriger um diese Frage, als um Aristoteles.

Und so oft Alfons vorüberschritt den grünen Gitterläden,
War es morgens, war es abends, – eine Blume glitt herab.
(Daran war nun nichts Besondres: weil Alfonso, wie wir sehen
Werden, wie in andrem Muster, schön von Wuchs und Antlitz war.)

Aber welche von den dreien lohnt den fleißigen Studenten
So für seinen Fleiß alltäglich? Dies ergründen muß Alfons.
Und er nimmt die treue Zither – (denn auch musikalisch war er,
Dieser reichbegabte Jüngling) und er singt im Mondenschein:

»Edle Donna, übermorgen muß ich ziehn aus Salamanca:
Darf ich morgen nachts es wagen, – eine Blume wirf herab!«
Und bevor der Ton verhallt ist, sieh, schon öffnen sich drei Lädchen,
Und es sinken ihm zu Füßen wunderschöne Blumen drei.

Eine rabenschwarze Malve: »Das ist von der Tante Laura!«
Eine dunkelbraune Nelke: »Von Ximene dies, dem Bräunchen!«
Rotes Röslein: »Sancha rot!«
Schwer betroffen steht der Jüngling! »Alle drei? Wie soll das werden?«

Auf den Hut steckt er die Malve, an das Wams die Nelke braun!
Doch wie er die rote Rose mit der Hand führt an die Nase,
Sieh, aus schmaler Mauerritze eine vierte Blume fällt.
Eine kleine weiße Blüte: niemals sah er ihresgleichen,

Und ein Duft entströmt der weißen, wie er niemals ihn genoß
An den Hut steckt zu der Malve er die Rose: nur der weißen
Blüte Duft verlangt er sehnlich, die er hält in seiner Hand.

II.

In der nächsten Nacht im runden Saale steht des ersten Stockwerks
Don Alfons, die seidne Leiter zieht er nach auf den Balkon.
(Nun darf das euch nicht befremden, daß er solch ein Werkzeug hatte:
Dies gehört in Salamanca nun einmal zum Studium.)

Sieh, drei Schlafgemächer münden mit den Türen in den Rundsaal,
Nur ein Vorhang deckt die Öffnung, welche zu der Treppe führt.
Aus der Osttür tritt in roten Flechten Sancha: – doch der Vorhang
Wallt so seltsam: – er verscheucht sie. Auf die Schwelle nun im West
Schwebt die bräunliche Ximene: doch ein weißes Füßlein streckt sich
Schüchtern unterm Vorhang in den Rundsaal, und Ximene flieht.

Aus der Südtür stürmt da glühend im Gewog der schwarzen Locken
Tante Laura: besser als die Mädchen weiß sie, was sie will.
Mag der Vorhang wehn, das Füßlein kecker auf der Schwelle spielen,
Sie erschließt ihm weit die Arme. »Aber Tante!« tönet da
Aus dem Vorhang süß ein Stimmlein, und die Tante flüchtet zürnend.

Aber aus dem Vorhang schwebt nun in den Saal ein Zaubertraum:
Ganz gehüllt in weiße Schleier, schwebt ein Kind von sechzehn Lenzen,
Schlank und schmal und zart und zaghaft, wie ein frommes Heil'genbild.
Lichte goldne Locken fluten auf den kaum entknospten Busen,
Und Madonnenaugen schlägt sie schämig zu dem Jüngling auf.

Dieser sinkt aufs Knie vor Staunen, süße Glut durchrinnt ihn leise:
»Sprich, wer bist du? Und wie heißt du?« »Ach, Maria bin ich nur,
Bin das Bäslein aus Asturien. Tante haben und Kusinen
Immer mich versteckt gehalten, wohl weil sie sich schämten mein.
Wann sie aus den Läden grüßten alle Herrn von Salamanca,
Ich – aus meiner Mauerritze – sah verstohlen nur nach Euch!
In den Bergen von Asturien lernt ich Künste nicht, noch Feinheit,
Und ich weiß nicht viel zu sagen –: doch ich sterbe, scheidest du!«

Auf vom Boden sprang Alfonso, an die Brust riß er die Blonde:
»O Maria! Weiße Blume! Ewig, ewig bist du mein!«
Und herab die seidne Leiter trug er die verschämte Kleine,
Und er hob sie auf sein Rößlein im Gebüsche von Jasmin.

»Ach, wohin, wohin, Geliebter?« »Auf mein Schloß am Manzanares!«
Doch am Kloster in der Vorstadt hielt er an. Nun sagt: weshalb?
Er hielt an vor jenem Kloster, um sich schleunigst traun zu lassen,
Weil er nicht nur musikalisch, sondern auch moralisch war.

3. Chorus der Buchhändler.

Bücher schreiben ist leicht, es verlangt nur Feder und Tinte
Und das geduld'ge Papier. Bücher zu drucken ist schon
Schwerer, weil oft das Genie sich erfreut unleslicher Handschrift.
Bücher zu lesen ist noch schwerer, von wegen des Schlafs.
Aber das schwierigste Werk, das ein sterblicher Mann bei den Deutschen
Auszuführen vermag, ist: zu verkaufen ein Buch.
Denn es kauft sie nicht gern das unsträfliche Volk der Germanen!
Nein, sie mieten sie, was höflicher »leihen« man nennt.
O Leihbibliothek, wo, vergleichlich den Droschken am Haltplatz,
Schmierig vom vielen Gebrauch, gelb vom verspritzten Kaffee,
Schiller und Goethe stehn und des Winters, des gütigen, harren,
Welcher am Dichter erspart, was er verraucht und vertrinkt!


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