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Hermann von Gilm (zu Rosenegg: 1813-1864)

Der Kater.

Ein Kater lebte lange Zeit
Zufrieden in der Ehe,
Bis ihn die Ungenügsamkeit
Erfaßt mit ihrem Wehe.
Er hält sein Leben für gering
Und sich für ein verächtlich Ding
Und martert Weib und Kinder.

Der Kätzin geht gar tief der Schmerz
Des Gatten zu Gemüte,
Sie drückt ihn weinend an das Herz
Und spricht mit Lieb und Güte:
Dort geht die Sonn' im Himmelsblau,
Die mächtigste, die größte Frau,
Geh hin, um sie zu werben.

Der Kater geht von Hof und Haus
Und neigt sich vor der Sonne:
Allmächtig bist du, teilest aus
Auf Erden Licht und Wonne.
Die Sonne fällt ihm schnell ins Wort:
Nein, mächtger ist die Wolke dort,
Die kann mich ja verdunkeln.

Der Kater spricht zum Wolkenschiff,
Das eben Anker löste
Von einem hohen Felsenriff:
Halt an, du bist das größte!
Die Wolke, ein geschmeichelt Kind,
Errötet leicht und seufzt: der Wind,
Der mich vertreibt, ist größer.

Der Kater läuft dem Winde zu
Und wirft sich ihm zu Füßen:
Der Stärkste auf der Welt bist du,
Laß mich als Knecht dich grüßen. –
Der Stärkste ich? In meinem Lauf
Hält mich die kleinste Mauer auf
Und bricht mir meine Flügel.

Der Kater preist die Mauerkron'
Nun Königin der Stärke:
Die Mauer aber zürnt: Mein Sohn,
Du spottest, wie ich merke –
Ist stärker doch als ich die Maus,
Die nagt mich an und höhlt mich aus,
Bis ich zusammenbreche.

Der Kater sucht nun auf die Maus
Und spricht vor ihrer Höhle:
Du bist die Größte – komm heraus,
Daß ich mich dir vermähle.
Das Mäuschen steht ganz zitternd da:
Mein Gott, ich bin das Kleinste ja,
Das Größte bist du selber.

Der Kater kehrt nun schnell zurück
Zu seinem kleinen Kreise –
Die Gattin fragt: Hast du das Glück
Gefunden auf der Reise?
Jawohl, spricht er, 's ist alles Trug,
Ein jeder sei sich selbst genug,
Und jeder ist der Größte.


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