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XVII

Ich komme zu der möglichst kurzen Beschreibung unserer nächsten Versuche, mit denen wir unsere Untersuchung vorläufig abzuschließen gedachten. Es waren teils neuartige Versuche, teils Wiederholungen der alten, sogenannte Kontrollen.

Die Schwierigkeiten lassen sich nicht ganz einfach beschreiben. Was man ohne Schwierigkeit jetzt, (nachdem die einfachen Dinge der Wissenschaft bereits entdeckt sind), findet, ist meist falsch. Man muß sich daher selbst kontrollieren, alles bis in die letzte Einzelheit prüfen, mißtrauisch sein bis zum krankhaften Mißtrauen und dennoch glauben können und ohne Ermüdung weiterarbeiten.

Mit dem Beginn verzögerte es sich etwas, da der Geldbetrag, den Carolus daran wenden wollte, erst aus der Heimat überwiesen werden mußte. Dies geschah telegraphisch, dauerte aber doch einige Tage.

Inzwischen suchten wir den Platz für diese Experimente aus. Er fand sich zwischen zwei Lagern. Ein von den Sträflingen in jahrelanger Arbeit abgeholztes Stück Land ohne einen Baum, nur von dornigem Gestrüpp bedeckt, wie es in diesen Gegenden wuchert, ohne eine Wasserquelle in der Nähe. Also in möglichst weiter Entfernung von dem gewöhnlichen Aufenthalt der Insekten, genannt stegomyia fasciata. Es wurde ein kleines Zeltlager, bestehend aus fünf Zelten, aufgebaut, sodann zwei kleine Häuschen. Es war nicht einfach, alles voraus zu bedenken und alles mit dem nötigen Zubehör einzurichten, um hier, abgeschlossen von der übrigen Welt, fast so einsam wie mein Vater und seine Gefährten im Eismeer, die Verbreitungsweise des Y. F. zu studieren.

Den Grund und Boden überließ uns die Verwaltung kostenlos (kein großes Opfer!) und stellte auch den in einer Strafkolonie reichlich vorhandenen Stacheldraht gratis zu unserer Verfügung. So waren die Verwaltung und der Staat doch manchmal zu etwas gut! Wichtiger noch war das Geld. Das Geld brauchten wir, um Versuchsobjekte in Gestalt von Menschen zu kaufen. Menschen kosten Geld.

Es gibt aber auch Menschen, die einem von ihnen als wichtig erkannten Zweck sich ohne Entgelt, wie sagt man? opfern. Ideal – ohne Gegenwert. Und dazu gehörten einige Marinesoldaten von den Küstenbatterien, die Walter noch als Militärarzt gekannt hatten. Auch ihnen hatte Carolus einen für sie verhältnismäßig hohen Geldbetrag angeboten. Sie entgegneten aber zu unserer Überraschung: »Herr Generalarzt, wir haben nur die eine Bedingung zu stellen, daß wir für unseren freiwilligen Dienst keinerlei Entgelt bekommen«. Carolus wurde rot, ein Phänomen, das ich an dem ledernen alten Medizinalstatistiker noch nie beobachtet hatte. Er sagte ihnen nicht erst lange Dank für diese großmütige Geste. Er nahm sie an und behandelte die Jungen als die Gentlemen, die sie waren.

Ich habe einmal gesagt, daß unter anderen schönen Eigenschaften in unserer Zeit die Großmut zu den unübersetzbaren Fremdwörtern gehört. Wie man sieht, hatte ich auch noch in diesem Punkt geirrt!

Schon die Tatsache, daß es überhaupt noch Menschen dieser seltenen Art auf unserer alten, schäbigen Erde gab, erleichterte mir mein Dasein, das jetzt ohne meinen Freund March oft nicht leicht zu ertragen war. Doch wozu von mir sprechen? Mein persönliches Schicksal hing ab vom Gelingen und Mißlingen unserer Versuche. Nur davon will ich zum Schluß berichten. Es meldeten sich übrigens auch, ebenso von dem baren Gelde wie von der Möglichkeit einer vorzeitigen Freilassung verlockt, zwei Verbrecher, und zwar waren es Neulinge wie wir auf C., denn sie gehörten zu dem Transport, der mit mir auf der »Mimosa« herübergekommen war. Der eine war der an Bord der »Mimosa« so jämmerlich zugerichtete Soliman, dessen Antlitz immer noch sehr entstellende Narben von seiner Verletzung trug und der bei Tag und Nacht weinte; das heißt, daß er aus dem damals zerrissenen Tränennasengang dauernd eine Menge Wasser verlor, das die chemischen Eigenschaften der Tränen hatte. Übrigens erkannte er mich trotz seiner halben Erblindung sofort wieder, fragte mit seinem ordinären, tränennassen Lächeln nach dem »süßen March« und schlug mir heimlich vor, daß er den ihm versprochenen Geldbetrag mit mir teilen wollte, wenn ich die Experimente »gnädig« einrichte.

Ich sagte nein. Er verstand ja.

Er, Soliman, konnte nicht begreifen, daß die Käuflichkeit Grenzen hatte. So erwartete er mit großem Gleichmut die Versuche, im Herzen davon überzeugt, ich würde ihm die echte Ansteckung ersparen, um mir den Judaslohn nicht entgehen zu lassen. Er war im Herzen fest entschlossen, mich seinerseits um das Geld zu prellen, das er mir zugesagt hatte. Er hielt mich für seinesgleichen und glaubte, einem Menschen seinesgleichen gegenüber sei alles erlaubt. Aber ich war ein anderer Verbrecher. Ich hatte gemordet. Aber nicht Menschenhandel betrieben wie er. Er wollte einen Betrüger betrügen, aber es kam nicht dazu.

Wir begannen diesmal die Versuche am »negativen Ende«. Zu beweisen war, (Axiom I), daß das Y. F. nur durch Moskitos übertragen werden kann.

Nur durch stegomyia fasciata übertragbar hieß, daß es nicht auf andere Weise übertragen werden könne.

Leuchtet dies ein? Man glaubte damals noch allgemein, daß das Y. F. durch die Kleider, das Bettzeug und die übrigen Gegenstände der Kranken übertragen wird. Oder es sollte gar die böse Luft (mal-aria) oder das als Trinkwasser verwandte Regen- und Zisternenwasser die Schuld tragen.

Die Frage sollte in den zwei Häuschen untersucht und gelöst werden. Die Häuschen hatten je vier Meter in der Länge, sechs in der Breite. Man kam durch eine Doppeltür hinein, die so eingerichtet war, daß keine Moskitos hineinschwirren konnten. Die Häuschen hatten zwei Südfenster, und zwar auf derselben Seite wie die Türen, so daß kein Luftzug hindurchblasen konnte. Dann wurde ein kleiner Ofen gesetzt, der, mit Holz geheizt, die Temperatur auch jetzt, in der kühleren Jahreszeit und zur Nacht, nie unter einundzwanzig Grad Celsius sinken ließ. Es wurden Wasserwannen aufgestellt, welche die Luft so erstickend feuchtwarm hielten, wie zur Regenzeit in der Mitte des Dschungels, im Herzen des Urwalds am Äquator. In dieses Haus trugen zwei freiwillige Helfer von der Küstenbatterie, (deren Heroismus dadurch auf eine besondere Probe gestellt wurde, daß sie bei den Anfangs-Experimenten Zuschauer bleiben mußten), einige dicht vernagelte Kisten. Dann wurden die zwei Sträflinge, Soliman und sein Kumpan, in ihre häßliche Behausung mit der schlechten Luft gebracht, man nahm in ihrer Gegenwart die Kissen, Decken und Bettücher aus den Kisten, beschmutzt von den ... wozu dies ausmalen? Man veranlaßte die zwei Sträflinge, sich zu entkleiden und sich in die beschmutzten Pyjamas zu hüllen, sich auf die mißfarbenen Tücher zu legen. Jetzt bleibt hier! Eßt hier! Schlaft hier – und sterbt hier? War das unser Ernst? Soliman warf mir erschreckte Blicke zu. Ich machte keine Kommentare zu diesen Vorbereitungen. Wir hatten während der nächsten Tage nichts zu tun, als die Leute in ihren schauerlich heißen, übelriechenden Gelassen wie Höllenhunde zu überwachen.

Nichts von den bekannten schrecklichen Erscheinungen des Y. F. stellte sich ein. Man hätte nur die Gesichter der zwei Verbrecher sehen müssen. Sie frohlockten nicht weniger als wir. In ihrer gleichbleibenden Temperatur, in der steigenden Gewichtskurve und in ihrem blühenden Aussehen gab sich der negative Erfolg der falschen These kund – also die positive Bestätigung des Axioms I.

Nach drei (nur durch ihre Langeweile qualvollen) Wochen konnte man diesen Versuch als abgeschlossen ansehen.

Jetzt überlegten wir uns folgende Frage: Ist dieses Experiment auch wirklich absolut beweisend? Gewiß, keiner der Gäste der Hütte a und b hatte das Y. F. bekommen. Aber woher konnten wir wissen, ob sie für das Y. F. überhaupt empfänglich waren? Der Kaplan im Y. F.-Hause war nicht empfänglich gewesen, wie es schien, auch Carolus war es wahrscheinlich nicht. Wir mußten also, ob gern oder ungern, die Gegenprobe machen und wir machten sie. Soliman, der weinende, hatte geglaubt, gerettet zu sein. Er hoffte nun auf die Freilassung. Übrigens hatte er auch hier seine Zeit nicht verloren. Er blieb der widerlichste Lüstling, in seinem Inneren genauso schmutzig wie die Y. F.-Pyjamas, die er trug. Sein Kamerad war zu bemitleiden.

Ich glaube, Soliman wollte im schlimmsten Falle, nämlich wenn er als Freigelassener weiterhin auf der Insel zu bleiben hatte, mit dem Kaschemmenwirt am Hafen halbpart machen und sich dort mit der Aussaugung der Sträflinge, auch er ein blutsaugendes Insekt, betätigen. Aber vorerst mußte er bleiben. Hinter dem Stacheldraht. Hier bei uns. Er hatte versprochen, er hatte viel Geld genommen, wir nahmen ihn beim Wort. Er verstand nicht viel, aber er ahnte etwas. Es war ihm alles unheimlich geworden, aber das bare Geld, die dicken Silbermünzen in kleinen Säcken zu je hundert verpackt, die Carolus vor seinen Ohren klingen ließ, reizten ihn zu sehr. Er nickte dem Generalarzt zu. Er zwinkerte mir zu. Ich sollte unseren Pakt nicht vergessen. Ich hatte keinen geschlossen.

Ich und Carolus setzten Moskitos, die wir durch den jungen Assistenzarzt im Y. F.-Haus inzwischen reichlich mit dem Blut von Kranken und Sterbenden hatten ansaugen lassen, mittels unserer alten Methodik an dem einen der zwei Menschen an, nämlich Soliman, und wir spritzten dem anderen das infektiöse Blut eines Patienten im Y. F.-Hospital direkt unter die Haut.

Beide erkrankten, wie es dem Axiom entsprach, pünktlich und schwer. Soliman starb noch vor der Erreichung des fieberfreien Intervalls. In seinen Delirien verfluchte er mich und sich und die Welt. Auch die Leiden einer gemeinen menschlichen Kreatur können sehr ergreifend sein. Er tat mir leid. Aber es änderte nichts.

Die Matrosen trugen ihn zu Grabe, sie verscharrten ihn an der Grenze des Camp Walter. Der andere war zwar schwer angesteckt, aber das Schicksal wollte ihm wohl und er kam davon. Er bekam später außer seinem eigenen Lohn auch das Geld, das für Soliman bestimmt war, und hat wohl auch dessen Stelle beim Kaschemmenwirt eingenommen. Er lebt jetzt dort und ist gesund und will seine Familie nachkommen lassen, wenn es die Verwaltung gestattet.

Nun war noch ein Gegenbeweis – und ein Heilversuch fällig, und dies experimentierten wir an den Matrosen, die sich uns in der Generosität ihrer unbekümmerten, ideal gesinnten Jugend zur Verfügung gestellt hatten.

Bis dahin lebten wir, Carolus, die Matrosen und ich, in einer Art Familie zusammen. Die Langeweile war tödlich, aber man starb nicht daran. Carolus erzählte uns seine Taten und Abenteuer, oder besser gesagt, die seiner Kinder und Enkel, unter denen besonders die drolligen Aussprüche seiner kleinen Nichte eine große Rolle spielten, die ihn mit ihrer Bonne seinerzeit bis in die Hafenstadt zur »Mimosa« begleitet hatte. Von March sah und hörte ich nichts. Sowohl Carolus wie mich beschäftigten die Zukunftsaussichten unserer Entdeckung. Es waren freudige Gedanken, wir malten uns alles herrlich aus, sprachen aber nicht darüber, um es nicht zu »beschreien«, sondern grinsten uns nur des öfteren an.


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