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VI

Ich geriet jetzt sowohl durch meine großen Aufwendungen für meine Arbeit und für M. (das junge Mädchen), als auch durch Spielverluste in eine gewisse, anfangs nicht besonders drückende finanzielle Schwierigkeit. Auch der Haushalt kostete Geld, meine Einnahmen waren nicht bedeutend, mein Vermögen gleich Null. Aber es gelang mir, Geld aufzunehmen, die Herren aus dem Spielklub kannten eine ganze Anzahl von ziemlich soliden Geldvermittlern, und eine Zeitlang zahlte ich die kurzfristigen Verbindlichkeiten, die bei dem einen Geldverleiher hatte, mit den Anleihen, die ich bei einem zweiten, respektive einem dritten machte.

Hätte ich wenigstens Ruhe gehabt! Ich brauchte jede Minute meiner Zeit. Ich drängte meine Frau dazu, abzureisen. Sie sträubte sich. Ihre Zärtlichkeit begann von einem Tag auf den anderen einen verzweiflungsvolleren Charakter anzunehmen, nur selten drang ihr natürliches, frohes, sonniges Wesen durch. Meine Stieftochter schlängelte sich, nachdem sie sich eine Zeitlang stolz von uns abgewendet hatte, wieder in den Vordergrund. Sie wich nicht von ihrer Mutter und enthielt sich nicht der immer wiederholten Versuche, meine Frau mir abspenstig zu machen. Aber die alternde, liebessüchtige Frau mit den strahlenden, hellgrauen Augen schloß sich nur enger an mich an, sah mir alles an den Augen ab, versuchte womöglich den ganzen Tag in meiner Nähe zu sein.

Ich hatte meine Praxis fast vollständig vernachlässigt, hatte im Verlaufe meiner wissenschaftlichen Untersuchungen Verabredungen wichtiger Art vergessen, hatte, um nur ein Beispiel dieser Art zu nennen, einen alten Patienten zur Operation bestellt, war aber nicht zur bestimmten Zeit bei ihm in der Klinik erschienen. Mit welcher Mühe gelang es mir, ihm nachher einzureden, daß ich nur sein Bestes wolle, daß eine intensive Behandlung mit Radiumbestrahlungen viel bessere Dienste leisten würde als ein blutiger Eingriff. Er glaubte schließlich alles und starb friedlich in seinem Bette statt auf dem Operationstisch. Aber wer weiß, vielleicht hätte ihm meine »leichte, gesegnete Hand« doch noch ein paar Lebensjahre verschafft. Dabei hing gerade dieser alte Mensch an mir. In seinem Testament bedachte er mich zwar nicht mit einem ordentlichen Legat, aber doch mit Lobsprüchen und rühmte besonders mein »liebendes Herz«. Nun, Friede seiner Asche. In meinem »liebenden Herzen« gab es wenig Frieden. Und keine Liebe.

Mein Wartezimmer wurde leer und leerer mit jedem Tag, die telephonischen Anrufe bezogen sich immer mehr auf reine Privatangelegenheiten, das heißt, sie kamen von meiner teueren, goldblonden Geliebten und deren Schwester, mit welcher mich in letzter Zeit »zärtliche Bande« verknüpften, und dann bedrängten mich die Gläubiger, die auf einmal Schwierigkeiten machten. Nichts war natürlicher, als daß ich die Lücken in meinem Budget durch Spielgewinne auszufüllen versuchte, war ich doch in früheren Zeiten vom Glück im Spiel begünstigt gewesen. Aber jetzt war leider nicht davon die Rede. Vielleicht kam ich bereits zu abgekämpft in den Klub, denn die Experimente waren mir zu dieser Zeit von höchster Wichtigkeit und erforderten das angespannteste Interesse und die höchste Sorgfalt. Nichts ist beschämender für einen Experimentator, als wenn er mit seinen Ergebnissen vor die ärztliche Öffentlichkeit tritt, sich der Kritik durch scharfsinnige, skeptische Nachprüfer aussetzt und wenn dann seine Resultate nicht der schärfsten Kritik standzuhalten vermögen. Das war unbedingt zu vermeiden. Leider stimmte noch lange nicht alles, wie es sollte.

Ich hatte, zuerst in den Kellerräumen, dann in anderen Lokalitäten meiner jetzt von Menschen entvölkerten Privatklinik Käfige mit Tiermaterial aufstellen lassen. Die Klinik war Eigentum meiner Frau. Sie durfte aber natürlich davon nichts wissen. Ich fingierte vor ihr einen regen klinischen Betrieb, ich ließ mir selbst zum Schein ärztliche Honorare zugehen, ich brachte meine Geliebte und deren Schwester (die beiden vertrugen sich sehr gut miteinander) dazu, mich, als wären sie Patienten, die meine Hilfe verlangten, telephonisch anzurufen, wenn ich von meiner Frau fort wollte. Und wenn auch diese Täuschung, wie viele andere ähnlicher Art, meiner leichtgläubigen Frau gegenüber ohne Schwierigkeit durchzuführen war, zufrieden war ich nicht. Eine nervöse Unruhe, das Vorgefühl einer Katastrophe verließ mich nicht. Meine Reizbarkeit stieg von Tag zu Tag, ich schlief nie richtig, war nie richtig wach, und mehr als einmal Heß ich meine Wut an meiner unschuldigen Frau aus.

Aber wenn sie in mir, durch ihre Tochter und vielleicht auch durch meinen Vater (er haßte mich, seitdem ich ihn einmal spaßhalber mit dem Ehrentitel eines »liebenden Herzens« ausgezeichnet hatte) aufgeklärt, ein »Übel« sah, so widerstrebte sie diesem Übel nicht. Getreu und mehr als getreu den Worten der Schrift (sie war gläubig und tausendmal habe ich sie um diesen stupiden Glauben beneidet) hielt sie mir die Unke Backe hin, wenn ich ihr die rechte geschlagen hatte. Noch sehe ich das Gesicht der rapid alternden Frau vor mir. Sie hatte dieses von der Natur verpfuschte Gesicht, in das durch ein reges Mienenspiel früher immerhin etwas Leben und sympathische Bewegung gekommen war, aus Eitelkeit, um wenigstens noch irgendwie auf mich wirken zu können, kunstvoll emaillieren lassen. Jetzt war es glatt wie der Kopf einer Statue aus Butter, die ein wenig in der Sonne gestanden war, ein trübselig grotesker Anblick. Einmal preßte sie ihr Gesicht in ihrem Liebeswahn eng an mich. Ich versuchte, es mit meiner Hand fortzustoßen, vergeblich. Ich wiederholte den Versuch der Abwehr, den Ballen meiner Unken Hand gegen ihre Augenhöhlen gepreßt, aus denen Tränen in Massen kamen. Plötzlich fühlte ich, wie unter dem Tränennaß etwas leicht borstiges die Innenfläche meiner Hand kitzelte. Ich machte erschrocken Licht (alles dies spielte sich nachts in dem gemeinsamen Schlafraum ab), und was hielt ich in der Hand? Künstliche Wimpern, das neueste Erzeugnis der hauptstädtischen Friseurkunst, Bürstchen von gewehten Härchen, die in die Supraorbitalgruben auf ingeniöse Weise eingepaßt wurden. Und das bei einer Frau von über fünfzig Jahren, der Mutter einer erwachsenen Tochter! Ihr faltiger Hals (den Hals konnte man nicht emaillieren und die Furchen konnte man nicht ausfüllen) glänzte wie gekniffenes, geknittertes Pergament, besonders an den Seiten. Auch das hatte seine Gründe. Es waren leichte Verbrennungsnarben, da sie sich einmal starkes Parfüm in Unmengen auf den Hals geschüttet und sich dann unvorsichtigerweise der künstlichen Höhensonne ausgesetzt hatte, welche ihr die Essenz in die Haut geradezu eingebrannt hatte.

Wäre sie doch geblieben, wie sie war! Ich hätte vielleicht die Mutter in ihr gesehen. Doch das war ihr verhaßt.

Sie begriff nicht, daß sie als Frau ausgespielt hatte, und daß eine Burgruine mit elektrischem Licht und Zentralheizung etwas Unsinniges ist. Eines Abends, als ich nach neuerlichen großen Spielverlusten heimgekehrt war, empfing sie mich mit merklicher Kühle. Für mich ein beruhigender Moment, der nur hätte länger andauern müssen. Aber sie drängte sich, immer noch schmollenden Gesichts (soweit die emaillierte Gesichtsmaske noch einen Ausdrucks wie des Schmollens fähig war) an mich und wollte haben, daß ich sie frage, warum sie böse sei. Gerade an diesem Tage waren aber meine Gedanken überall, nur nicht bei ihr. Meine Versuche wollten kein positives Ergebnis zeitigen. Und dazu: Die Geldnot stieg. Aber je mehr ich schwieg, desto mehr trieb es sie, zu sprechen, je kühler ich wurde, desto leidenschaftlicher sie. Schließlich stellte es sich heraus, daß sie erfahren hatte, daß ich die Praxis vollständig vernachlässigt hätte, daß die sauberen Räume unserer Klinik mit Tiermaterial infektiöser Art verseucht worden seien. Wie war sie darauf gekommen? Nur durch ihre verfluchte Liebe zu mir! Meinen Assistenten hatte ich, um Geld zu sparen, entlassen. Das wußte sie und hatte daran gedacht, mich durch einen jungen Arzt, den Bekannten ihrer Tochter, zu entlasten, und sie hatten zu dritt einen Rundgang durch die Räume gemacht, an denen das Eigentumsrecht juristisch ihr zustand.

Ihre Überraschung war begreiflicherweise groß. Nie hatte sie mir eine Lüge zugetraut. So liebte sie mich und so kannte sie mich! Und jetzt? Sie erregte sich, sie öffnete weit ihren Mund und zeigte die künstlichen, in Goldrändern gefaßten, schreiend weißen Zähne, ihr kostbarer Morgenrock klaffte auseinander, sie stampfte auf den Boden, und der dünne Gummistrumpf, den sie unter dem fleischfarbenen Seidenstrumpf um ihre Unterschenkelkrampfadern gespannt trug, riß zischend ein.

Sie war im Recht, ich im Unrecht. Und dennoch erregte sie meine Wut, ich hatte sie satt, ich ließ meine Verzweiflung an ihr aus, das Mißlingen meiner experimentellen Pläne, meine vergiftete Jugend, alle Fehlschläge meiner Lebensführung. Ich warf mich auf sie, ich öffnete endlich meinen Mund zu den gemeinsten, beleidigendsten Reden, ich schloß meine Fäuste, ich tat ihr seelisch wie körperlich alles an, was ein Mensch dem anderen ohne dauernde Schädigung anzutun imstande ist – brutal, aber im Rahmen des Gesetzes.

Sie krümmte sich vor Schmerzen, in ihrer emaillierten Maske zuckte es, wie ein Fischleib zuckt, aber plötzlich trat auf ihre Lippen ein süßliches, sinnliches Lächeln, sie warf sich mir zu Füßen, und als ich sie fortschob, solchen theatralischen Szenen abgeneigt, kroch sie mir nach, sie begann verschämt zu kichern, und je viehischer ich sie trat, desto seliger wurde sie.

Und das Grauenhafteste am Grauenhaften war, daß sich ihre sinnliche Erregung auf mich überpflanzte, daß sie mich sexuell überwältigte. Häßlich, alternd, mit goldumrandeten Porzellanzähnen, emailliertem Gesicht, faltiger, parfümverbrannter Haut – was nützt es, wenn ich ihre körperliche Unvollkommenheiten bis zu dem sengerigen Geruch ihres Leibes alle aufzähle sie war stärker als ich. Ich, der ich endlich hatte mit ihr brechen wollen, ging mitten in meinen Mißhandlungen in ihr auf. Nie vorher, weder in Verbindung mit meiner schönen, jungen Geliebten, noch mit ihrer noch schöneren, unberührten Schwester, empfand ich das, was jetzt mich bis in die letzten Fasern, bis zum Schaudern tief, durchdrang.

Mein Vater hatte mich gelehrt, einem Lebewesen kalt den Garaus zu machen. Jetzt erlebte ich etwas nach, was er in meinen jungen Jahren, vielleicht im Alter von dreizehn Jahren, in mir aufgerührt hatte. Wollustgefühle, widerliche Tiere und Tod spielten dabei mit. Ich kann es jetzt nicht erklären. Aber weshalb dachte ich jetzt, gerade jetzt an ihn? »Liebte« ich nicht meine Frau? Oder haßte ich sie und hing, immer noch, und mehr denn je, an ihm? Meine Frau – doch wozu davon reden?

Ihr Hündchen heulte.


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