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VIII

Trotz der Tröstungen dieser himmlisch schönen Nacht verbrachte ich die auf unseren Spaziergang folgenden Stunden schlaflos, vielleicht weil ich mich krampfhaft anstrengte zu schlafen, um ja in der kommenden Zeit alle Kräfte bereit zu haben.

Ich maß am nächsten Tag, Dienstag, zwei- bis dreimal die Temperatur, fand aber an mir während der ersten vier Tage nichts Besonderes.

Auch Walter war unruhig. Die erste Serie der Versuche war gemacht, ein Erfolg war bis jetzt nicht eingetreten. War wieder alles vergeblich? Ich konnte es nicht glauben und redete Walter gut zu. Wir durften nicht nachlassen. Wenn uns statt fünf sogar fünfzig Versuche fehlgeschlagen wären, mußte man immer wieder von neuem beginnen.

»Aber wird es denn möglich sein?« fragte er mich und wandte seine großen, grauen, ernsten Augen von mir ab.

»Warum denn nicht«, antwortete ich ihm. »Es muß.«

Er schwieg lange, ging schwankenden Schritts im Zimmer hin und her, und, war es der Einfluß des Alkohols, (er roch diskret, aber deutlich nach Whisky), war es die Stimmung der Stunde, er begann seltsamerweise aufzutauen und mir von seinen Sorgen und Kümmernissen mit dem »liebenden Herzen« zu erzählen, von denen mir ja bereits mehr bekannt war als er ahnte. Nachher sprach er auch über die Befürchtungen, die er über meine Zukunft hegte. Zu gern wollte er etwas tun. Ob er mich für ungerecht verurteilt hielt, darüber sprach er nicht.

»Bis jetzt hat die Gefangenenverwaltung Sie und Ihren March noch nicht angefordert. Der Arm Ihres Vaters reicht weit. Wird er Minister, ist er so gut wie allmächtig, aber er ist es noch nicht, und im Notfalle könnte es zu lange dauern, bevor Ihr Hilferuf ihn erreicht. Lassen Sie sich nicht zuviel Zeit. Bitten Sie ihn! Fassen Sie ihn! Sie kennen C. nur vom Hörensagen. Schreiben Sie ihm. Besser noch, übergeben Sie mir einen Brief an ihn. Geben Sie ihn mir offen ... aber wenn Sie der sind, für den ich Sie halte, werde ich ihn nicht lesen. Aussicht auf Erfolg haben? Mindestens doch eine ebenso große wie unsere Versuche hier. Ich werde aus eigenem ein paar Worte hinzufügen, wenn Sie es wünschen. Er kann viel. Und sollte es das Schicksal so wollen, daß ich in absehbarer Zeit dem Wunsch meiner Familie folge und nach Europa zurückkehre, kann ich vielleicht Ihr Schreiben persönlich überbringen.«

»Woran denken Sie«, fragte ich entsetzt. »Nach Europa? Sie? Dem Wunsche Ihrer Familie folgen? Jetzt?!! Halten Sie es denn für möglich, daß wir uns getäuscht haben? Daß alles, was wir hier versuchen wollen, vergeblich ist?«

»Ob ich etwas für möglich oder für unmöglich halte, ändert an den Tatsachen nichts«, sagte er resigniert. Er sah müde, alt, verbraucht aus. Er erinnerte mich an meinen Vater, und dabei war er jünger als ich. Er sagte, mit Anstrengung seine Gedanken konzentrierend:

»Vor vierzehn Tagen haben wir mit den Stichversuchen durch die infizierte Mücke begonnen. Bis jetzt sind wir alle gesund und bei bestem Wohlsein, soweit es das höllische Klima hier erlaubt.« Er wollte noch etwas sagen, aber March war zu uns getreten und er brach ab.

Ich wollte gern hören, was er mir noch zu sagen hatte, (offenbar betraf es seine zerrütteten Vermögensverhältnisse, und er dachte vielleicht an irgendeine Verbindung mit meinem Vater als einem sehr reichen Mann und kommenden Minister), mir fielen aber plötzlich die Augen zu, obgleich es erst Mittag war. Ich schob diese sonderbare, sehr lastende Müdigkeit auf den Umstand, daß ich in den letzten Nächten fast kein Auge geschlossen hatte. Ich fand und fand aber auch dann keine Ruhe, als ich mich auf mein Bett legte, sogar, was immer streng verpönt war, in den Kleidern, mit den Schuhen.

March kam bald nach mir hinab, sah mich da liegen und zog mir die Schuhe aus, oder besser gesagt, er wollte mir die Schuhe ausziehen, denn ich stieß ihn jäh fort, von krankhafter Gereiztheit ergriffen. Er schrie hoch und leise auf, und dieser alberne Kleinmädchenschrei empörte mich. Ich setzte mich auf, starrte ihn wütend an. Dann überkam mich eine krankhafte Lachlust und ich lachte los, als erbräche ich mich, mit offenem Mund, zitternden Händen, heraushängenden Augen. Mir wurde angst. Noch während ich lachte, befahl ich ihm, von oben mein Thermometer zu holen. Ich machte die Messungen an mir regelmäßig nach dem Waschen und Frühstücken sonst stets oben im Laboratorium. Er lief schnell hinauf und brachte mir sehr bald das Thermometer und mein Merkblatt. Auch dieser Umstand, daß er ohne Auftrag das Merkblatt mitgebracht hatte, erbitterte mich. Ich wollte ihn anschreien, beherrschte mich aber und steckte mir das Thermometer stumm in den Mund. Ich maß meist so die Temperatur, nachdem ich das Thermometer gründlich mit Alkohol gereinigt hatte. Im Räume war es dunkel, es roch nach Öl, nach Essig, nach Staub und – nach Ratten. Es war auf dem Thermometer die Quecksilbersäule nur schwer zu erkennen. March zündete ein Taschenfeuerzeug an. Ich zuckte vor dem grellen Licht zusammen. Er strich mit seiner kühlen, großen, trockenen Hand über meine Stirn, so sanft er konnte. Trotzdem tat er mir weh! Und für sein Lachen, mit dem er losplatzte, hätte ich ihn schlagen mögen!

Die Temperatur war normal.


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