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XIV

Ich war in meiner Heimatstadt. In meinem Hause. Spät kehrte ich nach einem Gange, einem Krankenbesuch bei einer älteren Dame, zurück. Ich hatte in der Stadt zu Abend gegessen und nahm an, daß meine Frau, von der Reise ermüdet, inzwischen schon lange schlafen gegangen sei. In solchen Fällen übernachtete ich manchmal, um ihren leisen Schlaf nicht zu stören, auf einer bequemen Lederkouchette im Herrenzimmer meiner Wohnung. Auch ich war außerordentlich müde. Der Barometerstand war für diese Jahreszeit, Mitte August, ungewöhnlich niedrig. Die Luft abnorm weich, erstickend schwül. Feucht, aber ohne Neigung zum Regen. Bevor ich schlafen ging, nahm ich das kleine Glasgefäß mit dem Toxin Y. aus der Tasche und stellte es abseits auf die Spiegelplatte meiner Vitrine. Aber ich konnte nicht einschlafen. Auch meine Frau hörte ich plötzlich in ihrem gerade über dem Herrenzimmer liegenden Zimmer hin und her gehen. Sie war jetzt erwacht oder noch nicht eingeschlafen. Sie sprach laut. Mit sich? Ich war leise in das Badezimmer gegangen. Die Schritte im Zimmer meiner Frau hatten jetzt aufgehört. Auch das Geräusch ihrer Stimme. Eben wollte ich mich zur Ruhe begeben, als sie auf dem Treppenabsatz erschien, in ein lachsfarbenes, mit Glasperlen reich besticktes, kostbares Schlafgewand gehüllt, ihren schönen Schmuck noch an dem Hals, an den Ohren, Handgelenken und Fingern. In ihren Augen lag ein Ausdruck, der mich stets in der unbegreiflichsten Weise sowohl angezogen als auch abgestoßen hat. Eine hündische Zärtlichkeit, eine Wollust, geschlagen zu werden. Ich zog die Schultern zusammen. Ich senkte den Kopf. Ich ließ es sie merken, daß ich nur den einzigen Wunsch hatte, allein zu bleiben. Sie hatte, in dem Herrenzimmer die Lichter andrehend, das aufblitzende Glasgefäß mit dem Toxin bemerkt. Sie hielt es für Medizin. Morphium. Sie stellte an mich die Bitte, ihr eine Injektion zu machen, von der sie eine gute Wirkung erwartete. Ich empfand die tödliche Ironie des Schicksals so stark, daß auch ich lächeln mußte. Das versetzte sie sofort in eine bessere Laune. Sie umfaßte mich, ihren sinnlichen Trieben von neuem Untertan, mit ihren kurzen, rosig gepuderten Ärmchen, sie schleppte mich mit sich nach oben in unser Schlafzimmer. Sie zog die Vorhänge vor und umarmte mich. Sie sank zu meinen Füßen zusammen und ich spürte das warme Naß ihrer Tränen an meinen Unterschenkeln, die sie fest umarmt hielt. Ich beugte mich zu ihr nieder, von einer mir sonst fremden Regung des Mitleids ergriffen. Sie benützte die Gelegenheit, langte mit ihrem rechten Arm neben mir empor und drehte das Licht der kleinen Nachttischlampe wieder aus. Bei dieser Bewegung kam sie mit dem Verschlußstück ihres kostbaren, edelsteinbesetzten Armbands sehr unsanft an meinen rechten Oberarm und riß nicht nur den Ärmel meines Hemdes mit der Manschette bis fast zur Schulterhöhe empor, sondern kratzte auch meine Haut an einer Stelle so heftig, daß ich vor Schmerz zusammenzuckte. Ein paar Bluttropfen flossen aus meiner kleinen Wunde. Ich lächelte bloß überlegen darüber, und sie war es, die verzweifelt war, ich war es, der sie beruhigte; ich war ruhig geworden. Ich tröstete sie, die, den Blick immer flehend an mich geklammert, von mir nicht wanken und weichen wollte, bis sie die Mattigkeit überwältigte und sie in einen tiefen Schlaf versank. Ich hielt mich aufrecht. Meine kleine Wunde blutete nicht mehr. Eine Schramme; nicht mehr. Ihr kostbares Armband lag blitzend auf dem persischen Teppich inmitten eines Ornaments, das eine Blume oder einen Drachen darstellte. Hier wurde der Traum undeutlich. Ich sah mich noch lange da sitzen, mit ihrem Kopf in meinem Schoß und zerstreut mit dem Smaragdarmband spielend.

Ich schreckte auf. »Bleiben Sie bitte ruhig«, sagte Walter.

Er stand immer noch zu meiner Linken, Carolus immer noch zu meiner Rechten. Das Licht brannte immer noch. Keine Schwester war zu sehen. Auf dem Gestell vor mir waren nicht mehr und nicht weniger als nur zwei Röhrchen mit umhersurrenden Moskitos vorhanden. Das dritte Insekt hockte, mit den Hinterbeinen wippend, bucklig wie alle seiner Sippe, auf meinem Oberarm und schickte sich gerade zum Stechen an. Ich zuckte zusammen. Ich wollte nicht. Ich mußte.

Als das Insekt dieses sein Werk getreulich vollbracht hatte, wurde es von Walter in sein Reagenzröhrchen auf das Holzgestell befördert, und das vierte Insekt wurde mir angesetzt. Ich stöhnte. Alles, was ich eben breit geschildert habe, war in dem Bereiche weniger Sekunden vor sich gegangen. Ist auch die Zeit nur ein Traum?

March trat eben ein, er brachte noch eine neue Ladung hungriger Moskitos und transportierte die vollgesogenen in das Laboratorium zurück. Walter schien den Satz fortzusetzen, den er eben begonnen hatte. »Zweitens habe ich meiner Frau telegraphiert, daß wir nun doch weiter gekommen sind und daß ich sie noch um etwas Geduld bitte.« Carolus, an den diese Worte gerichtet waren, antwortete nicht. Er schüttelte nur bedächtig sein weises Haupt und nickte dann. Ja oder nein? Am besten beides.

Carolus machte seine Handreichungen so geschickt und anstellig, als er nur konnte. Seine Gedanken waren nicht bei mir. Ich sah ihn an. Er mich nicht. Weiß der Himmel, bei welchem schwierigen Kapitel der medizinischen Statistik sie weilen mochten.

Ich war sehr verzweifelt. Ich durfte mich nicht rühren und mußte mich auch beim Erbrechen sehr beherrschen. Die Abimpfung meines Blutes auf fünfundzwanzig bis dreißig durstige Moskitos dauerte fast bis Mitternacht. Sie gehörte zu dem Programm unserer Experimente.

Die Art Traum, die ich eben erzählt habe, war aber in diesem Programm nicht vorgesehen gewesen.


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