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V

Da das erste Experiment teilweise schon zu Beginn fehlgegangen war und die Haut des guten March, die dieser so mutig zu Markte getragen, am Abend des ersten Tages keinen Einstich von einer Mücke aufzuweisen hatte, mußten wir, was niemals sehr angenehm ist, mitten in der Arbeit unsere Dispositionen ändern. Auf Carolus konnte man rechnen, soweit man wollte. Er bemühte sich denn auch nach Kräften, seinen Eigenwillen aufzugeben und sich dem Diktat zu fügen. Aber wer sollte diktieren, Walter oder ich? Wäre Walter noch der gleiche gewesen wie in seinen Jünglingsjahren, als er an jenem Junivormittag, den ich beschrieben habe, auf der Bank des Vorlesungssaales neben mir saß und dem mißlungenen Hundeexperiment den einzig richtigen Abschluß gab, ich hätte ruhig meine Hände in den Schoß gelegt, oder ich hätte diese Hände und Arme in aller Gottergebenheit zu dem Stich der Stegomyiamücke hingehalten. Aber ich zweifelte, ob Walters Energie noch ungebrochen war. Ich wußte nicht, ob er sich soweit von dem Schwergewicht seines weichen Herzens und der kleinbürgerlichen Atmosphäre seiner Frau freigemacht hatte, um souverän seine Maßnahmen zu treffen.

Ich hätte mich der Disziplin sofort gefügt, hätte ich nur sicher gewußt, daß System und Methode hinter Walters Anordnungen standen. Aber es schien mir, als ob er schwanke. Nicht, daß er sich geweigert hätte, mitzuarbeiten: aktiv als untersuchender Bakteriologe, passiv als Experimentalobjekt. Dazu war er zu sehr Pflichtmensch; er hatte uns sein Wort gegeben. Er hielt es. Aber wenn ich ihn sah, wie er zum Fenster des Laboratoriums auf die See hinaussah, wo sich bei schwerem Wellengang wieder ein kleiner Küstendampfer durch die zahlreichen felsigen Inseln an den versumpften Hafen der Stadt durcharbeitete und wie sehnsüchtig (und wie vergeblich) er Nachrichten von den Seinen erwartete, da kam ich zu dem Entschluß, selbst zu kommandieren, mochte ich auch nur der deklassierte Rechtsbrecher und er der makellose, ideale Charakter sein. Darauf kam es im Augenblick nicht an.

Die Probe, die ich auf das Exempel machte, Stimmte denn auch. Ich schlug den Kameraden vor, von der ursprünglichen Disposition radikal abzugehen. Bevor ich noch ausgeführt hatte, worin diese Änderung meiner Ansicht nach bestehen solle, stand Walter zuckenden Mundes auf, ging, immer mit dem Blick auf den Küstendampfer vor den Fenstern hin und her und sagte schließlich zu mir, ich solle disponieren, schön. Dann aber auch die Verantwortung für alles tragen. Ja natürlich! Warum nicht? Immer recht und unter allen Umständen. Arbeiteten wir innerhalb des Gesetzes, war es mir recht. Traten wir aber mit unseren Menschenexperimenten über den Rahmen des Gesetzes, ich war auch dann dabei. Seit die Portugiesin tot war, konnte mich nichts mehr schrecken. Walter war erstaunt, daß ich diesen Vorschlag sofort annahm. Und es blieb dabei.

Es war mir nur eine sonderbare Überraschung, daß er mir die Usurpation des Oberkommandos, die er mir doch nahegelegt hatte, nachher doch zum Vorwurf machte. Nicht, daß er meine Dispositionen gestört hätte. Dazu waren sie zu sachlich, zu genau den Tatsachen angepaßt. Aber er zog sich im Privatleben von mir zurück. Er gab mir nicht mehr die Hand. Er redete mich nur mit dem Worte »Herr« an, also weder mit meinem alten akademischen Titel, (den ich doch nur für die dumme Welt verwirkt hatte, nicht aber für ihn, der meine Fähigkeiten als Experimentator gerade jetzt anerkannte), noch auch mit meinem Namen Georg Letham. Aber wozu sich über solche Kleinigkeiten den Kopf zerbrechen? Ob er mich jetzt von der gemeinsamen Tafel ausschloß und mich zwang, nur in Marchs oft kindischer Gesellschaft unten im Essig- und Ölraum meine Mahlzeiten hinunterzuschlingen, bei künstlichem Licht, dafür aber in aller Ruhe trotz aller Störungsversuche des allzu lustigen March eines meiner zwei Bücher lesend – – oder ob er meinen ahnungslos freundlichen Gruß nur durch ein Wegsehen beantwortete, viel wichtiger war die Änderung der Schlachtordnung, wenn ich so sagen darf, während der Schlacht, was immer seine Bedenken hat, wenn es sich auch nur um eine Mückenschlacht handelt. Ich ordnete an, daß erstens die Reihenfolge geändert würde, in der wir bei der Impfung darankommen sollten. Jetzt wollte ich der letzte bei dieser ersten und zugleich wichtigsten Versuchsreihe sein. Man wird mich deswegen nicht feige nennen dürfen. Ich behaupte, es war eine viel stärkere seelische Anspannung notwendig, auf das Geimpftwerden zu warten. Ich habe es erlebt. Die Wartezeit hat mich beinahe zerbrochen. Jeder Mensch, der vor einer wichtigen, gefährlichen Entscheidung steht, wird es am liebsten haben, daß es sogleich losgeht, wenn es schon sein muß.

Aber ich wußte, warum ich mich aufsparte. Ich mußte die Anordnungen bis in die unscheinbarste Einzelheit treffen und alles andauernd überwachen, bevor ich mich der Krankheit auslieferte. Ich mußte alles, am besten schriftlich, so festlegen, daß auch nach meinem Hinscheiden oder während meiner Fiebertage die Untersuchung in systematischer Weise ihren Fortgang finden könne.

Die zweite Änderung bestand darin, daß wir die Überimpfung durch Mückenstiche in Zwischenräumen von mindestens zwei Tagen, nicht, wie bisher beabsichtigt, in Intervallen von höchstens vierundzwanzig Stunden vornahmen. Wir waren wenige. Man mußte das Material ausnützen.

Die mit Blut getränkten Mücken wurden jetzt einzeln in ihren Gläsern gehalten. Später setzten wir immer Tiere, die den gleichen Versuchsbedingungen entsprachen, zueinander und bezeichneten die Glasgefäße genau durch Anschriften mit Fettstift.

Durch die Glaswände der Röhrchen sahen wir sie jetzt teils in ihrem engen Kerker umherschwirren, aber nur in ganz steilen Spiralen sich nach oben und unten bewegen, teils unten in der Kuppe, ruhig mit den Hinterbeinen wippend, dasitzen. Wir fütterten sie, aber nur mit sehr geringen Mengen von Zucker, damit sie ihren Appetit auf Menschenblut behielten. Durch Zucker oder dergleichen konnte er übrigens doch nie befriedigt werden, Blut lockte sie mehr als alles andere, da sie echte Blutsauger waren, besonders die Weibchen, die wir zu den Experimenten auserlesen hatten.

Diese Versuchsanordnung bewährte sich. Am dritten Tag nach Beginn des ganzen Unternehmens wurde endlich March gestochen und zwar von drei Exemplaren nacheinander und sehr ausgiebig. War es, weil er Obst in Massen gegessen hatte, oder war es, weil die Kücken ausgehungert waren, oder deshalb, weil sie wieder Blut haben wollten, denn sie hatten ja leider in ihrem Leben erfahren, was Hunger ist und was Blut ist, – – einerlei, sie konnten sich von seiner weichen, blond umflaumten Haut nicht trennen, sie sogen und sogen, mit den Antennen sich fächelnd, und wären vielleicht am liebsten bis zum Schluß ihrer Tage auf dem schwellenden Oberarm des hier in Gefangenschaft Fett ansetzenden March verblieben. March hatte nämlich trotz der tropischen Glut an Gewicht zugenommen, ebenso Carolus, während Walter und ich abnahmen. Das spielte keine Rolle, solange wir nur überhaupt am Leben blieben.

Am fünften Tage ließen wir die Mücken an Carolus stechen, am siebenten am Geistlichen, am neunten war Walter an der Reihe.

Er hatte nun endlich mit irgendeinem Schiff Nachricht von seiner Gattin erhalten. Aber er verschwieg uns, was der dicke Brief enthielt. Oder war es der Brief seines Anwalts? Unsere Sorge war es nicht. Aber wenn die Mücke oder ihr Appetit einen Maßstab für sein »süßes Blut« abgab, mußte man sich sehr über die Frau beklagen, die ihm sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes verbitterte. Die Mücke saß mißmutig auf seinem abgemergelten Oberarm, wetzte mit dem Kopfe hin und her, wippte mit dem letzten Beinpaar und wollte trotz ihres Hungers um keinen Preis der Welt anbeißen. Als uns die Sache zu lange dauerte, brachten wir sie durch ein Tröpfchen Chloroform um und setzten an ihre Stelle ein anderes Tierchen, das offenbar ausgehungert war wie ein Löwe in der Wüste. Sie stürzte sich auch, mochte das Blut des armen Walter bitter oder süß sein, auf den Arm, bohrte ihren Stachel hinein und sog sich voll, so daß ihr Hinterleib wie ein kleines Rubinchen anschwoll. Sie nahm also Blut, gesundes Blut, zu sich. Gab sie aber bei diesem wonnevollen Saugen auch welches ab? Krankes? Solches, das die Keime des Y. F. in Reinkultur enthielt? Man mußte es als ziemlich sicher annehmen, wenn unsere logisch aufgebaute Theorie richtig sein sollte. Blut geben, Blut nehmen – nur so konnte sich die Krankheit nach unserer Theorie verbreiten. War es so? War es nicht so? Kein Spieler hat mit größerer Spannung darauf gewartet, wohin die Roulettekugel rollt. Schließlich rollte ja unser bißchen Leben mit.

Aber bis jetzt waren alle vier geimpften, das heißt, von den mit Y. F.-Blut geschwängerten Mücken gestochenen Männer gesund und heil wie Fischlein im klaren Bach.

Ich zitterte vielleicht um mein Leben. Sicherlich aber um unseren Plan.


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