Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII

Welche Wonne wäre es mir in alten Zeiten gewesen, den Schicksalsgott zu spielen! Nun hatte es stark an Reiz verloren. Ich kehre bescheiden zu dem alten Kaschemmenwirt zurück. Mit seinen fiebrig glänzenden Rattenäuglein sieht er mich frech und ängstlich an. Er, der doch in achtzehn Jahren auf C. wahrhaftig abgebrüht sein sollte gegen alle Schrecknisse dieses Erdenlebens, zittert vor nichts so sehr als davor, sich hier am Y. F. anzustecken. Will er denn ewig leben? Aber es ist für das Wohl der schönen Stadt C. genau das gleiche, ob er wieder von hier fortrennen darf oder bleiben muß. Da man nicht im entferntesten weiß, wie sich das Y. F. fortpflanzt, könnte man den Kordon um unser Haus ruhig aufheben, die Wachen nach Hause schicken und vor allem, man könnte den guten Mann da mit seinen hündisch bettelnden Glotzaugen seinem edlen Beruf, seiner teuren Familie, seinen »liebenden Herzen« unten in der Altstadt wiedergeben.

Vorher wird man vor ihm keine Ruhe haben. Er wird die armen Schwestern und mich stets umherhetzen, er wird aus Wut und Rache hier oben mehr toben als die wirklich schwerkranken Y. F.-Patienten es in ihren Delirien tun. Also fort mit ihm! Wenn aus keinem anderen Grund, dann schon deshalb, damit die arme kleine Monika im Zimmer nebenan Ruhe hat und etwas Schlaf finden kann.

Ein anderes, mir bis jetzt noch unbekanntes Gefühl ist in mir, Nun frage ich mich nicht mehr, ob ich des Gefühls der Liebe überhaupt fähig bin. Mein Leben ist ein anderes geworden. Selbst der Ton meiner Stimme, mit der ich nun zu ihm rede, muß ein anderer geworden sein. Ist es so? Kann es sein? Wäre es denn denkbar, ist es denn jemals in den Annalen der menschlichen Herzen vorgekommen, daß ein Mensch, weit über die Mitte seiner Lebensjahre fortgeschritten, noch einer radikalen Änderung fähig wäre? Oder ist auch das nur Selbstbetrug? Daß einer mit über vierzig Jahren das erleben und erleiden und dessen sich erfreuen sollte, was er bis dahin in seinem bewegten Dasein niemals gekannt hat? – – –

Ich frage den Wirt mit dem gleichen Eingehen auf sein Wesen, als wenn es sich um einen Menschen handelte, ob er sich denn überhaupt kräftig genug fühle, nach Hause transportiert zu werden? Denn wenn er auch sicherlich frei von Y. F. ist, so hat er doch gut und gern seine schwere tropische Malaria. Seine von Tabaksaft gebräunten, durch große Lücken getrennten, aber festen Zähne schlagen im Frost aneinander – aber er schwankt nicht. Einerlei, was kommt, er will fort und wäre es nur, um dort unten zu sterben. Wenn er schon krepieren soll, so wünscht er nicht an der ihm aufgezwungenen Krankheit zu krepieren, die man ihm vielleicht: um der Idee der großen menschlichen Gesellschaft willen hier beigebracht hätte.

So erhebe dich denn, gürte deine dicken Lenden und zieh ab!

Welch eine Freude, welch ein Jubel!

Wenn es nur das Schicksal wollte, daß auch das kleine liebreizende Wesen im Zimmer nebenan lebend dieses unselige Haus verließe, lebend, lebend!! Nur das eine erbitte ich vom Schicksal, das mich doch bis jetzt gnädig vor dem Allerbittersten bewahrt hat! Aber kann ich an ein sinnvolles Schicksal glauben, kann ich es, der ich doch vom ersten klaren Augenblick die Sinnlosigkeit und stupide Grausamkeit des Weltenlaufes habe erkennen müssen! Hat denn mein Vater vergeblich mich gelehrt, wie es im Leben zugeht? Hat er vergebens unter Ratten gehaust und ist ihr mit all seiner Klugheit und all seiner Energie doch elendiglich unterlegen, dieser Seite der Natur?

Plötzlich geht das Licht aus. Seitdem der Leiter des Elektrizitätswerkes der Stadt, der Schwede Ericson hier das Zeitliche gesegnet hat, kommt es öfters vor. Die Strafgefangenen, die dort an der Waldgrenze unter Aufsicht ihrer Unteroffiziere die Maschinen bedienen und mit frisch gefälltem Holz die Kessel des Werks heizen, wissen häufig nicht mit den Spannungen und Schaltkästen Bescheid und oft flackert das Licht, bisweilen geht es auf Minuten aus.

Ich eile zu dem jungen Mädchen, aber schon an der Tür sehe ich, wie in der kleinen grünen Krankentischlampe wieder der golden leuchtende, in sich verschlungene Faden aufblitzt und nach einigen Flackerwellen ruhig weiterbrennt.

Ein gutes Omen soll es sein! Und ich, der ich nie abergläubisch war, klammere mich an dieses unbedeutende Vorzeichen, ich freue mich, daß das Kind in ruhigem Schlaf zu liegen scheint, während die alte Mulattin mit dem Strickstrumpf in den braunen Händen emsig, ohne den Blick zu heben, weiterarbeitet. Bisweilen scheucht sie mit geschwungenem weißen Strickstrumpf die Fliegen fort, die um das Licht und um den Kopf der Kleinen ihre Kreise ziehen.

Der Kaschemmenwirt ist inzwischen bereits mit dem Ankleiden beschäftigt. Unsicher tastet er sich in seinen Sachen zurecht, schwankend erhebt er sich auf seinen niedrigen, bärenartig plumpen Beinen und versucht die ersten Schritte. Plötzlich faßt er sich mit einem unterdrückten Fluche an dem bordeauxroten, fleischigen, aus dem niedrigen, schmierigen Hemdkragen herauswulstenden Specknacken. Ein Insekt scheint ihn gestochen zu haben, er hat zugefaßt, und das Tierchen, berauscht von so viel feinem Blut, hat sich lieber totdrücken lassen als seine Beute aufzugeben.

Er hält nun die sterblichen Überreste der Mücke zwischen seinen wurstartigen Fingern, murmelt etwas von seinem süßen Blut, dessen Lockung weder die Mädchen noch die Moskitos widerstehen können. Aber was sind sie ihm, die beiden? Da er Geld genug hat, kann er sich die allerfeinste Liebe (wie er sich »Liebe« vorstellt) kaufen, und was den sonst so gefährlichen Moskitostich anbetrifft, so haben sie ihm ihren Liebesdienst bereits erwiesen, hat er doch bereits seine schwere Malaria, die bekanntlich stets durch Mücken von Mensch zu Mensch verbreitet wird.

Dieser letzte Mückenstich wird das Kraut nicht fett machen. Er, der so viel Malariaanfälle mit massenhaftem Chinin und massenhaftem Whisky niedergekämpft, knock out geschlagen hat, hofft, daß er auch diesmal nach wenigen Tagen wieder auf den derben Beinen sein wird, – oder unter der Erde.

Noch ein dritter Kranker ist gleichzeitig mit ihm eingeliefert worden. Mit diesem habe ich mich bis jetzt noch am wenigsten beschäftigt. Erstens, weil die Diagnose Y. F. unverkennbar war, und zweitens, weil alle menschliche Hilfe vergeblich schien, das heißt, die Hilfe von seiten des Arztes.

Es war mir schon in den ersten Tagen hier im Y. F.-Hause aufgefallen, daß sehr wenig Ärzte, aber viele Pflegeschwestern hier beschäftigt waren. Es stand nämlich dem alten Krankenhausdirektor, der mit Verwaltungsarbeiten außerordentlich überhäuft war, nur noch ein junger Hilfsarzt zur Seite, und dieser befand sich gerade auf Urlaub.

Diese Krankheit hat es nämlich an sich, daß die Aufgaben des Pflegepersonals oft viel wichtiger und bedeutsamer sind als die des Arztes. Ich hatte es nicht glauben wollen, daß die menschliche Kunst und Wissenschaft gegen Y. F. so vollkommen hilflos sein sollten. Und doch waren sie es. Die Anzahl der Ordensschwestern, der älteren und der Anwärterinnen, die man Postulantinnen nannte, war bedeutend, und das war recht so. Denn der Arzt mußte sich mit allgemeinen Anordnungen begnügen. Aber die hilfreichen und geschickten Hände der Schwestern, die Bemühungen der Krankenhausküche, die Versorgung mit Eis etc. – waren die Hauptsache. Die Hilfe der Wissenschaft war nichts; Pflege des mitleidigen Herzens alles.

Und der geistliche Trost! Jedem Kranken wurde in den ersten Stunden seiner Anwesenheit hier der geistliche Trost in Gestalt der Sakramente zuteil, ganz gleich, ob der Zustand schon bedrohlich war oder nicht. Aber man muß das trotz des Fiebers von Lustigkeit und Frechheit strotzende Gesicht des alten Kaschemmenwirts sich vorstellen, als dieser an der Tür dem Geistlichen begegnete und dem verblüfften, weißhaarigen Pater grinsend entwischte.


 << zurück weiter >>