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IV

Leider kann mir das, was March in der schwülen Dämmerung der subtropischen Nacht vor sich hinsabbert, nicht jenes Interesse abnötigen, das er erwartet. Was soll mir sein Abbé? Was sind mir seine geheimen Regungen? Dabei sind sie gar nicht mehr so geheim, der gute Junge kann aus seinem warmen Herzen keine Mördergrube machen, er kann mir keine Rätsel zu raten aufgeben. Er ist langweilig. Am interessantesten war er, als er an mich gekettet war und schwieg.

Also weiter im Text, du allerliebster Mann, du Herzensbrecher aus der Kleinstadt, der nicht genug hat, die Tochter eines wohllöblichen Obersekretärs zu heißer Liebe zu entflammen und sich feierlich im Kreise der aus weiter Ferne zusammengeströmten Familie mit der jungen Dame, einer Goldblondine, zu verloben – sondern der es fertig gebracht hat, auch im Herzen ihres Bruders, des brünetten Kadetten, Verwüstungen anzurichten.

Welch ein Glück hat dieser recht hübsche, aber wenig interessante Mann bei den Menschen! Auch hier, im Raum III hat er schon, ohne es zu wollen, Eroberungen gemacht. Feurige Blicke wirft ihm der kupferfarbene Orientale, der Pascha, der Sultan Soliman zu. Der Kaufpreis für das alberne Grammophon soll offenbar auch den Lohn für March selbst enthalten, wenn er sich dem Sultan, dem reichen, grob sinnlichen Verbrecher gnädig zeigt. So tue es doch, March! Ich werde nicht eifersüchtig sein. Liebe in jeder Form ist für den Durchschnittsmenschen schön und erholsam, so nimm sie doch, wühle nicht verzweifelt in alten Erinnerungen! Das Leben lacht, es liebt die Lust. Laß deinen Louis den Schlaf des Gerechten ruhen!

Aber ein Mensch meiner Art predigt hier tauben Ohren, der gute March kann sich von seinen Erinnerungen nicht losreißen. Zum zehnten Male leiert er seine Litanei herunter, die bei dem ewigen Treueschwur zwischen der Schwester, Komtesse Lilli, und dem Bruder, dem Kadetten Louis, beginnt, den die zärtlichen Geschwister wie in der alten Heldensage durch eine in der Mitte durchbrochene Grammophonplatte symbolisierten, und die nie richtig endet. Beide haben sich im letzten Frühling an March gehängt und haben, vielleicht an geraden und ungeraden Tagen abwechselnd, den Überglücklichen mit ihrer Liebe überschüttet. Aber der Arme! Bei der bildhübschen, von Gesundheit und Sinnlichkeit strotzenden, üppigen, goldblonden und grauäugigen Schwester ist ihm das eine Qual, was ihm bei dem blassen, hoch aufgeschossenen, etwas blasierten, brünetten Bruder, dessen dunkle Augen tief in den Höhlen liegen, ein heiß ersehntes Glück wäre. Er, March, schwankt nicht einen Augenblick zwischen beiden, er hat sich für den Bruder entschieden, seitdem er dessen Angesicht zum erstenmal erblickt hat, ihm ordnet er sich unter, läßt sich durch dessen gelangweiltes, schlaffes Lächeln mit hinabgezogenen, spöttisch eingerollten Lippen martern und martert ebenso mit hinabgezogenen, spöttisch eingerollten Lippen die Schwester, das sinnliche, gesunde, brave Mädchen, seine Braut. Sie ist viel zu stolz, es zu zeigen, aber sie ist zu sehr Weib, um es hinzunehmen. Ihre Eitelkeit ist getroffen, sie vernachlässigt sich, ein Zeichen dafür, daß sie ihrem Bräutigam March gegenüber nur noch kameradschaftliche Gefühle hegen will, und daß sie wie Schwester und Bruder mit ihm leben möchte, in aller Unschuld!

Und er, March, behandelt sie daraufhin, von der glatten Lösung des Konfliktes beglückt, mit kameradschaftlicher Offenheit, er verrät ihr, was er sich selbst nicht verraten hat, daß er an Louis leidenschaftlich hängt, daß er von ihm »verzaubert« ist. So poetisch drückte er sich aus, der. schüchterne Beamte in Rangklasse 6b. Und sie, Komtesse Lilli, streichelt ihren Bräutigambruder March über das Haar, sie ist ihm ja herzensgut, er ist ihr Augapfel, und sie ist sein eigen von Kopf bis zur Zehe, und wenn sie ganze Nachmittage in der Kirche kniet und betet, dann kniet sie nur für ihn, betet nur für ihn – und der Frosch seufzt und glaubt.

Dann schickt sie ihm plötzlich den Verlobungsring zurück. Sie liebt ihn leider zu sehr, sie kann sich mit dem wenigen nicht zufriedengeben, das er für sie übrig hat. Aber der Kadett nimmt March ernst ins Gebet und bleibt dabei, die Heirat müsse stattfinden, March müsse sich mit der Komtesse versöhnen, sonst ... und zum erstenmal spielt der blasierte, blasse Junge mit dem Gedanken, er könne March vernichten oder vielleicht auch, er könne March gehören, – mag sein aus Herrschsucht, aus Neugierde, vielleicht aus Mitleid, aus Eitelkeit, aus Freude am Spiel. Es ist nicht klar. Vielleicht aus echter Liebe zu seiner Schwester, die die Hauptsache in seinem Leben ist. Und bleibt. Und March, der einmal ein einfaches sorgenloses Leben an der Seite des geliebten Mädchens Lilli, unter dem Schutz des hochstehenden Schwiegervaters erwartet hat, ist mit seinem guten Herzen, seinem schwachen Willen, seinen krankhaften, aber starken Trieben jetzt in der furchtbarsten Verwirrung. Er vernachlässigt sein Amt. Er schläft nicht mehr. Endlich kehrt er zu der Schwester zurück – und verspricht ihr – aus Schwäche, aus Mitleid, aus christlichem Erbarmen – mit dem Bruder zwar nicht zu brechen, aber in Louis von jetzt angefangen nur noch den künftigen Schwager zu sehen –. So schwört er, daß er Louis nur einmal in der Woche in Lillis Gegenwart sehen werde, sie würden vielleicht tanzen, einer wird das neue Schrankgrammophon aufziehen, und das einemal wird er, March, mit Lilli tanzen, das andere Mal soll Louis mit Lilli tanzen. Unschuldiges Kindervergnügen. Herrliche Lösung von salomonischer Weisheit! Aber es kommt natürlich anders. Lilli zieht das Grammophon auf, aber es tanzen nur Louis und March miteinander, und plötzlich scheint es, als ob Marens leidenschaftliche, fanatische Liebe, gegen welche die schematische Tagesarbeit des armen Louis in der Handelsschule nicht ankommt, auch das kühle, schlaffe, blasierte Herz eines altklugen, kränklichen, abgebrühten, trotz seiner Jugend schon welken Jungen angesteckt hätte.

Und Lilli soll zusehen? Soll nachher das verräucherte Zimmer lüften und in Ordnung bringen, während Louis und March im Sommerregen Spazierengehen, unter einem Regenschirm, nachher in der Kneipe, im Cafe eng umschlungen und doch so keusch einander anstarrend, nebeneinanderhocken, im Kino in der Dunkelheit sich drücken. Louis und March lieben einander, ja, aber rein und wahrhaft keusch wie Engel oder Frösche.

Lilli, sinnlich, gesund und jung, ungebrochen, glaubt es nicht. Sie will nicht mehr teilen. Aber weder bei dem Kadetten noch bei dem Bräutigam verfangen ihre Drohungen, und eines Tages erscheint in Louis Zimmer bei einem Besuche des Herzensfreundes noch ein Dritter, der Vater, der hochgestellte Magistratsbeamte, ein Mann von Grundsätzen. March fliegt mit Engelsflügeln. Er wird aus dem Amte gejagt, das Zimmer wird ihm gekündigt, er unterliegt der allgemeinen Verachtung und Lillis Abschiedsbrief ist endgültig. Und zum Unglück erscheint jetzt auch noch sein Vater, der morphiumsüchtige Drogist außer Diensten: verkommen, ein Bettler – March soll helfen und hat so gut wie nichts im Besitze, denn, eitel wie er ist, hat er fast alles an seinen äußeren Menschen gewendet.


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