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IX

Jetzt in der Dämmerung schließt sich erst das ganze Bild der auf einigen Hügeln konzentrisch aufsteigenden Stadt zusammen. Die Glasplatten eines Leuchtturmes in der nördlichen Hafenumrandung funkeln in Abständen, unerwartet, unberechenbar, wie Wetterleuchten. Nur Lichtreflexe, keine regulären Leuchtfeuer.

Die Sonne ist noch knapp auf Horizonthöhe, sie gießt mit fast waagrechten Strahlen zauberhafte Lichtmassen ostwärts über den blanken Ozean. Die Luft schattet schnell. Ein helles Tuch, das sich, die verknäulten Falten erst allmählich von innenher entfaltend, in der Mitte zuerst, an den sinkenden Rändern zuletzt mit dunklerer Farbe ansaugt.

Die Metallinstrumente der Militärkapelle glitzern weithin im Abendstaub. Die Bogenlampen sind entflammt. Der Taktstock des Kapellmeisters bewegt sich, ein scharfes Auge wie das meine kann es sehen. Die Bürger, die Herren Offiziere und die Bevölkerung spazieren friedlich unter den Palmen zum Klange des klassischen und modernen Abendkonzerts. Jetzt entläßt die Kapelle einen hohen triumphierenden Trompetenton. Die Bürgerwelt applaudiert.

Der Wind steht ab von uns, so lösen sich nur die besonders intensiven Töne aus dem Zusammenhang der Melodie. Sie fliegen durch die Luft wie abgerissene Köpfe. Grausig und doch komisch, wie alles Echte im Leben.

Trotz alles Elends ist mancher stolz hier, innerhalb des Postenkordons, daß er nicht so ist, wie alle andern dort. Einmal haben wir den Kordon gebrochen. Das muß ein besonders seltenes Glück gewesen sein, würde man uns sonst zwingen, es so teuer zu bezahlen?

Auch die Befriedigung des wissenschaftlichen Forschungstriebes kann ein exzeptionelles Glück verschaffen, von dem sich der gute Bürger und Offizier keinen Begriff macht. Aber natürlich ist auch dieses Glück nicht umsonst zu haben.

Plötzlich hat sich der Kordon, der uns den ganzen Tag umgeben hat, vor mir geöffnet, eine Gasse wird frei und kaum, daß ich mich besinne, bin ich schon mit meinem Gefährten und einigen anderen Leidensgenossen unten an der Hafenmole. Wir besteigen, alle Hände voll mit Gepäck, von den Wachen hin- und hergepufft, den Ponton, der gleichmäßig belastet werden soll. Weshalb halten sich fast alle am Heck auf, blicken nach dem Hafen zurück?

In der Eile des Abschieds habe ich nicht daran gedacht, mich nach rechts und links umzusehen. Es war schon halbdunkel, als wir zu den Pontons gekommen waren – Menschen hatten sich an uns herangedrängt, raunende Stimmen hatte man gehört, Hände hatten uns im Schatten der Dämmerung zugewinkt, und andere Hände hatten nach unseren Mänteln gefaßt. In der Dunkelheit, wer sollte da wen erkennen? Meinen alten Vater? Aber meinen Bruder hätte ich erkannt. Oder sollte er, nicht von mir erkannt, während des ganzen Tages unter den »liebenden Seelen« auf dem Hafenplatze auf diesen Abschiedsaugenblick gewartet haben? So unwahrscheinlich es ist – ich klammere mich an den Gedanken. Unwahrscheinlich? Unmöglich! Und doch! Ich folge dem Beispiel eines anderen Gefährten und winke, winke zurück nach dem Strand des Heimatlandes, mit einem weißen (weiß gewesenen) Tuch.

Der Ponton stößt ab. Schwer stemmen sich die Ruderblätter in das Wasser. Es geht der »Mimosa« entgegen.

Unwillig kreischend haben Möwen unseren Transport begleitet. Jetzt sind die erleuchteten Luken der »Mimosa« nahe. An Bord des Schiffes sieht man einzelne Offiziere in Weiß. Einzeln, jeden für sich. Gefangene in schmutzigem Braun zu einem Haufen zusammengedrängt.

Die Strickleiter schwankt von oben herab, die Seile sind schwarz, glitzern, entweder sind sie aus Stahl oder aus Hanf, der die Feuchtigkeit des Meeres angenommen hat. Hanf wäre ein sicherer Halt.

Die Häuser des Ortes sind schon weit, liegen unten, irgendwo weit fort, zu meinen Füßen. In einem Tal des Meeres. Der Glockenton der Abendmesse dringt nur ganz gedämpft zu uns. Fischerboote ziehen flink vorbei. Die sanfte Brise füllt die geflickten Segel und läßt sie knistern und die ausgespannten Taue knarren. Die Boote liegen schräg auf dem Wasser. Ein bärtiger junger Mann läßt die Hand an der Wand des Kahnes im Wasser mitschleifen. Seine Zigarette glimmt. Er sieht nicht nach uns.

Wir stehen jetzt unmittelbar unter der »Mimosa«. Über unsern Köpfen schüttet ein Kochgehilfe aus einer kreisförmigen Luke Speiseabfälle heraus. Er hält den weiß emaillierten Kübel weitab, damit der Abfall nicht die saubere, dunkelgraue Schiffswand beschmutze. Neben uns prasseln die Reste hart ins stille Wasser, Krusten von Braten, Geflügelknochen, leere Konservenbüchsen, Früchte und Schalen von Obst und Gemüse. Die Möwen, die in immer engern Kreise uns umflogen haben, stürzen mit den Schnäbeln um sich hackend in das aufspritzende, von weißem Schaum bedeckte Wasser, wo sie kämpfen. Sie stoßen einander, kreischend und scheltend wie Marktweiber, das Futter fort, mit einem Hieb ihres Schnabels bemächtigen sie sich der Brocken und heben sich fort, oder sie stoßen sie auf dem Wasser vor sich hin an einen entfernteren Ort, um sie bequem zu fressen. Die starken Flügel schlagen das Wasser. Zum Schluß bleiben bloß ein paar Sektpfropfen auf dem Wasser, auf das von oben das Licht des Schiffes fällt.


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