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XI

Man hätte annehmen müssen, nichts komme der armen Witwe erwünschter als die Aussicht, aus diesem vom Y. F. verseuchten Ort, an den sie doch nur die trübsten Erinnerungen ketten konnten, loszukommen. Aber es war nicht der Fall. Die Neigung, die die unselige Frau zu mir gefaßt hatte und die sich vorerst nur in Haß und unterdrückten Wutausbrüchen äußerte, bewog sie, unserem Plan, sie und die Kinder möglichst schnell von der Insel fortzubekommen, Schwierigkeiten auf Schwierigkeiten in den Weg zu legen.

Vor allem machten wir ihr klar, in welcher Form die Versicherungsangelegenheit geregelt werden sollte. Sie hielt uns ihr Ohr hin, als könne sie nichts von unseren Worten verstehen. Dabei streifte sie meine Wange mit ihren leicht gewellten, rostfarben glänzenden Haaren, unter denen schon einige recht gebleichte, farblose mit unterliefen. Ich zuckte zurück wie von der Tarantel gestochen. Jeder andere Mensch hätte dieses mein plötzliches, hastiges, wenn ich so sagen darf, explosives Zurückzucken bemerkt, und so schwerhörig die arme Frau sich stellte oder tatsächlich war, ihre Augen waren gut und sie mußten es bemerkt haben. Sie tat aber, als sei nichts gewesen und fuhr fort mit ihren Einwänden, die darauf beruhten, die zahlungsunwillige Versicherungsgesellschaft werde ihr nichts auszahlen, eher einen großen Prozeß anstrengen, und auf diesen problematischen Prozeß müsse sie sich vorbereiten und müsse bleiben. Wir sagten nein, begründeten es und die Diskussion ging weiter. Ein Zipfel ihres aus rosafarbener Rohseide gefertigten Hauskleides, das für die schwangere Frau geschneidert war und ihr jetzt viel zu weit um die wieder schlank gewordene Figur schlotterte, kam auf meinen linken Knöchel zu liegen. Ich zog meinen Fuß zurück und konnte doch nicht verhindern, daß sie mit dem weiten, japanisch geschnittenen Ärmel ihres Kleides meine herabhängende Hand berührte. »Weshalb wollen Sie mich los sein?« sagte sie, sich scheinbar auf die geschäftlichen Verhandlungen beziehend. »Ich tue niemandem etwas.« Was waren das alles für ungeschickte Manöver einer in zarten Liebkosungen sicherlich ungewandten, eher männlichen als mädchenhaften Frau!

Dann stellte sie plötzlich die Walze um, »wer soll sich um die letzte Ruhestätte meines Liebsten kümmern?!« Wir schwiegen. »Wie? Was? Wie?« kreischte sie mit ihrer grellen Stimme und sah mich mit flammenden Augen an. Ich schwieg. Carolus war von bewunderungswürdiger Ruhe, er nahm einen neuen Stoß Papiere aus seiner Aktentasche und lächelte mit seinen Lippen kaum merklich zu diesem unzeitgemäßen Gefühlsausbruch. Ich stand auf und stellte mich hinter Frau Walter. Nun gab es weder beredte Blicke, noch das alte »Was, wie?« und sie hörte auf einmal jedes Wort. Um mir aber ja das kundzutun, was mir doch längst kein Geheimnis war, schaukelte sie auf ihrem Stuhl hin und her, zeigte ihre immer noch feste, schöne, schwere Büste und warf den Kopf zurück, um mich vielleicht noch einmal »zufällig« mit ihren Löckchen zu streifen. Gerade ehrbare Frauen sind in ihren Liebesbezeigungen oft plump und taktlos. Ich sah die Stelle an ihrem Nacken, wo sie damals das Insekt gebissen hatte. Sie mußte meinen Gedanken erraten haben, sie faßte mit ihrer schmalen weißen Hand, an der sie ihren und Walters Ehering trug, nach ihrem Nacken, sagte aber nichts zu mir, hörte bloß auf zu schaukeln.

Die Frau war klug und verstand jetzt die Lage vollkommen. Sie übersah alles und wir wurden bald einig. Das heißt, sie und Carolus wurden einig. Der Geistliche, den man heranzog, war passiv und geduldig wie immer und enthielt sich der Stimme. Ich aber konnte nicht ohne weiteres zustimmen. Sie hatten ganz recht, man mußte die riesige Versicherungssumme retten und das konnte auf geradem Wege nicht geschehen. Ihr Gatte hatte sich zu bewußt in lebensgefährliche Experimente eingelassen. Vielleicht gebührte ihm für seinen Opfermut ein Denkmal aus Bronze vor dem Lazarett oder in der Heimat, vielleicht gebührte ihm eine Spalte im Konversationslexikon, vielleicht sogar der Nobelpreis, alles zugegeben, die Versicherungssumme gebührte seinen Erben nicht.

Man brauchte Bargeld. Was war zu tun? Man mußte die weltumspannende, millionenschwere Versicherungskompagnie belügen und betrügen zum Wohl des wirtschaftlich schwächeren, aber moralisch stärkeren Teils.

Man mußte bei dem Subagenten die vollen Ansprüche auf die Versicherungssumme geltend machen. Es mußte heißen: Der Doktor Walter hat sich wohl, wie es seine Pflicht und sein amtlicher Auftrag war, mit der Erforschung des Y. F. beschäftigt. Aber er hat niemals lebensgefährliche Experimente an sich vorgenommen und sein sehr bedauerlicher Tod ist eben durch eine Ansteckung auf dem bisher noch unbekannten Wege erfolgt. Ein Betriebsrisiko, von dem die Versicherungsgesellschaft sowohl bei dem ersten Versicherungsvertrage als bei dem Nachtrag I volle Kenntnis gehabt hat.

Dies mußten Carolus, der Geistliche und vor allem der Assistenzarzt, welch letzterer formell das Gutachten übernommen hatte und der wie weiches Wachs in unseren Händen war, schriftlich festlegen. Sie mußten es mit ihrem Namen decken. Im Falle eines Zivilprozesses, wozu es aller Wahrscheinlichkeit kam, mußten sie es sogar unter ihren Eid nehmen. Unrecht Gut. Gedeiht es nicht? Alle waren dafür, nur ich nicht.

Ich sollte unsere Arbeit als null und nichtig erklären? Zum Schein? Eine schriftliche, vereidete Erklärung ist kein Schein. Der letzte Wille des Verewigten war gewesen, die Resultate unserer Arbeit, die wir nicht nur am grünen Tisch, sondern in pestverseuchten Krankensälen und Laboratorien gewonnen hatten, bei einem Notar zu hinterlegen.

Ich sagte also unverhohlen meine Meinung und die war nein. Da wandte sich die Witwe nach mir um, umfing mich, ohne daß es die anderen sehen konnten, mit einem beschwörenden, flehenden, verzweifelten Blick, in dem ihre ganze, heiße Haßliebe vereinigt war, und dann sagte sie mit der süßesten Stimme, der leisesten, zartesten, mädchenhaftesten, liebkosendsten, deren ihre rauhe Kehle fähig war: »Um dieses Wortes wegen verzeihe ich Ihnen jetzt doch!« Unerwartet, unvermittelt, rührend ungeschickt begann sie zu lächeln, sie sei nicht undankbar, sie wisse, was ich geleistet habe! Ich errötete, sie aber zeigte ihre schönen, vollzähligen Zähne und bemerkte schelmisch lächelnd wie ein junges siebzehnjähriges Ding, sie hätte doch keine falschen Zähne. Das jetzt! Diese Koketterie in diesem Augenblick! Und aus dem Munde der Frau eines Walter! Sie breitete mir ihren offenen Mund und die blendenden, von zwei blaßroten, feuchten Lippen umgebenen Zahnreihen entgegen, als biete sie mir sie an. Ich wich zurück, zwang mich zu einer höflichen Grimasse, murmelte etwas von dringender, unaufschiebbarer Arbeit und zog mich in großer Verlegenheit zurück.

Geliebtwerden macht mich nie glücklich. Aber auch das andere Teil, das große, überwältigende Gefühl des Liebens, war mir nicht gegeben. Wenn ich jetzt etwas liebte, waren es nicht Menschen, wenigstens keine, die mir in diesem Leben noch erreichbar waren, sondern etwas anderes. Es lag in seiner Gänze in meiner Arbeit beschlossen.


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