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V

Ich kehrte nach dem Kriege zu meiner Frau zurück und mein erstes war, die chirurgische und gynäkologische Privatklinik wieder zu eröffnen. Aber jetzt vermochten mich auch die Krankheiten der Menschen nicht mehr zu fesseln. Früher hatte ich mich in meinem Arbeitseifer mit geschulten Schwestern beholfen. Jetzt zog ich einen ärztlichen Assistenten zu.

Erfolg oder Mißerfolg – reaktionslose Heilung oder nicht – ich hatte die Wertlosigkeit des Lebens des Einzelnen in den Gefechten und in den Seuchenlazaretten aus zu großer Nähe gesehen. Ich hatte früher massenhaft Tierexistenzen geopfert, um etwas zu finden, das der Heilung auch nur eines einzigen Menschen dienlich sein konnte. Jetzt war es umgekehrt. Die Tierexperimente wurden mir die Hauptsache.

Ich begann neben meiner ärztlichen Tätigkeit in aller Vorsicht, um meine Frau nicht mißtrauisch zu machen, wieder mit meinen bakteriologischen Experimenten, und das Unglück wollte es, daß zu dieser Zeit zwei meiner Patienten »nach gelungener Operation« in kurzer Zeit zugrunde gingen. Solche Unglücksserien gibt es überall nach dem Gesetze des strange coincidence, aber hier war ein Zusammenhang in folgendem Sinne: Ich beschäftigte mich damals mit der Ätiologie des Scharlachfiebers. Bekanntlich ist die bakterielle Ursache dieses Exanthems sowie die vieler anderer ansteckender Krankheiten, ich nenne nur die lethargische Gehirngrippe und das Gelbfieber etc. etc., noch in völliges Dunkel gehüllt. Man hat mit allem experimentellen Genie und mit schärfster Konsequenz alle bekannten Methoden ausgeprobt und dennoch niemals einen Erfolg erzielt. Kein Mensch auf Erden hat den »virus« der scarlatina, des Scharlachfiebers, leibhaftig erblickt! Und dennoch existiert er, muß zu finden sein. Aber wie?

Nun liegt die Sache beim Scharlachfieber noch besonders eigenartig. Es zeigen sich bei dieser Krankheit als Mitläufer andere krankmachende Keime, Streptokokken mit Namen, die im Blickfeld des Mikroskops an geeigneten Präparaten sich dem Auge leicht darbieten, es sind auf künstlichem Nährboden ohne Schwierigkeiten zu züchtende Kügelchen, in Kettenreihen geordnet. Sie erregen Eiterungen, sie sondern äußerst scharfe Gifte ab, sie geben, eingespritzt, oder in der Blutbahn des Kranken im Verlauf des Scharlachfiebers »von Natur aus« umlaufend, gefährliche Wirkungen, angefangen von hohem Fieber und endend in Tod.

Es erschien mir folgender Gedankengang möglich: Die echten Erreger des Scharlach und des Gelbfiebers etc. müssen, wie man herausbekommen hat, so klein sein, daß sie selbst die winzigsten Poren eines Filters aus Ton noch zu passieren vermögen, durch welches man die Bazillenkulturen hindurchsaugt. Die Streptokokken hingegen, die ja auch beim Scharlachfieber mitwirken, sind zwar nicht kartoffelgroß, aber sie haben doch einen meßbaren Umfang, ja sogar ein meßbares Volumen und Gewicht, und vor allem, sie passieren ein solches schmalporiges Filter niemals, sie bleiben in der alten Nährflüssigkeit zurück, während das Scharlachgift und die eigentlichen Scharlacherreger hindurchschlüpfen.

Wäre es nun nicht denkbar, daß die unbekannten Scharlacherreger als winzige Schmarotzer oder Parasiten auf den viel größeren Leibern der Streptokokken hausen, und daß man die beiden durch das Filter trennt? Denkbar ist so etwas, vielleicht ist es sogar eines Versuches wert, gut! Ich widmete mich dieser Frage, ich stellte Experimente an, um sie entweder in positivem oder negativem Sinn zu beantworten.

Meine Aufgaben in der Ordination erfüllte ich, wie man eben eine Pflicht erfüllt. Ich verabsäumte keines der Gebote der Keimfreiheit, als ich die obenerwähnten zwei Operationen unternahm. Und doch! Und doch!

Das erstemal handelte es sich um eine Blinddarmoperation im sogenannten kalten, das heißt anfallsfreien Stadium, also um einen im allgemeinen völlig gefahrlosen Eingriff. Dennoch trat am Abend der Operation schon septisches Fieber auf nach Art eines Streptokokkenfiebers. Für meinen Assistenten unerklärlich war das Auftreten von virulenten Streptokokken im Blute des Kranken. Ich erzähle nicht viel. Der Patient ging uns zugrunde. Hatte ich unwissentlich gefährliche Keime übertragen? Meine Frau versuchte, mich zu trösten. Sie hatte Interesse an meinen ärztlichen Erfolgen und Mißerfolgen, ich konnte nicht schweigen, die Sache ging ihr zu Herzen. Ich zwang mich, für einige Wochen das Laboratorium zu meiden. In der Zwischenzeit ging alles vortrefflich. Sogar technisch schwierige Operationen gelangen und meine Kranken bewunderten meine »leichte, gesegnete Hand«!

Dann aber ergab sich eines Tages die Notwendigkeit, die kostbaren, mit großer Mühe hergestellten Kulturen der Scharlach-Streptokokken umzupflanzen, da diese Lebewesen, in der alten Nährflüssigkeit hausend und dauernd Gifte abscheidend, in der gleichmäßigen Bruttemperatur des ständig auf 37 Grad gehaltenen Brutkastens sich sonst auf die Dauer selbst vergiftet (Verbrecherkolonie!), sterilisiert, vernichtet hätten. Man mußte sie auf Neuland setzen. Auch diese Arbeit verrichtete ich mit äußerster Sorgfalt. Ich faßte die Glasstäbchen, an deren Ende die in der Gasflamme ausgeglühten Platinösen sich befanden, nur mit Handschuhen aus Gummi an, während ich ein winziges Tröpfchen der alten Kultur in ein Gefäß mit frischem Nährstoff überpflanzte. Hoch gerechnet mochte mein geheimer Besuch im Laboratorium sechs bis acht Minuten gedauert haben. Die Autodroschke stand wartend mit eingestellter Tarifuhr vor dem Nebeneingang des pathologischen Instituts, deshalb kann ich die Zeit berechnen.

Ich war des ferneren fest entschlossen, innerhalb der kommenden Tage keine Operation vorzunehmen. Natürlich hatte ich mir mit erdenklichster Gewissenhaftigkeit nach diesem Laboratoriumsbesuch die Hände, den Körper gereinigt, sogar das Haar scheren lassen. Ich hatte schon aus eigenstem Interesse alles unternommen, um nicht infektiös zu werden. Das Unglück wollte es, ich muß nun diese ominösen Worte wiederholen, daß meine Frau mich, als ich heimkam, mit der Nachricht empfing, eine Dame aus dem Bekanntenkreis meiner Geschwister hätte anrufen lassen. Es handele sich um schwere Blutungen aus dem Unterleib, aus vielen Gründen hatte man an mich gedacht.

Das war der zweite Fall. »Unwissentlich« konnte diesesmal das Unglück nicht passieren. Ich hätte gern nein gesagt. Aber meine Frau drängte mich, meine Geschwister, die sonst ihr Leben für sich führen, so wie sie mich mein Leben für mich führen lassen, bestürmten mich mit Bitten, besonders meine Schwester. Ich wollte den Assistenten operieren lassen. Allgemeiner Widerspruch. Er hätte so wenig Erfahrung, eine zu schwere Hand etc. und vor allem: man wollte nicht einen unliebsamen Mitwisser des Eingriffs. Ich gab nach, ich führte die Operation, ebenfalls nur einen kleinen, zehn Minuten dauernden Eingriff, nur mit Hilfe der klinischen Schwester aus, da wir angesichts der Art des Eingriffs vermeiden wollten, daß mein Assistent von der Sache erführe. Denn das Gesetz ist nicht für derartige Dinge. Ich kannte von früher her die Patientin, eine schöne, rubensartig üppige, goldblonde Person. Sie war Witwe, spielte eine große gesellschaftliche Rolle – sie wollte und mußte einen Skandal vermeiden. Ich verstand es nicht ganz, aber ich erfüllte ihre flehentliche Bitte. Mitleid am falschen Ort!! Der dazugehörende Mann zeigte sich nicht.

Diesmal war ich nicht so ruhig wie nach dem Blinddarmeingriff. Ich ging spät abends oder nachts noch einmal in die Klinik hinaus.

Meine Frau wartete mit ihrem Wagen unten am Portal. Sie hatte ein kleines semmelfarbenes, langhaariges Hündchen, eine Art chinesischen Palasthund, den Liebling ihrer Tochter, die zu dieser Zeit gerade verreist war, bei sich auf dem Schoß. Ich blickte, am Bettesrand meiner noch nach der Narkose schlafenden Patientin stehend, auf die Straße hinab. Die Frau und der kleine Hund schienen sich gut zu vertragen. Die langen, schönen Finger meiner Frau spielten in dem seidenartig glänzenden, leichtgewellten Felle des großäugigen, gegen die Gewohnheit dieser Rasse ziemlich lebhaften Tierchens, das plötzlich aufbellte, mit seinen Zähnen nach den Handschuhfingern meiner Frau schnappend, welche diese ihm hingehalten hatte. Es war Sommer, der Wagen offen, die Bäume vor der Klinik bewegten sich im Winde. Schöner Tag, sehr schön. Inzwischen hatte die Klinikschwester die Temperatur der Kranken gemessen. Sie betrug 37,1. An sich ist dies eine ziemlich normale Temperatur, dennoch ward ich ein Gefühl der Unruhe nicht los. Und zugleich eine Empfindung, einen Bewußtseinsinhalt – (wie soll ich es nennen?) wie ihn nur der Experimentator kennt. Sollte etwas nicht in Ordnung sein? Nicht schön? Nicht in Ordnung, gesehen vom Versuchsobjekt aus – aber wohl in Ordnung ... Ich setze dies nicht fort. Konstatiere nur den Verlauf. Die Patientin erkrankte an einem scharlachartigen Exanthem. Das Blut war aber dauernd frei von Streptokokken. Hatte ich diesmal nicht die Streptokokken, sondern das unsichtbare Scharlachvirus übertragen? Meine Theorie – war sie richtig? Hatte den Streptokokkenkulturen immer noch getreulich das unbekannte virus angehaftet?

Schwer zu beschreiben mein Geisteszustand während der nächsten Zeit. Die heimlich mit aller Intensität aufgenommenen Tierversuche, die mikroskopischen und kulturellen Arbeiten fast den ganzen Tag hindurch, wenn ich nicht am Bette der armen phantasierenden Kranken stand, und nachts, da ich doch nicht schlafen konnte und die Nähe meiner nur allzu zärtlichen Frau nicht ertrug, der Besuch der Spielklubs, wo mich diesmal das Unglück, das Pech verfolgte.

Dazu die Bekanntschaft einer schönen, blutjungen hellblonden Spielratte, mit der ich mich einließ, anfangs nur die Befriedigung einer flüchtigen Begierde im Auge, und die ich dann im ersten Hotel einquartierte und mit großem Luxus zu umgeben versuchte.

Endlich der Tod meiner Patientin, das »fast« lückenlose Ergebnis meiner letzten Versuche, die Traurigkeit meiner Frau, die meine trotz dieser Ereignisse gehobene Stimmung nicht begriff. Plötzlich der Umschwung. Ich bemerkte eine verdächtige Rötung an meinem Unterarm. War ich selbst angesteckt worden bei meinen Experimenten? Fast hätte ich mich meiner Frau anvertraut. Denn bis jetzt hatte ich geschwiegen. Aber alles ging gut vorüber. Ich blieb gesund. Über den Versuchen stand zwar noch ein großes Fragezeichen, dafür aber hatte ich auf anderem Gebiete Glück, die junge Person liebte mich. Dies bewies sie dadurch, daß sie viel von mir verlangte: Zeit, Geld, Liebe.

Ich tat, was ich konnte. Am meisten fehlte es mir an Zeit. Geld kann man manchmal durch die Liebe ersetzen, Liebe kann man durch Geld ersetzen, bloß Zeit ist unersetzlich in jedem Sinne.


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