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III

Ich kehre zurück zu dem ersten Vormittag, denn ich muß geordnet und methodisch berichten.

»Schreiben wir bitte«, sagte Walter dem etwas erstaunten Carolus, »und zwar recht deutlich!« als dieser mit dem Mikroskop im Arm wiederkehrte und Gott weiß welche ehrfurchtsvolle Dankbarkeit dafür erwartete. Aber zu seiner Ehre sei es gesagt, er zog sich weder schmollend zurück, noch wies er diese untergeordneten Dienste mir, dem Strafgefangenen zu, sondern er setzte sich an den kleinen Tisch, holte seinen schwarzen Füllfederhalter heraus aus der Brusttasche seiner alten Uniform und schrieb: erstens den genauen Sektionsbefund des Schweden, der das typische Resultat ergab, und sodann die Reihenfolge der verschiedenen aus dem Herzblute, aus der zerstörten Leber, aus den angegriffenen Magen- und Darmwandungen, der entzündeten Nierenrinde etc. etc. herzustellenden Bakterienkulturen.

Sollten gerade wir vom Glück begünstigt sein, wo so viele und der hochherrliche Louis Pasteur selbst in höchsteigener Form an diesem Y. F.-Problem gescheitert waren?! Wunder gibt es, aber nicht in der Bakteriologie. Nicht eine einzige Bakteriensaat ging uns im Lauf der nächsten Tage, Wochen und Monate auf. Die Kolben mit Nährflüssigkeit im stets auf siebenunddreißig Grad gehaltenen Brutschranke sollten keimfrei bleiben. Bei uns wie bei allen Forschern, die sich bisher mit dieser Krankheit beschäftigt hatten.

Wir hatten alle vier, Walter, March, Carolus und ich, an diesem einen Fall bis Mitternacht zu tun, und die farbigen Krankenschwestern, die mit unserer besonderen Pflege beauftragt waren, kamen ein ums anderemal, um uns zum Essen zu rufen. Essen! Nichts, was uns ferner gelegen wäre. Es arbeite erst einer eine Stunde lang in diesem menschenmörderischen, pestilenzialischen Gestank, wie ihn die Y. F.-Krankheit an sich hat, und setze sich dann zum Essen, Und stünden Nektar und Ambrosia auf alten Limoges-Porzellantellern vor ihm –, in seinen Geschmackspapillen, in seiner Mundschleimhaut wird sich nur dieses satanische Parfüm eingenistet haben. Man steht vor der Wahl, entweder sich daran zu gewöhnen, indem man es negiert, – oder nie wieder in diese Räume zurückzukehren. Mir wie den anderen blieb auf die Dauer nur das erstere übrig. Ich aß, ich badete, ich wechselte die Wäsche, ich schlief, ich begann täglich meine Arbeit zu früher Stunde und beschloß sie erst spät abends. Es war übrigens eine optimistische Falschmeldung, die das Abflauen der Krankheit gemeldet hatte. Das Stück war wohl schön, aber sie spielten es nicht, die Musikanten, wie es im alten Sprichwort heißt. Aber es blieb bei dem seltsamen Befund, daß zum Beispiel von der neuen Verbrecherfracht bis jetzt kein Fall Y. F. gemeldet worden war. Was war davon zu denken? Nichts außer dem einen, daß, wie der weise Carolus es schon vorher aus seinen Büchern theoretisch festgestellt hatte –, – aber davon später!

 

So mysteriös der Erzeuger war und so rätselhaft die Verbreitungsweise der tückischen Krankheit, so klassisch schön stellte sich fast in jedem Falle das klinische Krankenbild ein. Hohes Fieber aus heiterem Himmel (heiterer Himmel?! Regengüsse von unvorstellbarer Fülle, dazwischen tropisch blühender Sonnenschein und schwüle, bleischwere Glut!) exzessiv schnelles Anfiebern, Gelbsucht. Scheinbare Erholung nach dem dritten oder vierten Tage und dann neues Losgelassensein der Hölle, Erbrechen, wahnsinnige Leibschmerzen in der Lebergegend. Hals-, Magen-, Darmbeschwerden. Kopfschmerz. Lendenschmerz. Überwältigendes Krankheitsgefühl, blitzend rote Augen mit lebhaft entzündeter Augenbindehaut, – alles war da, soll ich sagen leider, soll ich (im Interesse unserer Forschungen) sagen Gott sei Dank? – die Seuche trat in aller Seelenruhe wie seit Jahrhunderten zu ihrer Zeit auf, ebbte dann wieder ab, Krieg und Frieden, und es war kein Ende abzusehen.

Die hohe Obrigkeit mußte natürlich auch ihren Teil dazu geben. Das Kabel spielte, Walter und Carolus steckten die Köpfe über Depeschen zusammen, die nichts Schmeichelhaftes enthielten. »Besondere Beachtung den Fragen schenken, welche auf die Ursache des Gelben Fiebers und seine Verhütung Bezug haben.« Erst können vor Lachen! Wir hatten nach und nach achtzehn Fälle untersucht, vom Kopf bis Fuß, innen und außen, wir hatten Kranke in allen Stadien des Leidens aufs Korn genommen, das berühmte Doppelmikroskop wurde (zur Kontrolle) von je zweien benutzt, Carolus und Walter, ich und March, wir blickten uns die Augen wund und waren am Ende dieser schrecklich mühevollen Tage so klug wie am ersten Tag bei dem mit seinen weißen Handschuhen und seinem Frackhemd längst begrabenen alten, gelben Schweden.

Walter und Carolus hätten keine Schüler der klassischen Schule sein dürfen, wenn sie nicht auch Tierversuche angestellt hätten. Affen aus der nahen Wildnis, Meerschweinchen, die bei uns in der Heimat ein sehr leicht erlangbares, hier ein schwer zu erhaltendes Material darstellten, Ratten, Mäuse, selbst Papageien und anderes exotisches Getier bis zu einem alten, lebensmüden Gaul in einem Schuppen des alten Klostergemäuers, alle erhielten Injektionen aus dem Blut des Kranken, aus den Leichenteilen, Einspritzungen aus den Extrakten, die man aus der beschmutzten Wäsche hergestellt hatte. Man, sage ich, als wären wir alle vier gleichmäßig daran beteiligt gewesen an diesen Vivisektionsexperimenten.

Aber es hatte eine ganz unbegreifliche und jedem Leser dieser Zeilen sicherlich höchst sonderbar erscheinende Änderung in den Rollen stattgefunden. Carolus, der sich früher vor dem lebenden Fleische »stets gescheut«, der sich vor Vivisektionsversuchen stets gedrückt hatte, war jetzt mit Feuer und Flamme dabei – und ich, ich, Georg Letham der jüngere, konnte jetzt meinen inneren Widerwillen dagegen nicht überwinden. Ich weigerte mich nicht direkt, aber ich war gewandt genug, um diese peinlichen Aufgaben den Mitarbeitern zu überlassen und mich mit dem anderen Teil der Arbeit, den Züchtungsversuchen, den Färbungsmethoden, der Herstellung der Schnitte aus den Organen, deren Fixierung, Härtung, Aufhellung und genauen Durchmusterung zu begnügen.

Ich kann die Ursache nicht sagen, Aber ich rührte kein Tier an. Auch Ratten nicht, obwohl diese Art Bestien in meinem Leben auf der Sollseite des Kontos stand und ich diese Geschöpfe nach wie vor als ein Ärgernis der Natur empfand, als eine leider nicht verhinderte Mißschöpfung, eine Schleuderarbeit der Natur. Ich ließ im Notfalle lieber den alten Carolus an den Meerschweinchen die Injektionen machen, und die Folgen zeigten sich denn auch pünktlich. Eines der Meerschweinchen ging zugrunde als das einzige Opfer unter den Tieren dieser Versuchsreihe. Aber war es den unbekannten Erregern des Y. F. erlegen oder bloß der Unsauberkeit und der schlechten Technik des vom lieben Gott im Zorn zum Bakteriologen bestimmten Generalarztes? Mußte es nicht so sein? Mußte ich dieses Vorurteil gegen ihn nicht teilen? Ich spreche noch davon.

Dafür aber bekam der ganz sachlich arbeitende Walter einen unerwarteten Helfer in – March. Von der Anstelligkeit dieses jungen, ungebrochenen Menschen, von seiner Lernbegierde, von seiner manuellen Geschicklichkeit, seinem unermüdlichen Fleiß, ja seiner Leidenschaft für die Arbeit, die ihn doch hätte abstoßen, anekeln müssen – macht sich keiner eine Vorstellung, der den tapferen, hübschen, kleinen Kerl nicht am Werk gesehen hatte.

Dabei war er durch das negative Ergebnis seiner Arbeit nicht abzuschrecken. Er stand morgens mit dem Gedanken an die Arbeit auf, er verlor infolge des Gestankes nicht den Appetit, während Walter und ich in dieser Zeit (es war Juli, stets eine scheußliche Zeit in der Äquatornähe) beide sehr stark abmagerten und oft vor Erschöpfung Weinkrämpfen nahe waren. Aber wir hielten uns aufrecht.

Ob mit oder ob ohne March, Walter mußte seiner Behörde das Resultat kabeln, das Resultat – daß er nichts Positives zu melden habe.

Die Erkrankungen der Menschen schwankten weiter nach Zahl und Stärke, aber Material war immer da.

Wir arbeiteten, oft war es zum Verzweifeln.

Die geimpften Tiere aber erfreuten sich, von dem einen Opfer des Carolus abgesehen, bester Gesundheit.


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