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XV

Die Regentonne mußte nach der Hinrichtung der Ratte vernichtet werden. Man konnte das feuchte Holz zu nichts mehr verwenden, nicht einmal zum Heizen. Meinem Vater tat es leid, denn er rechnete trotz seines großen Reichtums mit jedem Heller.

Einfallsreich war mein Vater, das mußte ihm der Neid lassen, und um wieviel mehr mußte ich es ihm lassen, sein Sohn, der zu ihm wie zu einer Art Gottheit aufsah. Er hatte zu jener Zeit in seinem Amte (La Forest war damals noch da und spielte eine wichtige Rolle) allerhand Schwierigkeiten. Er hatte bisher immer die Hochschutzzölle verteidigt, und nun war der neue Minister ein Anhänger des Freihandels. Es war nicht so einfach, sich von einem Tag zum anderen umzustellen. Er versuchte, dem Inland gegenüber den Hochzoll zu verteidigen, dem Ausland gegenüber sich als Anhänger der Freihandelstheorie zu zeigen. So war er auch im Lande Patriot, nationalistisch – dem Ausland gegenüber international und liberal. Es gab kein Instrument, das er nicht spielen konnte. Ja noch mehr: bildlich gesprochen: mit den Beinen spielte er Fußball und zugleich mit den Händen Geige. Und da sollte er »den Feinden im eigenen Hause« nicht beikommen können! In seinen ersten Urlaubstagen ging er ans Werk.

Wie hat er die Ratten aus seinem Hause verjagt, diese bei aller Leidenschaftlichkeit so klugen Tiere? Ihre Intelligenz ist ja so groß, daß man sie des bösen Willens gegen die Menschen verdächtigt, und daher kommt die große Wut, mit der der Mensch sie seit Urzeit (meist vergeblich) verfolgt. Aber Götter kennen keine Wut. Gegen diese Tiere hilft nur eines, was dem Menschen im allgemeinen nicht am besten liegt, nämlich der kühlste Verstand, der wissenschaftlich prüfende und experimentierende, die ratio, die auf dem starken Dogma des Kampfes aller Lebewesen ums Dasein aufgebaut ist.

Mein Vater ging folgendermaßen zu Werke. Eines schönen Tages stellte er mit Hilfe des Gärtners und der meinen eine große Falle auf, aber keine mehr aus Eisendraht.

Zwischen dem Hof des Hauses und dem Park, an einer Stelle, wo sich die Ratten bei Wetterwechsel massenhaft trafen, legte er eine quadratische Grube an von eineinhalb Meter Tiefe und etwas weniger Länge und Breite. Ein alter Ofen (aus dem nicht mehr bewohnten Schlafzimmer meiner armen Mutter) war im letzten Jahre auseinandergenommen worden und die guten Kacheln, weiße Porzellankacheln, lagen im Hofe umher. Eigentlich lagen sie nicht umher, sondern waren säuberlich an der Südwand des Hauses unter den Pfirsich- und Rosenspalieren übereinandergeschichtet und mit alten Brettern zugedeckt. Man kleidete die Basis der Grube mit den Kacheln aus. Die Seitenwände gingen nach oben etwas schräg zusammen. Die Kacheln so aneinanderzukriegen, daß dieser pyramidenartige Hohlraum entstand, war nicht einfach. Wir brauchten mehrere Abende dazu, die Kacheln genau abzupassen. Senkrechte Wände wären einfacher gewesen, aber es ist bekannt, daß Ratten in der Todesnot senkrechte Wände emporzuklettern vermögen, schräg überhängende Wände sind aber ein unüberwindliches Hindernis für fast jedes Tier, das nicht fliegen kann.

Mein Vater war mit ganzem Herzen bei dieser Arbeit, er vergaß alles, den Freihandel wie den Schutzzoll, den Minister und seinen La Forest, sogar seine Sparsamkeit.

Noch sehe ich ihn vor mir, wie er die Kacheln mit einem Meißel auseinanderbricht, um sie passend zu bekommen. Wie er nach getaner Arbeit in die Küche läuft, dann in die Speisekammer, die an die Küche sich anschließt und wie er eine Speckseite herunterholt, ein zwei Fäuste großes Stück abschneidet, wie er mich im Herd ein großes Feuer anmachen läßt (welche Wonne für mich!) – noch höre ich, wie der Speck in einem alten Eisentopf lustig prutzelt.

Endlich ist das Fett ausgelassen, die Krusteln schwimmen oben. Dann kommt der Topf vom Herd und ans offene Fenster. Alles weit ringsum ist von dem prachtvollen Speckgeruch erfüllt. Mein Vater holt aus der Speisekammer eine große Kruke mit engem Hals, ein dickwandiges, rostrotes, tönernes Gefäß, seit Jahren nicht mehr gebraucht und mit Staub bedeckt. Es wird gesäubert, und in den engen Hals schüttet mein Vater mit Hilfe eines Trichters etwas ungebrauchtes Hühnerfutter (die Hühner sind bekanntlich im Magen der Ratten gelandet), dieses durchtränkt er mit einem Teil des Fettes, mischt es mit den Speckgrieben und gruppiert diese mit einer alten Gabel schön nach oben.

Den Rest des Fettes gießt er langsam in vorsichtigem Schwung, alle Ecken benetzend, draußen im Hofe in der Kachelgrube aus. Jetzt wird von oben die Kruke in die Mitte des Hohlraumes vorsichtig hineingestellt – und die Versuchsanordnung ist beendet. Er wäscht sich die Hände, gibt mir irgendein Buch zu lesen und geht.

Ich muß hier etwas einfügen, das scheinbar nicht zur Sache gehört. Gerade in dieser Zeit erwachten in mir die »inneren Triebe«, die mir aber gar nicht süß erschienen. Weshalb davon sprechen? Jeder, der jung gewesen ist, weiß, wie es ist: Im Anfang mehr Qual und Angst als Spaß und Vergnügen.

Ich saß über dem Buche am Fenster und beherrschte mich.

Ich mußte lange warten. Dann aber gegen Abend huschten sie heran, die Ratten. Von allen Seiten liefen sie los, wie an Fädchen gezogen, lautlos. Aus dem Kellereingang, durch die engsten Löcher, unter der Regentonne hervor, oft drei, vier auf einmal, große und kleine durcheinander, es war die stärkere Gattung, alle hatten dunkle Streifen auf dem schmutzigbraunen Rücken. Sie scharten sich um die vier Seiten der Grube. Sie zogen schnuppernd die spitzen Schnauzen hoch, die langen, helleren Borsten am Maule sträubten sich ihnen vor Gier, auch über ihren blitzenden, dunklen Augen und an den Eingängen der kahlen Ohren saßen die langen Haare. Ein häßlicher Geruch ging von ihnen aus. Sie pfiffen nicht und schrillten nicht und piepsten nicht wie sonst. Ganz still hoben sie ihre langfingrigen, fast unbehaarten Pfoten empor, sie gruben und scharrten beharrlich an dem etwas vorstehenden Wulst der weißen Kacheln, wie um sich einen Weg in die Grube zu bahnen. Die Augen hatten sie nach unten gerichtet. Die flachen, tütenförmigen Ohren legten sie zurück, als lauerten sie wachsam auf etwas. Sie klammerten sich am oberen Rand der Grube fest, sie wollten nicht weichen. Dann wechselten sie mit einemmal den Platz, drängten sich wild durcheinander, sie beugten die Köpfe über die Tiefe und sogen den guten Geruch ein, immer neue Ankömmlinge erschienen und drängten und stießen von außen gegen die vornestehenden. Aber diese ließen sich nicht hinunterdrängen. Dazu waren sie zu klug. Auch sie widerstanden der Versuchung. Sie sprangen nicht hinab.

Mein Vater blieb lange fort. Oder stand er hinter mir und bewachte mich? Ich redete es mir ein und bezwang mich.

Ich schlief in meiner schwülen Unschuld ein.

Als ich aufgewacht war, war das Blatt, das ich gerade gelesen hatte, ganz zerknittert. Mir tat es sehr leid. Mein Vater hielt pedantisch auf das Aussehen seiner Bücher und vertraute sie keinem außer mir an. Und nun! Ich blickte hinunter. Es war Nacht. Die Tiere umlagerten immer noch in großer Zahl die Grube. Sie waren nicht mehr so still. Sie befanden sich in großer Erregung, unaufhörlich wechselten sie ihre Plätze. Was vorne war, wollte zurück, was rückwärts war, drängte sich durch nach vorn.

Plötzlich wagte die erste Ratte den Sprung. Ich sah das graubraune Schmutzfell und den Dunkelstreifen am Rückgrat scharf abgesetzt gegen die schneeweißen Kacheln. Prasselnd kam das Tier unten an. Das Küchenpersonal, das vom Fenster der Gesindestube das Ganze verfolgt hatte, lachte triumphierend auf. Mein Vater fehlte. Die anderen Ratten verstummten, als wären sie erschrocken. Aber in einem ununterbrochenen Kreislauf, immer von links nach rechts, umkreisten sie die Grube. Eine Zeitlang hatte der Zustrom aufgehört; jetzt quollen wieder neue heran, auf dem Bauche kriechend, spürend, gedeckt durch die Masse.

Die Ratte unten sah ich ganz deutlich von oben, sie stand so tief im Fett, daß die Pfötchen fast unsichtbar waren. Erst verhielt sie sich still, versuchte ein Bein ums andere herauszuziehen, drehte und wendete den Kopf wie ihre Artgenossin, die ich umgebracht hatte. Aber dann faßte sie sich ein Herz und begann das Fett aufzulecken. Erst das Schmalz in ihrer unmittelbaren Nähe, dann weiter, bis in die Ecken, die man von oben nicht gut sah. Es war fast nicht zu glauben, aber in etwa einer halben Stunde hatte das Tier an zwei Liter Fett aufgefressen. Und hatte es dann genug? Es putzte sich zwar die Ohren, beleckte die Pfötchen und stocherte mit der Zunge an den Krallen herum, dann aber – dachte es dann an das Entkommen? Keineswegs. Zwar: Gelungen wäre es ihm sicherlich nicht. Dazu war unser Versuch zu genau in Gang gesetzt. Aber das gefangene Tier hätte es doch wenigstens versuchen können! Das tat es nicht. Es war immer noch erfüllt einzig von Freßgier. Es rankte sich zuerst mit den Vorderpfoten an der aufrecht stehenden Kruke empor, wollte diese zum Wanken bringen. Als dies beim erstenmal mißlang, warf es sich von vorne mit dem Kopf und dann von der Seite mit aller Kraft gegen die starke, schwere Kruke, bis es der Ratte glückte, diese umzuwerfen. Dann fischte sie sich mit flinken, niedlichen Bewegungen, appetitlich wie ein Eichhörnchen, die paar Körner und die Fettbröckchen aus dem Halse des bauchigen Gefäßes heraus. Tiefer hinein kam sie nicht. Sie steckte das Schnäuzchen in die Öffnung, wetzte die Zähne am Ton, so daß es metallisch klirrte. Aber vergebens. Dann tröstete sie sich. Mit ihresgleichen trat sie nicht in Kontakt. Sie zog sich mit dick gefülltem Wanst in eine Ecke der Grube zurück, die dunkelste, rollte den nackten Schweif um sich, machte es sich bequem, bettete den Kopf in die weichen Partien der Lendengegend und schlief bald ein.


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