Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Priëne

Ein Bild des griechischen Lebens in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts bietet Priëne an der Mündung des Maiandros, das zwischen 1885 und 1898 von den Berliner Museen ausgegraben wurde. Die Stadt hatte ungefähr viertausend Einwohner, die zumeist der Landwirtschaft oblagen, doch kündet von ihrem Export ein Abführmittel, das den amtlichen Stempel von Priëne trägt. Auf steil abfallender Felskuppe lag die Akropolis. Ein Bannwald schützte die Unterstadt vor Steinschlag, die, durch einen Treppenweg mit der Fluchtburg verbunden und eine Meile vom Hafen entfernt, eine prachtvolle Aussicht aufs Meer bot. Plätze und Torbauten, Straßenzüge und Hallenfluchten waren dem sehr schwierigen Terrain virtuos abgewonnen und mit dem ganzen Naturrelief zu einem Organismus verschmolzen. Die kerzengeraden, rechtwinklig einander schneidenden Verkehrsadern waren »hippodamisch« angelegt; vorzügliches und reichliches Quellwasser war durch ein System von Tonröhren in die Häuser geleitet, die Wand an Wand stießen. Vom westlichen der drei Tore führte die Hauptstraße sanft ansteigend zum Lebensmittelmarkt, wo die Fleischer und Fischhändler auf Marmortischen ihre Ware zerteilten, und zum Großen Markt, der, mit dem Altar in der Mitte, auf allen vier Seiten von Wandelhallen in dorischer Architektur umgeben war; hinter diesen lagen die Kaufmagazine. Ganze Regimenter von Monumenten aus kräftig bemaltem Marmor und verschiedenartig getönter, auch vergoldeter Bronze bildeten mit ihren Postamenten die Rückenlehnen der Ruhebänke, 925 die Wände der Innenräume füllten gemalte Bildnisse und Dekrete, die die Verleihung von Ehrenkränzen zuerkannten. Man hat den Eindruck, daß nahezu jeder Bürger von Priëne geehrt wurde: Die Ruhmsucht des Hellenenvolks wurde am Abend seines Lebenslaufs zur Karikatur. Im Norden gab es auch ein Nobelviertel, mit Häusern aus Steinquadern (die übrigen bestanden meist aus Luftziegeln), einem kleinen Theater (die Wasseruhr und das Proskenion in Purpurrot und Hellblau haben sich noch erhalten) und ohne Geschäftslokale. Im Gymnasion fand man die Wände mit einer Masse von Schülernamen beschrieben, und einer hatte sich die Liste der spartanischen Archonten, die er offenbar auswendig wissen sollte, auf die Mauer notiert; im Waschraum strömte kaltes Wasser aus Löwenköpfen in Marmorwannen; die Thermen stammen aber erst aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert. Die Rennbahn war 191 Meter lang; das Ekklesiasterion faßte 640 Sitzplätze, also ungefähr alle stimmfähigen Bürger, wenn man annimmt, daß die Einwohnerschaft zur Hälfte aus Sklaven und Fremdbürtigen und der Rest zu zwei Dritteln aus Frauen und Kindern bestand; der Athenatempel, von Alexander gestiftet und von Pythios, dem Erbauer des Mausoleums errichtet, war fast zu prächtig für eine so kleine Stadt und galt im ganzen späteren Altertum als das Muster eines asiatisch-ionischen Tempels. Die Wohnhäuser empfingen ihr Licht nicht durch Fenster, sondern aus dem Innenhof, der mit Marmor gepflastert war. In den Zimmern bildete den Bodenbelag ein grünlichgelber Lehmbestrich; die Wände waren mit Stuck, Malerei und kleinen, abnehmbaren Bildwerken geschmückt. Es fanden sich unter anderm: Stiere, Kentauren, Aphroditen, eine sehr edle Maske des Dionysos, in der Bartmodellierung an den Zeus von Otricoli erinnernd, die Büste einer eleganten jungen Dame mit rotbraunem Haar und verschleiertem Blick, die zum Schönsten gehört, was sich von antiker Tonplastik erhalten hat, ein sehr flotter 926 Eros: Gesicht und Hals rosa, Chiton innen hellblau, außen dunkelbraun mit goldenem Saum, Ärmel orangegelb, Flügel teils bunt, teils vergoldet, und eine köstliche Karikatur des Dornausziehers, die, da sie gar nicht übertreibt, eigentlich bloß ein Meisterwerk äußerster Realistik ist.


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